34.Taschentuch

1.1K 29 4
                                    

Jetzt stehe ich genau an der selben Stelle wie schon gestern, nur diesmal ist hell draußen und ich bin bereit die imaginäre Mauer zu durchbrechen.

Heute morgen als die Vorhänge meines Hotelzimmers öffnete und die Sonne mir ins Gesicht strahlte, fühlte es sich so richtig an wieder nach Hamburg gekommen zu sein. Es war also ob etwas in meinem Herzen anfing zubringen, was vorher schon lange erloschen war. Und ich wollte dies Gefühl mit allen Menschen dieser Welt teilen, also überlegte ich nicht lange. Ich öffnete Instagram und stellt ein Bild von der Straße, die ich beobachtete in meine Story mit der Aufschrift: Hamburg, I'm back!

Genauso überlege ich jetzt nicht lange und mache diesen Schritt auf unser Grundstück.
Ich atme immer schneller mit jeden Zentimeter, dem ich unsere Haustür näher komme und dann stehe ich keinen Millimeter davor.

Gruselig ?Komisch ?...keins dieser Worte kann die Gefühle in mir beschreiben und gleichzeitig beschreiben sie mein inneres Chaos perfekt.

Nicht drüber nachdenken!~wiederhole ich immer wieder in meinem Kopf und greife dann zum Blumentopf, der auf dem kleinen Stuhl neben der Haustür steht. Hier hat Mama früher immer einen Ersatzschlüssel versteckt und das auch noch heute, wie ich feststelle, als ich ihn hinter der Pflanze hervorziehe.

Leicht zitternd stecke ich den Schlüssel in die Tür, langsam dreht sich das Schloss und ich habe das Gefühl, die Luft wird immer dünner und meine Beine immer wackeliger.

...und dann kommt das Geräusch und das Schloss öffnet sich. Ich schließe die Augen und sehe meine Schwester vor mir...wie sie mich anlächelt. Genau, dass habe ich jetzt gebraucht.

Mit all dem Mut atme ich noch einmal tief ein, öffne mein Augen wieder und betrete ganz langsam unseren Hausflur.

Es fühlt sich an als würde ich 4 Jahre zurück katapultiert werden, wo alles noch so einfach war. Nichts hat sich verändert in den Jahren wo ich nicht hier war. Ich taste mich Zentimeter für Zentimeter nach vorne, als dürfte mich keiner hören.

Ich fühle nichts mehr, keine Aufregung, keine Angst...einfach nur leere.

Am Ende des Flures schaue ich kurz ins Wohnzimmer und da...da ist etwas was ich nicht kenne. Etwas was sich verändert hat.

Und nur bei dem Anblick, tauen meine Gefühle wieder auf. Ich muss grinsen, wobei mir gleichzeitig die erste Träne über die Wange kullert. Ich fühle Schmerz und Freude gleichzeitig falls das überhaupt möglich ist.

Gegenüber von mir hängt eine eine Leinwand aber nicht irgendeine. Darauf zusehen sind wir als Familie bei einer Schneeballschlacht im Stadtpark vor ungefähr 10 Jahren. Ich weiß noch wie eine nette Dame auf meine Mum zu kam und meinte sie hätte aus Zufall ein tolles Fotos von uns gemacht.

Und sie hatte recht, dieses Bild war so wunderschön. Wie wir alle so herzhaft lachen aus tiefstem Herzen ohne Zwang, einfach nur weil wir so glücklich waren. Es spiegelt alles wieder was wir als Familie sind....naja waren. Wie sehr ich mir wünschen würde nur noch einmal diesen Moment wieder zu erleben.

Keine Ahnung wie lange ich einfach nur im Türrahmen stehe und das Bild anstarre, jedes Zeitgefühl ist verschwunden. Als ich es schaffe meinen Blick abzuwenden, trockne ich meine Wangen mit dem Ärmel meines Pullis und mache mich dann auf den Weg nach oben.

Schon an der Wand die Treppe hoch, hänge all die Bilder von Florence und mir. Von unserem ersten Schultag oder beim Sandburgen bauen in Italien. Jedes Bild hat seine eigene Geschichte und so schleicht sich wieder ein leichtes Lächeln auf meine Lippen.

Doch dann kommt wohl die schwerste Hürde die ich überwinden muss. Ich stehe vor ihrem, vor Florence Zimmer. An ihrer Tür klebt auch immer noch ihr Namensschild was wir beide im Kindergarten gebastelt habe, so dass man nie verwechseln kann, wem welches Zimmer gehört, wie wir früher immer gesagt haben.

Ich nehme die Türklinke in die Hand und drücke sie ganz leicht herunter. Mit einem leichten quietschen öffnet sich die Tür und ich mache den ersten Schritt in ihr Zimmer.  Nur ein Blick reicht bevor ich komplett in Tränen ausbreche. Dieser Schmerz...dieser Schmerz ist so unerträglich. Als würde er mich wie ein Hammer treffen.

Ich hieve mich gerade noch aufs Bett, wo ich mein Gesicht in meinem Händen verstecke und meinen Tränen freien lauf lasse.

< Es...es tut mir so leid. Es tut mir so unendlich leid...> schluchze ich dahin < Das hast du alles nicht verdient. >

Alles in diesem Zimmer schreit nach ihr. Alles erinnert mich an die Florence, die jeder sofort in sein Herz geschlossen hat, weil sie die warmherzigste Person ist, die ich kenne. Ich habe sie bewundert wegen allem was sie in ihrem Leben erreicht hat, für all das was sie für mich getan hat. Ich hätte mir keine bessere Schwester wünschen können und umso mehr tut der nächste Satz weh.

< Ich vermisse dich so schrecklich >
Meine Tränen fließen wie ein unendlicher Wasserfall und der Schmerz wird mit jeder Sekunde unerträglicher.

Es fühlt sich an, als wäre ich in diesem Raum gefangen und es gäbe keine Tür nach draußen. Nur ich mit mir hier alleine...

Doch dann öffnet sich die Tür und jemand schließt mich in seine Arme. Ich muss nicht lange überlege um zu wissen, wer gerade das Zimmer betreten hat.

Leise und mit weinender Stimme flüstert mir meine Mum < Ich vermisse sie auch > ins Ohr und so sitzen wir einfach nur da und weinen, Arm in Arm.

Mein Mama und ich gemeinsam. Wie lange gab es schon kein gemeinsam mehr, sondern nur einen gegeneinander, und bei diesem Gedanken drücke ich sie fester an mich.

Langsam werden meine Tränen weniger und der Knoten in meiner Brust löst sich. Irgendwann richte ich mich wieder auf und meine Mama drückt mir ein Taschentuch in die Hand mit dem ich meine Tränen wegwische und meine Nase putze.

Nachdem ich dies wieder weggesteckt habe nehme ich die Hände meiner Mum in die Hand und fange anzureden.

< Ich...ich muss mich bei dir entschuldigen. > und sofort kullert wieder eine Träne über meine Wange und auch in den Augen meiner Mum kann ich erkennen wie sie mit den zu kämpfen hat. < Ich hab so unglaublich viel falsch gemacht. Ich hab immer all die Fehler  bei dir gesucht und habe gar nicht gemerkt was ich dir damit alles angetan habe. Ich habe dir so viel Kummer bereitet, all die schlimmen Worte, die ich dir an Kopf geworfen habe, für jedesmal das die Polizei mich nach Hause gebracht hat. Das alles hast du nicht verdient gehabt. Doch ich hab mich nach Florence...Tod...> ich spreche es aus...ich tue es und dieses mal ist es schon etwas weniger schlimm, als damals vor Julian.

<..so hilflos gefühlt. Meine ganze Welt ist zusammen gebrochen und ich wollte es nicht war haben. Sie war doch meine große Schwester. Oh Gott, wie sehr ich sie damals, gestern und jeden einzelnen Tag vermisse > beende ich meine Monolog, wonach mich meine Mum direkt noch einmal in den Arm nimmt.

< Es muss dir nicht leid tun...es sollte mir leid tun. > fängt nun sie an zureden und ich setzte mich wieder gerade vor sie hin.

< Weißt du noch als wir telefoniert hatten und ich gesagt habe, dass wir nicht alles richtig gemacht haben in den letzten Jahren. Das stimmt nicht, wir...wir haben mehr als nur ein bisschen falsch gemacht, wir haben dein Leben zerstört. Wir dachten wir beschützen dich vor dem Bösen was uns schon unsere erste Tochter genommen hat, aber eigentlich haben wir genau das Gegenteil gemacht. Ich schäme mich so sehr wie konnte mir das all diese Jahre nicht auffallen. Wie konnte ich denken dass es nur eine Sekunde deine Schuld war. Ich dachte ich habe auch meine zweite Tochter verloren. Und glaub mir es vergeht nicht ein Tag an dem ich nicht an sie denke, doch es wird besser. Und der Schmerz wird erträglicher...langsam aber es wird >

Und schon wieder sitzen wir hier und weinen, doch diesmal müssen wir beide grinsen und ich drücke ihre Hände ein bisschen fester.

< Du hast mich nie ganz verloren>




Was ein emotionales Kapitel, da hab ich glatt selbst ein Tränchnen verdrücken müssen.🥺

You don't need to know my nameWo Geschichten leben. Entdecke jetzt