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Elena

Nach dem überraschenden Angebot Miros Mutter, hat sie uns allein gelassen und ist in den Saal zurückgekehrt. Wir folgten ihr zwei Minuten später, um uns auch bei seinem Vater zu verabschieden. Er hat sich etwas distanzierter und kühler mir gegenüber verhalten, scheint das Gegenteil seiner Frau zu sein. Trotzdem blieb er stets höflich und riskierte ab und zu ein Lächeln.
Kurz nach null Uhr verließen wir den Katharinenpalast wieder. Zuvor hatte Miro mir das Collier abgenommen und es sicher in einem dem Koffer verstaut, die seine Männer ihm gebracht hatten. Was nun mit dem Schmuckstück geschah, wusste ich nicht.

Nun sitze ich auf der Rückbank des Bentleys, der über den Kies der Einfahrt rollt. Tropfen plätschern auf die Scheiben, es beginnt doller zu Regnen. Auf meiner linken Seite spüre ich Miros Blick ruhen. Wie vorhin befindet er sich neben mir, wir schweigen in der Dunkelheit. Ab und zu huschen die Lichter der Laternen über die Sitze, sonst gibt es nur den schwachen Mond, der den Innenraum erhellt. Wie immer sind wir vom Fahrer abgeschnitten.
»Welches Geschenk hast du deinen Eltern eigentlich gemacht?«, erkundige ich mich. Von vorhin weiß ich, dass seine Mutter Ohrringe bekommen hat.
»Vater eine Uhr. Er sammelt sie, Mutter die Ohrringe passend zu ihrer Lieblingskette«, erklärt er mir und schaut mich an. Seine Augen fahren meinen Körper seitlich entlang, ich spüre es. Durch die sich spiegelnde Scheibe sehe ich seine Silhouette, sehe, wie er den Kopf zu mir geneigt hat. Keine Minute später ruht seine Hand auf meinem Bein. Ich atme ein. Die rauen Finger fühle ich durch den roten Stoff mein Bein hinauf. Mit klopfendem Herzen lege ich meine Hand auf seine, halte sie still auf meinem Oberschenkel. »Was tust du?«, möchte ich leise wissen. Er fädelt seine Finger zwischen meine, verschränkt sie ineinander.
»Bereust du vorhin?«
Wieso sollte ich?
»Du gehts nicht auf meine Frage ein«, wispere ich mit meinem Gesicht zu ihm gewendet.
»Du auch nicht auf meine.«
»Tue ich nicht ... Ich bereue es nicht. Es war mir nur etwas... Unangenehm das deine Mutter uns auf die Spur gekommen ist.«
Er schnaubt amüsiert.
»Wir haben schon ganz schmutzigere Dinge getan. Bei unserer Begegnung zum Beispiel, als du-«
»Okay, okay, hab schon verstanden«, murmle ich. Miros grinsen weicht ihm nicht von den Lippen. Siegessicher starrt er nach vorn auf die schwarze Trennwand, hält meine Hand stetig fest.

Ein verräterisches Kribbeln macht sich schon wieder in mir breit. Vorhin war es glatt so doll, dass ich mir auf die Lippe beißen musste. Er bringt meine Gefühle durcheinander, wühlt sie auf und wirbelt sie wie ein Tornado in mir umher. Seine Berührungen, Worte und Gesten entfachen ein Feuer, welches mindestens so lodert wie das, welches aufflammt, wenn er mich küsst. Dann werden meine Knie ganz weich und mein Verstand wie Wackelpudding. Ich kann ihm nicht widerstehen ...
»Der Abend war sehr schön, danke das du mich mitgenommen hast«, bedanke ich mich bei ihm. Meine Fingerkuppen streichen über seinen Handrücken, bringen ihn dazu mich anzusehen. »Fand ich auch. Es war fantastisch«, stimmt er mir flüsternd zu. Schmunzelnd lehne ich meinen Kopf gegen seine Schulter, schließe die Augen und atme durch. Wir genießen die Fahrt in entspannender Stille.

Eine Ewigkeit später hält der Bentley endlich. Wir sind schon längst wieder in Sankt Petersburg, aber immer noch eine gute halbe Stunde vom Hotel entfernt. Der Chauffeur hat in einer Lücke geparkt, ich erkenne dank des Regens kaum das hohe Gebäude, vor dem wir uns befinden. Zudem schiebt sich ein großer Mann mit Regenschirm vor die Tür, um sie zu öffnen. Sofort wird der Regen lauter. Ich sehe auf, nehme seine Hand an und steige aus. Meine hohen Schuhe berühren den pitschnassem Gehweg, zuerst. Ich muss mein Kleid raffen, damit es mir nicht in die nächste Pfütze rutscht.
»Elena-«
Ich sehe, blinzelnd auf, zu Miro der nur wenige Schritte, neben mir unter einem zweiten Schirm steht.
»Kommst du?«, lacht er amüsiert, streckt seinen Arm aus.
»Natürlich«, ich war in Gedanken.
»Dann komm.«
Ich hake mich bei ihm unter, trete neben ihm in ein trockenes Foyer. Meine Hand um den Rock löst sich, er fällt flüssig herab. Die Spitzen hängen nur wenige Zentimeter über dem Teppichboden. Zwischen den hohen Wänden befindet sich ein hübscher Empfang direkt zentral im Raum. Dahinter ein großes Gemälde an einer alten Backsteinwand. Kleine Strahler leuchten verschiedene Ecken des Raumes aus, schaffen eine düstere und gemütliche Atmosphäre.
»Willkommen im Plaza! Ein Tisch für zwei?«, fragt uns ein kleiner rundlicher Mann freundlich hinter dem Tresen. »Ja, einen privaten«, antwortet Miro für uns beide. Der Angestellte deutet mit der Hand auf die Fahrstühle.
»Dann folgen sie mir bitte«, sagt er, geht voraus, um den Knopf zu drücken. Während wir warten, gleitet mein Blick hinaus zum Bentley auf der Straße. Der Fahrer versinkt gerade wieder im inneren, fädelt sich sogleich wieder in den Verkehr ein. Neugierig beuge ich mich zu Miro herüber. »Wo will der Fahrer hin?«, frage ich flüsternd. Der große Russe neigt dem Kopf zu meinen Haaren hinab, blickt dabei kurz zu den Fenstern hinaus.
»Er kommt nachher wieder, hat in der Zwischenzeit noch etwas zu erledigen«, lässt er mich wissen. Verstehend nicke ich, betrete mit den beiden Männern den Aufzug.
An der weißen Rückwand lehne ich mich an, überkreuze die Füße unter dem Kleid, dabei wippt der eine stetig zur langsamen Fahrstuhlmusik.
»Was gibts heute?«, fragt Miro ganz gelassen den Mitarbeiter.
»Als Tagesgericht gibt es geräucherten Lachs mit verschiedenen Beilagen, Sir.«
»Hört sich gut an.«

Die Türen des Fahrstuhls gleiten auf. Wir folgen dem rundlichen Mann mit blonden Haaren durch das Restaurant, welches gut gefüllt ist, bis zu einer kleinen Ecke, welche durch Raumtrenner vom restlichen Saal abgetrennt ist. Die Stimmen der Gäste sind von hier kaum hörbar. Er zieht mir den Stuhl zurück, worauf ich mich bedanke und mich setze.
»Darf ich ihnen schon etwas zu trinken bringen?« , erkundigt sich eine junge Kellnerin bei uns. Nachdem Miro mir einen Blick zugeworfen hat, nickt er und blättert kurz durch die Karte.
»Was möchtest du Elena?«, fragt er mich murmelnd. »Nur ein Wasser«, bestellte ich mir. Nach dem vielen Alkohol auf dem Ball möchte ich etwas langsamer machen. »Und ich einen Wein. Irgendeinen, ich habe keine Lust mich durch die gesamte Weinkarte zu graben«, murmelt Miro ausatmend.
»Kommt sofort.«
Die Kellnerin kehrt auf dem Absatz um, verschwindet hinter einer Wand. Nun sind wir allein.

Die Kerze, die der nette Mann zwischen uns entfacht hat, bevor er still und heimlich verschwunden ist, lodert still auf. Kein Windzug weht durch den Raum, nicht mal durch die großen Scheiben, die auf einen Balkon führen. Neben uns plätschert der Regen den Himmel hinab. Mit dem Rücken zur Wand sitzend, habe ich einen guten Überblick über unsere kleine Ecke. Neben dem Raumtrenner leuchtet eine Stehlampe, unter der ein kleiner Barwagen ruht. Miro sitzt auf einem braunen Holzstuhl mir gegenüber, hat die Ellenbogen auf den Tisch und das Kinn auf seine Faust gestützt. Dabei schaut er gedankenverloren aus dem Fenster. Das Jackett hängt am Haken neben dem Durchgang und die Ärmel seines weißen Hemdes sind locker nach oben bis zum Ellenbogen gerollt. Jedes Mal, wenn er sich bewegt, spannt der Stoff über seiner Brust.
»Du starrst«, merkt er an, ohne das Gesicht von den Fenstern abzuwenden. Lächelnd mustere ich sein Gesicht.
»Tue ich«, gebe ich zu. Noch immer sitzt mir das Glas Alkohol in den Knochen. Dieser macht mich viel selbstbewusster und offener als sonst.
»Du machst es mir wirklich nicht einfach...«, seufzt er, hebt das Kinn von der Faust und strafft die Schultern. Lässig zurückgelehnt schaut er mich an, fährt mit seinen Augen meinen Körper hinauf. Ich sehe seinen Mundwinkel zucken. Neugierig lege ich den Kopf schief.
»Was? Du starrst«, ziehe ich ihn auf. Miro schmunzelt verschmitzt.
»Nichts. Wir sollten vielleicht etwas bestellen, bevor sie uns wieder rausschmeißen«, schlägt er vor. Er reicht mir eine Karte, schlägt seine auf und tut so als würde er sie interessiert durchlesen. »Na gut«, sage ich. Ich vergrabe mein Gesicht hinter der in Leder gebundenen Karte, spähe immer wieder über den Rand, um ihn heimlich zu beobachten. Dabei treffen sich unsere Blicke öfters. Er lässt mich erröten.
»Haben sie sich schon entschieden? Hier sind ihre Getränke«, platzt die junge Kellnerin mitten in unser starren. Schnell landen meine Augen auf einem wahllosen Gericht, stelle fest, dass alles in Russisch geschrieben ist. Verzweifelt schaue ich in Miros Augen, welcher sofort erkennen zu scheint, welches Problem vorliegt. »Du magst doch Lasagne?«, erkundigt er sich, ignoriert die Kellnerin dabei völlig. »Natürlich« antworte ich. Miro klappt die Karte gutgelaunt zu. »Schön, dann einmal Lasagne und einmal Nudelauflauf«, bestellt er uns selbstbewusst. Er reicht der Kellnerin unsere Karten, nickt dann Richtung Ausgang. Er will, dass sie geht. »Kommt sofort«, säuselt sie übermäßig freundlich, kehrt auf dem Absatz um, verschwindet.

Ich nippe an meinem Glas Wasser. Es schmeckt etwas nach Zitrone, welche noch im Glas schwimmt. Die dünne Scheibe glitzert im kristallklaren Wasser. Immer wieder muss ich an heute Abend denken. Daran wie er mich geküsst, mich berührt und angesehen hat. Wie er über mir lag und wie er mich hielt. Gott - ich glaube, ich werde krank, mein Herz schlägt schon seit Stunden so heftig, dass ich Angst habe, das es platzt.
»An was denkst du?«, flüstert er fragend in meine Richtung. Als leise klassische Musik im Hintergrund aufspielt, setze ich das Glas ab und lasse die Finger über den kühlen, vom Eiswürfel beschlagenen Rand kreisen.
»An vorhin«, gestehe ich, blicke auf. Er spielt nachdenklich mit der Stoffserviette, wippt unter den Tisch langsam mit dem Fuß.
»Verstehe. Ich auch«, spricht er ehrlich. Diesmal lächle ich. »Es war wirklich schön, das sollten wir wiederholen«, wispere ich anzüglich.
Miro lächelt.
»Sollten wir unbedingt.«

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