Irgendwann schlafe ich ein. Ich werde erst wieder wach, als ich höre, dass im Erdgeschoss die Tür zufällt. Ohne aufzustehen, weiß ich, dass es meine Mum ist.
Ich höre, wie sie den Schlüssel dreimal im Schloss herumdreht, damit nichts passiert und keine ungebetenen Gäste ins Haus kommen. Fast muss ich lachen. Wir wohnen im ländlichen Gebiet und jeder kennt jeden. Ich denke nicht, dass sich irgendjemand in der Nacht in unser Haus schleicht. Ich setze mich auf meine Unterarme stützend auf.
Der Vollmond scheint ins Zimmer. Ich stehe langsam auf. Es ist mitten in der Nacht und ich trage noch immer meine Kleidung. Zähne geputzt habe ich auch noch nicht. Bevor ich ins Bad gehe, schließe ich die Vorhänge, damit es ein wenig dunkler im Raum ist.
Danach gehe ich schnell ins Bad und ziehe mich aus. Geduscht habe ich schon und somit putze ich nur meine Zähne und ziehe eine frische Boxershorts an. Schnell laufe ich wieder in mein Zimmer zurück.
Ich bleibe jedoch stehen, als ich im Erdgeschoss einen schwachen Lichtschein sehe. Langsam und so leise wie möglich gehe ich die Stiegen hinunter und erblicke meine Mutter im Wohnzimmer. Sie sieht mich nicht.
Vor ihr auf dem Tisch steht eine Kerze. Ich frage mich, ob sie am Friedhof war. Ich war ein einziges Mal dort. Das war am Begräbnis meines Dads. Ich habe ihn seitdem auch nie mehr besucht. Ich weiß aber, dass meine Mum öfter mal hinfährt. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was das bringen soll. Ich kann meinen Vater zu Hause vermissen, oder an seinem Grab. Und so oder so kommt er nicht zurück. Aber wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich auch Angst, sein Grab zu besuchen. Vielleicht vor der plötzlichen Trauer, oder dass ich damit nicht umgehen kann.
Meine Mutter liegt ausgestreckt auf der Couch, vor ihr erstreckt sich die Flamme der Kerze und es ist, als würde sie auf etwas warten. Die Kerzenflamme flattert ein wenig und ich frage mich, wo der Luftzug herkommt, der sie sich bewegen lässt.
Als sich meine Mum plötzlich ruckartig bewegt, zucke ich zusammen und erstarre. Ich hoffe, sie hat mich nicht gesehen. Aber wie es scheint, hat sie das nicht.
Denn ich nehme nur wahr, dass sie mit den Händen nach einer Decke sucht, die sie sich um den Körper wickelt. Dann wird es still und ich weiß, dass sie richtig eingeschlafen ist.
Ich gehe noch ein paar Stufen hinunter und sehe, dass im Kerzenschein ihr Gesicht schmerzhaft verzogen ist. Ihre Mundwinkel hängen nach unten und auf ihren Wangen zieht sich eine Tränenspur.
Ich frage mich, ob etwas mit Georg passiert ist. Sie werden sich doch nicht gestritten haben. Auch wenn ich noch nicht so viel über ihn weiß und auch keine Ahnung habe, wie ernst ihm das alles ist. Aber ich gehe schon davon aus, dass er ein Mann wäre, der Probleme und Streit klären kann. Und ich sehe es auf jeden Fall nicht ein, dass meine Mum jetzt hier weint. Oder es ist etwas anderes geschehen. Meine Mutter hat nun mal einfach ein großes Herz und ziemlich anfällig für Tragödien. Ich hoffe, es ist nichts passiert.
Ich gehe langsam auf den Couchtisch zu und blase die Kerze mit einem Pusten aus. Nicht das morgen das Haus in Flammen steht. Dann ist die nächste Tragödie schneller da, als wir aufwachen können. Ich habe keine Lust Feuerwehr zu spielen. Da sorge ich lieber gleich für ihre Sicherheit.
Nachdem ich meine Pflichten als guter Sohn erfüllt habe und die Decke enger um sie gewickelt habe, gehe ich wieder nach oben.
Es ist dunkel, als mein Handybildschirm kurz den Raum erhellt. Ich halte die Luft an. Kurz spiele ich mit dem Gedanken, dass es Tyler sein könnte. Doch das ist nicht möglich. Woher sollte er auch meine Nummer haben? Ich gehe zu meinem Schreibtisch und sehe nach, wer etwas von mir will.
Florentine möchte mir auf Instagram folgen. Schnell drehe ich mein Handy ab. Darauf habe ich gerade am allerwenigsten Lust. Außerdem benutze ich die Apps nur sehr selten. Ich lebe lieber im Realen als in einer Fakewelt. Außerdem ist diese Frau ist nicht einzuschätzen. Ich hoffe wirklich sie hält sich an unsere Regel, sonst muss ich zu anderen Maßnahmen greifen. Ich will weder ihr Freund sein noch mich mit ihr abgeben. Ich habe besseres zu tun. Obwohl das im Moment eher wenig ist.
Mit Tom werde ich mich in nächster Zeit nicht treffen, denn der hat einen festen Zeitplan mit Zoe. Meine Mutter hat jetzt Georg, der hoffentlich gut zu ihr ist. Da wäre noch Lenny, der scheint mir ein guter Kumpel zu sein, aber ich weiß auch nicht, ob es jemals so werden kann wie mit Tom. So eine Verbindung und Freundschaft. Vielleicht wird es noch etwas. Ansonsten bin ich eben allein, bis jetzt hat das auch gut funktioniert. Freunde werden sowieso überbewertet.
Ich werfe mich wieder in mein Bett zurück und gähne. Nachdem ich mich hin und her geworfen habe, schaffe ich es irgendwann einzuschlafen.
...
Der nächste Tag geht schnell vorbei. Meine Mum wirkt erholt, obwohl es Stunden davor nicht so ausgesehen hat. Aber da sie anscheinend nicht darüber reden möchte, belasse ich es dabei. Wenn etwas passiert ist, wird sie es mir schon sagen. Und wenn es nicht so ist, dann ist das auch gut so. Ich weiß, dass es ab und zu schwer ist, über bestimmte Dinge zu sprechen. Vielleicht hat man Angst, oder man hat einfach keine Lust darüber zu reden. Solange es meiner Mutter gut geht, kann sie sagen oder nicht sagen, was sie möchte. Aber ich will einfach nicht, dass sie wieder in die Traurigkeit zurückfällt.
Ich helfe ihr beim Aufräumen des Hauses und wir sehen uns zusammen einen Film an, den sie aussucht und knabbern süße und salzige Snacks. Ich lasse die Liebeskomödie bis zum Schluss über mich ergehen, obwohl ich manchmal fast davor bin, mich vor lauter Herzschmerz und Schmalz zu übergeben.
Am Abend fällt mir wieder ein, dass ich morgen einen Mathematik-Test schreibe. Für den ich, wie sollte es anders sein, noch nicht gelernt habe. Leider weiß ich aber, wie schlecht es um meine Noten steht, deswegen setze ich mich noch einmal an den Tisch, um wenigstens die Grundlagen durchzugehen. Besser ein bisschen etwas zu können als gar nichts.
Irgendwann ist meine Lerneinheit auch vorbei und ich beschäftige mich vor dem Schlafengehen noch ein bisschen mit meinem Spiel, dass ich auf meinen Laptop geladen habe.
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Hinter verschlossenen Türen [boyxboy]
Romantizm... ,,Ich habe mich schon in dich verliebt, als du mir in dieser Nacht vor die Füße gestolpert bist." ... Ollies Vater ist gestorben. Seine Mutter verliebt sich neu und ihr Freund bringt seinen Sohn Tyler mit in die Beziehung. Das Problem ist, Olli...