20. Kapitel

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Die Englischlehrerin entlässt uns aus dem Unterricht und wünscht uns noch einen schönen Tag. Ich weiß nicht, ob der wirklich so schön werden wird. Tatsächlich bezweifle ich es. Was ist schon schön in den letzten Tagen? Tyler? Tyler. Warum ich jetzt an ihn denke, ist mir schleierhaft.

Schnell verdränge ich die Gedanken und konzentriere mich auf die Schule. Geografie steht im Stundenplan und ich habe Glück, dass wir nicht den Raum wechseln müssen.

Doch bevor dieses Fach beginnt, haben wir noch eine kurze Pause. Ich krame mein Handy hervor und checke, ob mir Tom vielleicht geschrieben hat - hat er nicht. Und ob sich sonst irgendwas Spannendes getan hat - auch nicht.

Nur meine Mum hat mir eine Nachricht hinterlassen. Sie kauft nach der Arbeit gleich ein, wir kochen dann gemeinsam etwas. Ihre perfekte Rechtschreibung in der Nachricht, lässt mich die Augen verdrehen. Schnell schicke ich einen Daumen nach oben zurück.

»Hey?«, macht Lenny plötzlich neben mir und ich sehe auf. Er fährt sich unsicher durch die Haare. Was hat er denn? Ich ziehe eine Augenbraue in die Höhe und warte.

»Also deine Antwort...«, beginnt er und wirkt plötzlich ängstlich. Ich versteife mich. Was wird das jetzt? 

»Welche Antwort? In Mathe?«, ich stehe ziemlich auf der Leitung.

Er lacht leicht und sagt: »Nein, ich meine auf der Party« Dann hält er inne und es wirkt so, als ob er auf eine Erklärung wartet. Was möchte er hören?

»Das mit Zoe...«, versucht er zu erklären und ich verstehe. 

»Ah, du meinst, weil sie in den Raum gestellt hat, ich würde auf Typen abfahren?«, erkundige ich mich und er nickt.

»Also ich habe nichts dagegen... Ich wollte nur wissen, ob an dem Gerücht etwas dran ist«, sagt er dann langsam und dafür, dass er so eine große Klappe hat, traut er sich jetzt nicht, mich anzusehen. Ich dachte er war damals so betrunken, dass er sich an meine Antwort gar nicht erinnern kann. Anscheinend doch.

»Ich mag Mädchen. Vielleicht mag ich auch Jungs. Das weiß ich auch noch nicht so genau...«, versuche ich zu erklären. Ich weiß nicht, was ich sonst sagen soll. Ich bin doch in diesem Thema auch so unsicher. Doch Lenny lächelt mich an.

»Ist ja auch egal. Ich wollte es nur wissen«, meint er und klopft mir auf die Schulter. Ich nicke langsam. Ich frage mich, wie viele sich von der Party noch an meine Aussage erinnern. Eigentlich könnte es mir egal sein. Aber irgendwie ist es das nicht.

Als die Geografie-Lehrerin die Klasse betritt, bin ich noch am Überlegen, was ich jetzt eigentlich will. Tyler erscheint immer wieder in meinem Kopf. Den kenne ich doch nicht mal richtig und jetzt waren wir fast so etwas wie Stiefgeschwister. Ich sollte ihm schreiben. Sollte ich wirklich. Doch will er das noch? Will ich das? Darum geht es schließlich.

»Also die Europäische Union? Was fällt euch dazu ein?«, fragt die Lehrerin und ein paar melden sich, um ihre Begriffe an die Tafel zu schreiben. Wir schreiben mit und ich bemühe mich wirklich mitzuarbeiten und alles mitzubekommen.

Ein paar Stunden später habe ich den Schultag hinter mich gebracht und will nach Hause fahren. Doch, bevor ich ins Auto steigen kann, ruft jemand meinen Namen. Ich drehe mich um. Dort steht Zoe. Was will sie denn jetzt noch?

»Ja?«, ich kann es nicht verhindern, dass meine Stimme böse klingt.

»Weißt du, was mit Tom los ist?«, fragt sie dann.

»Ich weiß es nicht. Er hat mir nichts gesagt...« Sie runzelt die Stirn.

»Mir hat er auch nichts geschrieben... Kannst du vielleicht bei ihm vorbeischauen, ihr wohnt doch nicht so weit entfernt«, Zoe sieht mich erwartungsvoll an. Eigentlich sollte ich ihr jetzt an den Kopf werfen, dass sie mich bei dem Spiel am Freitag gedemütigt hat. Aber ich beiße mir auf die Zunge und nicke.

Wenn Tom ihr auch nichts gesagt hat, vielleicht ist wirklich etwas passiert. Und wir waren befreundet, ich sollte wirklich nach ihm sehen.

»Okay, mach ich«, gebe ich schließlich nach. Sie bedankt sich und verschwindet wieder. Beim Heimfahren überfahre ich fast einen Fußgänger, weil ich so in Gedanken bin. Hoffentlich ist nichts geschehen. Ich verstehe auch nicht, wieso Zoe plötzlich so nett ist. Fast schon menschlich. Ist ja gruselig.

Ich parke das Auto in die Garage und laufe gleich zu Tom hinüber. Ich klingle, doch keiner öffnet. Nachdem leichte Panik in mir aufsteigt, klopfe ich mit der flachen Hand an die Tür und rufe seinen Namen. Dann gehe ich um das Haus herum. Ich greife nach meinem Handy und wähle Toms Nummer. Es läutet sieben Mal und als ich gerade auflegen will, höre ich seine Stimme.

»Ollie?«, fragt er leise und ich atme aus.

»Tom! Wo bist du? Ich mache mir Sorgen...«, das letzte wollte ich gar nicht so dokumentieren, aber es ist nun mal die Wahrheit.

»Warum?«, fragt er und ich bin kurz davor auszurasten.

»Warum?! Du warst nicht in der Schule und hast keinem gesagt, wo du bist. Zoe war bei mir und hat mich gefragt, ob ich weiß, wo du bist! Und zu Hause bist du auch nicht...«, zähle ich auf und atme danach laut aus.

»Ich habe Zoe doch gesagt, dass ich meine Mutter zum Arzt fahren muss... Wusste sie das nicht mehr?«, fragt er dann und ich balle die eine Hand zu Faust.

»Nein...«, ich bin so wütend. Das wusste sie anscheinend nicht... Wollte sie mir eines auswischen, mit dieser Aktion? Wenn ich sie morgen wieder sehe, wird etwas passieren. Sie kann sich auf etwas gefasst machen.

»Wolltest du sonst noch etwas?«, durchbricht Tom dann die Stille zwischen uns.

»Nein, das wars!«, ich lege auf, bevor er noch etwas sagen kann. Dann gehe ich wieder hinüber zu unserem Haus. Ich schlüpfe aus den Schuhen und gehe danach in mein Zimmer. 

Was läuft falsch mit Zoe? Ich habe keine Ahnung was sie mit dieser Aktion bezwecken wollte. Wollte sie mich erschrecken, schockieren oder in Angst versetzen? Oder hatte sie doch gute Absichten? Wollte sie, dass Tom und ich uns wieder anfreunden? So wie ich sie kenne, führte sie nichts Gutes im Schilde. Sie ist der Teufel in Person. Ich bin wütend und gleichzeitig frage ich mich, wie ich auf sie hineinfallen konnte. Ich wusste doch, wie sie ist. Und doch konnte sie mich einwickeln und verängstigen.

In der aufkommenden Wut schlage ich gegen das Regal neben meinem Bett. Dieses wackelt, bleibt jedoch stehen und ich lasse mich neben das Bett sinken.

Hinter verschlossenen Türen [boyxboy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt