~Kp 47~

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Das Erste, was ich spürte war die Kälte. Eine Kälte, die ihre eisigen klammen klauen nach mir ausstreckte, um mich in eine tödliche Umarmung ziehen wollte. Eine Kälte, die jede Faser meines Körpers durchdrang und mir mit all ihrer Kraft langsam auf qualvollste Art und Weise meine Lebensenergie entziehen wollte und dies dabei möglichst so vollzog, dass ich spürte, wie mein Blut langsamer durch meine Adern zu fließen begann und ich das Gefühl in meinen Fingern verlor. Dass ich spürte, wie mit jedem Atemzug mein Herzschlag seinen Rhythmus unterbrach und mein Brustkorb schwer wurde. Es war eine Kälte, die so geradlinig und ohne Scham mich in den Tod ziehen wollte, wie nichts auf der Welt es könnte. Sie hing an mir, zog an mir, erdrückte mich und machte mich gleichzeitig bewegungsunfähig.

Dann erst erkannte ich die zierliche von einem unnatürlichen Blau geblasste Hand in meiner und sofort durchzuckte mich das Grauen und die Gefühle stürzten über mir zusammen wie eine alte bröckelige Mauer, die das Dach eines uralten längst verlassenen Gebäudes nicht mehr tragen konnte. Es war alles wieder da. Die Angst, die Kälte und die an allem nagende Hilflosigkeit. Schnell klammerten meine Finger sich um die Hand, versuchten das Blau aus den Fingerspitzen zu quetschen, es für immer zu verscheuchen, damit es nie wiederkehren würde, doch ich konnte es nicht vertreiben. Konnte genauso wenig etwas dagegen anrichten, wie gegen die stetig fallenden Temperaturen. Oder die immer schneller fallenden Schneeflocken. Mein ganzer Körper zitterte und ich wusste nicht mehr, ob die Kälte daran schuld war oder das Übermaß an Gefühlen, die wie ein gewaltsamer Strudel in mir alles durcheinanderwirbelten, während mein Blick immer noch auf der Hand festklebte. Ich wusste, was ich sehen würde, wenn ich zu der Person, dessen Hand dies war, aufblicken würde. Ich wusste, dass es mein Herz zerreißen würde, doch wie jedes Mal konnte ich nicht anders. Konnte nicht anders, als aufzublicken und mein Herz aufs neue zu zerspringen hören. Erneut darüber zu erschrecken, wie die grünen Augen, die sonst so viel Intelligenz und Schalk in sich hielten, starr wie gläserne Gefäße dessen was ich einmal geliebt hatte, an mir vorbei blickten, auf ewig verdammt dazu in dieser Position zu verharren. Erneut meine Hände panisch in den kalten roten mit Schneeflocken und Eis durchzogenen Haaren zu vergraben in der verzweifelten Hoffnung, sie aufzuwecken. Doch ich wusste es war sinnlos. Ich wusste, dass ich nichts mehr ausrichten konnte. Ich wusste, dass sie tot war. Ich wusste es. Ich wusste es und doch tat es jedes Mal aufs Neue weh. Erfüllte mich jedes Mal wieder mit diesem mich zerreißenden Schmerz.

Doch plötzlich verschwamm ihr Gesicht vor meinen Augen und ihre roten Haare in meinen Händen, wurden zu einer undefinierbaren Flüssigkeit, die nun wie Blut von meinen Fingern tropfte. Was passierte hier? Mein Blick folgte quälend langsam einem dicken roten Blutstropfen, bis er auf etwas blasses fiel. Panik stieg in mir auf, als ich mich etwas nach vorne lehnte, um zu erkennen, was unter mir lag. Um zu sehen, wohin das Blut von meinen Fingern tropfte. Ich sah kurze schwarze lockige Haare und ein ebenmäßiges blasses Gesicht. War das.... George!

Schwer atmend schoss ich auf und mein Blick huschte panisch umher, während mein Herz heftig in meinen Ohren pochte. Schweiß klebte mein Leinenhemd an meinen Körper und erst als ich meine Hände, die sich verkrampft an der Decke festkrallten, fokussiert, realisierte ich, dass es nur ein Traum gewesen war.

Ein Albtraum.

Ich erschauderte. Ein Albtraum.

Aber ein Albtraum, wie ich ihn noch nie erlebt hatte, denn noch nie war alles so real gewesen. Noch nie hatte sich alles so echt so wie damals angefühlt. Und... und noch nie war Geroge darin gewesen.

Verzweifelt und verwirrt fuhr ich mit meiner zitternden Hand durch meine Haare und wollte somit meine Gedanken erneut ordnen und in Reih und Glied bringen, doch ich war machtlos gegen sie. Warum war Geroge in meinem Albtraum gewesen? Warum war er ebenfalls dort gewesen?

Ich setzte mich etwas auf und lehnte meinen schweren Gedanken gefüllten Kopf gegen die kühle Höhlenwand, während ich versuchte meinen immer noch hektischen Atem zu beruhigen.

Ich wusste die Antwort auf meine Frage. Ich wusste, wieso George in meinem Albtraum gewesen war, doch ich wollte es mir nicht eingestehen. Ich wollte es nicht zugeben, doch es war so klar, wie selten etwas zuvor. Er erinnerte mcih an sie. Er erinnerte mich an Dalia. Er war der Grund, wieso meine Albträume wieder schlimmer wurden, wieso sie mich immer und immer wieder das Gleiche durchleben ließen. Er brachte die Erinnerungen und die Gefühle zurück. Er grub alles aus. Holte alles wieder hervor, ohne zu wissen, dass er es tat.

Doch wovor ich am meisten Angst hatte, war die Tatsache, dass er nicht sie war. Es waren nicht ihre Augen, deren verschmitzter Blick Hitze sich in mir ausbreiten ließ, sondern seine. Es waren nicht ihre Berührungen, die eine Gänsehaut über meinen Rücken fahren ließen, sondern seine. Es war nicht ihr Lachen, das wie Musik in meinen Ohren klang, sondern seines. Und das machte mir Angst. Er machte mir Angst.

Ich vergrub meine Hände in meinen Haaren, versuchte irgendwie diese Gedanken aus meinem Kopf zu ziehen, damit ich sie weit weg vergraben konnte, doch sie entwanden sich jedes Mal meinem Griff und kehrten daraufhin noch stärker zurück als zuvor.

George war nicht Dalia. Er war nicht sie und er würde es niemals sein, denn er war so viel mehr. Ich konnte es nicht erkennen, konnte es nicht in Worte fassen, doch seine Augen hielten so viel mehr Ausdruck, sein Lachen war breiter, seine Sturheit war ausgeprägter, seine Neugierde so viel Echter und ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Ich wollte es nicht wahrhaben, wollte meine Augen davor verschließen und konnte doch meinen Blick nicht abwenden. Konnte mich doch nicht daran hindern, die Seite an mir hervorzulassen, dich ich mir geschworen hatte zu verbannen. Die Seite die bereit war zu fühlen, die bereit war sich selbst und seine Emotionen zu offenbaren, die bereit war sich anderen anzuvertrauen. Die Seite, die verletzt werden konnte. Die Seite, die nicht noch einmal verletzt werden sollte und die ich deswegen weggesperrt hatte. Die ich verbannt hatte, damit niemand sie jemals wieder entdecken würde und bloßstellen konnte. Damit nie mehr jemand mir das Herz aus meinem Leib reißen konnte. Doch egal wie sehr ich es mir auch vornahm, egal wie sehr ich versuchte, sie zu verstecken, Geroge brachte sie jedes Mal hervor. Lockte diese Seite hervor, bis sie wieder die Oberhand hatte und ich nicht anders konnte, als bei seinem Lachen selbst zu lächeln anzufangen. Bis ich nicht anders konnte, als mich ihm anzuvertrauen und seine Nähe zu suchen. Bis ich nicht anders konnte, als mich um ihn zu sorgen.

Ich zog meine Decke enger an mich und klammerte mich daran fest, als würde die Kälte aus meinem Albtraum wieder nach mir greifen und wünschte mir sogleich, dass George nun hier wäre. Dass der Prinz nicht, nachdem er mir essen gebracht hatte zurück in seine Nebenhöhle gegangen war, um sich dort schlafen zu legen, sondern bei mir geblieben wäre. Dass er irgendwie diese Kälte vertreiben hätte können und ich nicht diesen Albtraum hätte haben müssen. Dass er hier gewesen wäre und ich in Frieden hätte schlafen können. Doch erneut war dies nur die Seite, die ich panisch versuchte zu unterdrücken, die ich ihm gegenüber nicht zeigen durfte, aber ihm schon zu oft gezeigt hatte. Denn sie war falsch. Sie konnte nicht echt sein, sie konnte nicht wahr sein, deshalb musste sie weg. So weit weg wie möglich, damit ich wieder normal werden konnte. Damit ich wieder alles verdrängen konnte und nicht mehr erinnert wurde. Damit ich wieder nichts mehr fühlen musste.

Denkt daran, egal was ist, es wird immer Menschen geben, denen ihr wichtig seit! Aber vor allem solltet ihr euch selbst wichtig sein, weil ihr der wichtigste Mensch in eurem Leben seit! Also esst, trinkt, geht an die frische Luft und kümmert euch um euch selbst!

~S.

Die Träne der Königin// DNFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt