1. Kapitel

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Es ist Freitag, das weiß ich bereits als der Wecker klingelt, weil meine Mutter in der Küche hantiert. Ich höre, wie die Kaffeemaschine läuft und Teller aufeinandergestapelt werden.

Ich atme einmal aus und strecke mich. Freitag, ist ihr freier Tag. Und Freitag ist der Tag, bevor ich Wochenende habe und somit auch frei bekomme.

Ich schaue auf mein Handy, doch es sind keine wichtigen Nachrichten zu sehen. Wenn ich ganz ehrlich bin, hätte ich sowieso nicht zurückgeschrieben. Ich würde mich jetzt nicht als arrogant bezeichnen, aber ich mache mir einfach nicht viel aus der Meinung anderer.

Früher war das anders, aber heute, bin ich mit meinen 18 Jahren davon überzeugt, dass ich mich nicht mehr um alles zu kümmern habe. Als ich jünger war tat ich mir auch schwer, schnell Freunde zu finden. Ich konnte mich schlecht öffnen und war oft allein.

Zu meinen Eltern hingegen hatte ich immer ein gutes Verhältnis. Wir waren eine kleine Familie, die es genoss, irgendetwas zu unternehmen oder zusammenzusitzen. Ich war das einzige Kind und somit auch immer im Mittelpunkt des Geschehens.

Wir machten oft Ausflüge, hatten viel Spaß und lachten viel. Ich liebte meine Eltern, auch wenn mich ihr gutes Verhältnis untereinander ab und zu störte. Vor allem als ich dann älter wurde und es mir peinlich war, dass meine Eltern sich in aller Öffentlich küssten und verliebt wirkten. Damals wünschte ich mir, sie würden ihre Gefühle füreinander nicht allen zeigen. Ich hoffte es würde aufhören, damit ich mich nicht schämen brauchte.

Heute denke ich, ich hätte das damals mehr schätzen und mich nicht so dagegen wehren sollen. Aber im Nachhinein ist man immer schlauer.

Ich seufze als mein Blick auf die Uhr fällt. Es ist schon sieben Uhr. Warum vergeht die Zeit immer am schnellsten, wenn man einfach nur ein bisschen im Bett liegt und nachdenkt? Es ist jedes Mal das gleiche.

Tatsächlich war ich aber sowieso nie pünktlich. Meine Lehrer hassten das, dass sagten sie mir ab und zu auch ins Gesicht. Aber ich hatte mit der Zeit eine harte Haut bekommen, somit war mir das ziemlich egal. Ich würde die Schule sowieso in einem Jahr abschließen und dann müsste ich all diese Menschen nicht mehr sehen.

Ich rolle mich auf die Seite und steige dann aus dem Bett. Dann trotte ich ins Bad. Dort springe ich schnell unter die Dusche, rasiere mich und lasse währenddessen die Haare an der Luft trocknen. Währenddessen mache ich mich wieder auf den Weg in mein Zimmer und nehme mir Unterwäsche, ein T-Shirt und eine Hose aus dem Kleiderschrank.

Nach dem Anziehen laufe ich barfuß die Stiegen in die Küche hinunter. Und tatsächlich steht meine Mum unten an der Küchenzeile und rührt in einem Topf. Ich merke, dass sie nicht wirklich anwesend ist. Das sehe ich sofort an den langsamen, fast roboterhaften Rührbewegungen und dem Starren. Es ist schwer für sie und ich bin ihr nicht böse, deswegen.

»Hey Mum...«, sage ich leise, gehe auf sie zu und lege ihr sanft eine Hand auf die Schulter, um sie nicht zu erschrecken. Obwohl sie groß ist, überrage ich sie mit Leichtigkeit. Die Frau dreht ihren Kopf in meine Richtung, sieht mich an und blinzelt einmal.

»Ollie mein Schatz, was möchtest du essen?«, fragt sie und ich zucke die Achseln. Ich bin aber froh, als ich merke, dass sie wieder mit auf unserer Welt ist.

»Warte kurz, ich streiche dir ein Brot«, erklärt meine Mutter und ich lasse sie machen. Nach einem halben Jahr, weiß ich, wie ich in solchen Situationen am besten reagieren muss. Ab und zu muss ich nachgeben und sie einfach machen lassen. Dann fühlt sie sich besser und ich kann sicher sein, dass sie nicht in dunklen Gedanken verschwindet.

Meine Mum nimmt ein Stück Brot aus der Brotdose, läuft zum Kühlschrank und nimmt einen Aufstrich mit Karotten aus der Lade. Danach macht sie sich ans Streichen. Nach ein paar Minuten hält sie mir das fertige Brot mit Aufstrich hin und ich nehme es und lege es auf einen weißen Teller, der neben dem Waschbecken steht und schon abgetrocknet ist.

Als ich mich auf den Esstisch fallen lasse und meine Beine darunter ausstrecke, fällt mir ein Blumenstrauß in der Vase auf. Ich setze mich weiter auf und mustere ihn.

»Von wem ist denn der?«, ich will nach der Karte greifen, die an der gelben Blume befestigt ist, aber meine Mutter steht schon hinter mir und reißt sie mir aus der Hand.

»Nur ein Dankeschön aus der Arbeit...«, ihre Stimme klingt ein wenig angespannt.

»Sicher?«, hake ich noch einmal nach.

»Ja!«, antwortet sie und ihre Stimme zittert dabei. Jetzt ist sie wütend, toll. Aber ich bin davon ausgegangen, dass das irgendwann passiert. Ich wusste es einfach. Irgendwann wird sie sich neu verlieben und ein Typ muss damit klar kommen, dass er plötzlich einen Sohn hat. Entweder es wird dann gut gehen oder es wird ziemlich schwer für ihn. Das kann ich jetzt noch nicht sagen, aber dem Blumenstrauß nach zu urteilen, habe ich bald eine Antwort darauf. Ich reiße mich von den Blumen los.

»Ich muss dann los, sonst komme ich zu spät«, erkläre ich und stehe auf. Ich gehe an ihr vorbei und stelle den leeren Teller in die Spüle. Sie lächelt leicht als ich auf sie zukomme. Meine Mum sieht mir in die Augen.

»Bis später, Ollie!«, sagt sie und wuschelt mir mit der Hand durch die blonden Haare. Ich bin 18 Jahre und das hat sie schon getan, als ich acht Jahre alt war. Heute sehe ich darüber hinweg.

»Ciao Mum!«, dann laufe ich die Stiegen hinauf. Greife nach meinem Rucksack, der beim Schreibtisch steht. Ich habe mir gestern nicht einmal die Mühe gemacht, ihn auszuräumen. Ich wühle in der Sockenschublade, bis ich weiße Socken finde, die ich im Stehen versuche anzuziehen, was sich schwieriger gestaltet, als gedacht. Ich schwanke kurz, kann mein Gleichgewicht aber wieder erlangen und laufe danach die Stufen wieder nach unten. In der Garderobe binde ich mir meine dunkelblauen Turnschuhe, nehme den Autoschlüssel und schließe die Tür hinter mir.

Mein Auto steht in der Garage, die gleich an das Haus angrenzt. Dort stehen zwei Autos. Mein schwarzes und das graue Firmenauto meines Dads, das meine Mutter jetzt fährt. Ich steige ein und nach kurzem Stottern des Autos springt es an und rollt hinaus auf die Straße. Ich manövriere mich ohne weitere Vorkommnisse in die Schule.

Einen Parkplatz finde ich schnell, weil ich halbwegs früh dran bin. Dann gehe ich mitsamt meinem Rucksack über den Pausenhof. Von weitem sehe ich, dass Tom und Zoe schon dort stehen und er seinen Arm um sie gelegt hat. Neben ihnen stehen noch ein paar weitere Gruppen mit Schülern. Manche habe ich noch nie gesehen, andere kenne ich von Feiern.

»Hey Ollie, du kommst doch heute mit, oder?«, fragt Tom, als ich mich im Pausenhof zu seiner Gruppe geselle.

»Klar!«, mache ich, ich habe sowieso nichts anderes vor. Es ist Freitag und eine Party steigt bei einem Jungen, der in unserer Klasse ist. Tom versteht sich gut mit ihm. Er ist auch der, der immer organisiert und sich umhört, was es Neues gibt. Er war immer schon viel durchdachter vom Leben und hatte einen Plan. Ich bin mehr der Typ „es kommt, wie es kommen muss". Denn was will man schon lenken im Leben? Das Schöne oder Schreckliche lässt sich sowieso nicht verhindern.

Ich kenne Tom jetzt schon seit über zehn Jahren. Wir wissen alles voneinander. Wir haben die dunkelsten Geheimnisse geteilt, zusammen gelacht und manchmal auch geweint. Wir waren beste Freunde. Und ich dachte, dass uns dieser Titel niemals verloren geht.

Doch im letzten Jahr hat sich etwas verändert. Er hat sich in Zoe verliebt, die ein Jahr jünger ist als wir und unsere Freundschaft hat kleine Risse bekommen. Nicht, dass ich ihm die Liebe nicht gegönnt habe, das habe ich schon. Er hat nur einfach sehr viel Zeit mit ihr verbracht und mich dabei vernachlässigt. Frisch Verliebte soll man nicht stören, heißt es und ich wollte ihnen ihr Glück nicht verderben. Obwohl ich in dieser Zeit einiges zu reden hatte. Während mein bester Freund auf Wolke sieben schwebte, bin ich auf der Erde geblieben, mit festem Boden unter den Füßen.

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Mein erstes Kapitel! :D

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Hinter verschlossenen Türen [boyxboy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt