Ich will gerade etwas erwidern, doch in dem Moment kommen unsere Getränke.
Als die Kellnerin verschwunden ist und ich einen Schluck von meinem Kaffee genommen habe, spreche ich weiter: »Florentine. Ich habe es dir schon mehrere Male gesagt. Ich möchte nichts von dir!« Endlich ist es raus.
»Und der Kuss?«, sie schürzt die Lippen.
»Das war eine einmalige Sache«, gebe ich zurück.
»Aber Ollie...«, sie ist aufgestanden und das Zurückschieben des Sessels hinterlässt ein kratziges Geräusch. Dann bückt sie sich zu mir hinunter und umfasst mein Gesicht mit ihren spitzen Nägeln. Kurz habe ich Angst, um meine Augen.
»Ich weiß, dass du etwas für mich empfindest«, behauptet sie.
»Nein«, sage ich harsch. Als ich sehe, dass auf der gegenüberliegenden Seite Menschen stehen geblieben sind und schon zu uns herübersehen, habe ich genug. Ich sitze zwar in dem Schaufenster, aber ich werde es jetzt verlassen.
Ich schiebe Florentines Hände weg und drücke sie auf ihren Platz zurück. Dann greife ich nach der Tasse. Ich trinke sie in einem Zug leer. Dabei verbrenne ich mir die Zunge und verabschiede mich geistig schon von meinem Geschmackssinn.
»Hör mir zu, Florentine!«, meine Stimme ist laut. Aus den Augenwinkeln sehe ich ein paar Menschen, an den Tischen, die ihr Gespräch eingestellt haben. Ist mir egal.
»Ich möchte nichts von dir! Ich will dich weder küssen, noch anfassen, noch finde ich die besonders hübsch...«, ihre weit aufgerissenen Augen mustern mich nach den Sätzen.
»Und außerdem habe ich jemanden!«, mit den letzten Worten krame ich ein paar Euros aus meiner Hosentasche, werfe sie auf den Tisch, wo zwei liegen bleiben und einer davonrollt und auf den Boden fällt. Dann rausche ich davon.
Als die Tür hinter mir ins Schloss fällt, atme ich aus. Es ist kühler geworden. Ich ziehe die Jacke ein wenig um mich und atme die Luft aus, die ich angehalten habe. Anschließend laufe ich zu meinem Auto, das ich ein paar Gassen weiter geparkt habe. Ich krame mein Handy hervor und sehe kurz darauf.
Tyler: Was ist los?
Fragt Tyler in seiner Nachricht, die mich schon kurz nach 16 Uhr erreicht hat. Oh Gott, dann war das Klingeln im Auto seine Nachricht. Und ich hätte sie einfach ignoriert. Okay, die Frage ist, was schreibe ich jetzt zurück? Wenn ich ihm jetzt meine halbe Lebensgeschichte erzähle, ist es unangenehm und er hat bestimmt nicht so viel Zeit, das alles zu lesen. Und Lust auch nicht.
Ich setze mich in mein Auto und zerbreche mir den Kopf, womit ich Tyler nicht zu sehr langweile und er mir dann auch wieder etwas zurückschreibt.
Ich: Heute hatte ich ziemlichen Stress in der Schule.
Ich habe einfach das Gefühl, ich passe gar nicht hierher.
Tippe ich und nach kurzem Zögern schicke ich es ab. Es kommt nicht mehr an. Um mich abzulenken, fahre ich zu einem Supermarkt in der Nähe und kaufe mir eine Flasche Wasser, die meine Zunge kühlt.
Während das kalte Mineralwasser meine Kehle hinunterrinnt, warte ich darauf, dass mein Handy sich meldet. Doch es vergehen Sekunden, Minuten und schließlich sitze ich eine Stunde im Auto.
Die Luft um mich herum ist kalt, aber ich habe keine Lust, die Heizung und somit dem Motor zu starten.
Vielleicht hätte ich schreiben sollen, dass sich alles erledigt hat, dass es mir gut geht und dass ich klarkomme.Es ist kurz vor 18 Uhr als mich ein Gefühl packt. Ich kann es nicht einordnen und benennen. Generell fällt es mir wahnsinnig schwer, Gefühle mit Worten zu beschreiben. Gefühle machen einen schwach, lassen einen zerbrechen.
Ich hasse mich, dass ich meinen besten Freund geschlagen habe. Sein Gesicht, dass vor meinen Augen blutet, lässt mich schaudern.
Ich hasse mich dafür, dass ich Florentine nicht von Anfang an meine klare Meinung gesagt habe. Jetzt habe ich ihr Schmerz zugefügt und sie will und kann es nicht verstehen.
Ich hasse mich, dass ich Tyler nicht als erstes schreiben konnte. Dass er, wie auch immer er meine Nummer bekommen hat, sich bemühen musste, wieder etwas aufzubauen.
Ich hasse mich, dass ich meinen Vater nicht stolz machen konnte und es immer noch nicht kann. Ich hoffe, wenn es einen Himmel gibt, dass er mich von dort nicht sehen kann. Seinen einzigen Sohn, der sein Leben, die Freunde und die Liebe absolut gar nicht im Griff hat. Und der genau das nicht schafft, was mein Dad mir aufgetragen hat.
Ich habe kläglich versagt. In allen Bereichen. Und aus dieser Tiefe, in die ich gerutscht bin, komme ich auch nicht mehr heraus. Was bin ich für ein Versager? Am besten, ich buddle mir neben meinem Vater ein Loch und lege mich gleich zu ihm dazu.
Denn, wenn ich jetzt nach Hause fahre, gibt es nur Ärger von meiner Mutter und ich fühle mich noch schlechter. Obwohl, wie schlecht kann man sich eigentlich fühlen?
Wie schrecklich muss es einem Menschen gehen, bevor er etwas tut, dass unausweichlich ist? Wie weit muss man vor dem Abgrund stehen?Ich schlage mit der Faust gegen das Armaturenbrett, als mich die plötzliche Wut packt. Ich will nicht mehr. Ich schlage noch einmal hin. Es macht einen Laut und irgendwas zersplittert im Auto. Ich atme durch, bevor ich noch mein ganzes Auto zerstöre. Dann habe ich noch ein Problem mehr.
In einer Kurzschlussreaktion reiße ich die Fahrertür auf. Dir kühle Luft schlägt mir entgegen und lässt mich scharf die Luft einziehen. Der Himmel steht in dunklen Farben und ich bin kurz erstarrt, von der Schönheit.
Dann reiße ich mich zusammen und überlege was ich anstellen könnte. Mein Blick fällt auf den Supermarkt auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Ich greife mit der rechten Hand in das Fach unter dem Radio. Ich finde zehn Euro, die ich immer dabeihabe, falls ich schnell Geld benötige. Die stecke ich in meine Hosentasche und überquere die Straße.
Ich betrete das Geschäft ein zweites Mal an diesem Tag. An der Kasse steht ein Mann mittleren Alters und unterhält sich mit der Kassiererin. Ich gehe in die Regale mit den Getränken und schnappe mir nach kurzem Überlegen eine Flasche mit Alkohol. Damit gehe ich zur Kasse. Die Kassiererin kontrolliert meinen Ausweis nicht, anscheinend sehe ich so aus, als wäre ich volljährig. Ich bezahle und verlasse das Geschäft mit schnellen Schritten.
Sobald sich die Tür hinter mir geschlossen hat, schraube ich die Flasche auf und trinke so lange, bis meine Mundhöhle und meine Augen vom Alkohol und nicht mehr von den Tränen brennen.
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Hinter verschlossenen Türen [boyxboy]
Romance... ,,Ich habe mich schon in dich verliebt, als du mir in dieser Nacht vor die Füße gestolpert bist." ... Ollies Vater ist gestorben. Seine Mutter verliebt sich neu und ihr Freund bringt seinen Sohn Tyler mit in die Beziehung. Das Problem ist, Olli...