26. Kapitel

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Ich taumle zurück und meine Hand fasst geistesgegenwärtig auf meine Nase. Vor meinen Augen hat sich ein weißer Schleier gebildet. Im ersten Moment weiß ich nicht, was gerade passiert ist und wo ich bin.

Doch als ich das Blut auf meinen Fingern erblicke und Toms Gesicht vor mir sehe, nimmt die Wut meinen ganzen Körper ein. Sie beginnt in meinen Finger und bald ist mein ganzer Körper gefüllt davon.

Ich weiß, dass Schläge unangebracht sind. Ich weiß, dass ich meine Wut zügeln und einmal durchatmen muss. Doch, gerade in diesem Moment, da kann ich nicht anders. Natürlich habe ich mich schon geprügelt und das nicht nur einmal. Mit Tom aber noch nie. Ich wäre auch nie auf die Idee gekommen, ihm irgendwann einen Schlag zu verpassen.

Mit einem lauten Klatschen fliegt sein Kopf zur Seite, als ich einen Schlag austeile. Er reißt die Augen auf. Und für einen Moment, denke ich, dass er alles ungeschehen machen will. Doch dann ist dieses Innehalten vorbei und er kneift die Augen zusammen und schlägt zurück.

Nach und nach dringen wieder die Stimmen der anderen zu mir hinüber und ich sehe Toms blutendes Gesicht vor mir. Ich weiß aber, dass ich auch nicht sonderlich besser aussehe. Der Sportlehrer schreit etwas, was ich aber nicht verstehen kann. Erst nach und nach erreichen die »Stop«-Rufe, mein Gehirn.

Ich werde an den Armen zurückgezogen und festgehalten und aus den Augenwinkeln sehe ich, dass auch Tom sich schon am Boden befindet.

Ich wehre mich und versuche um mich zu schlagen, doch ich kann meine Hände nicht richtig bewegen und mir wird bewusst was ich getan habe. Ich habe meinen besten Freund geschlagen. Er mich zwar auch, aber ich konnte mich nicht beherrschen. Und jetzt, wo es geschehen ist, hasse ich mich dafür. Das räumt unsere Probleme auch nicht aus der Welt.

Meine Mutter wird mich killen, ist mein erster Gedanke. Das mich Toms Eltern und Zoe auch umbringen werden, an das denke ich jetzt einmal nicht.

»Was denkt ihr euch dabei?! Lenny hol schnell Eis! Schau dir die Schwellungen an!«, der Lehrer steht neben uns und schreit uns mit hochrotem Kopf an. Mein eigener Schädel brummt und mein Gesicht auch. Das wird blaue Flecken geben. Der Schmerz, der in meiner Nase pocht, fühlt sich ein wenig so an, als wäre sie gebrochen. Na toll. Jetzt muss ich höchstwahrscheinlich ins Krankenhaus auch noch, wenn meine Mum das sieht.

Lenny kommt hereingelaufen und hält zwei Coolpacks in der Hand. Einen wirft er zu Tom hinüber, der sich erst mal bücken muss, um ihn verwenden zu können. Mir bringt er den Beutel.

»War das notwendig?«, fragt er und sieht mich kopfschüttelnd an. Ich kann jetzt etwas Dummes sagen wie, dass Tom angefangen hat. Aber ich reiße mich zusammen und murmle ein: »Sorry...«

Dann drücke ich den Beutel leicht auf meine Nase und zucke zusammen. Das tut sehr weh. Ich sehe schon vor mir, wie meine Mutter mit mir in die Notaufnahme rast.

Der Lehrer ist richtig wütend, er sieht uns beide böse an und sagt dann: »Ich würde euch beide ja zum Direktor schicken, aber ihr seht so aus, als würdet ihr dort alles vollbluten. Also rufe ich eure Eltern an...« Wir sind beide 18, will ich ihm mitteilen, wir können auch selbst nach Hause fahren, wir brauchen weder die Bestätigung unserer Eltern noch die Mitsprache. Aber um mich noch mehr zu belasten, nicke ich nur. Meine Mum wird mich in Stücke reißen. Das weiß ich jetzt schon.

»Gut, ich gehe jetzt kurz zum Telefon. Bitte passt ihr währenddessen auf, dass die Prügelei nicht noch weitergeht!«, fordert der Lehrer die anderen auf. Ein paar nicken, andere schauen neugierig drein. Ich denke nicht, dass sie uns aufhalten würden, die wollen doch alle gerne wissen, wie es mit Tom und mir weitergeht. Die hätten doch alle Lust auf ein bisschen Action, mitten im Schulalltag.

Doch ich auch habe keine Lust auf weitere Schläge. Tom sieht auch nicht so aus, als ich ihn aus dem Augenwinkel betrachte, als würde er weiterkämpfen wollen.

»Was ist denn passiert?«, fragt Lenny leise neben mir. Ich zucke die Achseln. Er hat mich beschimpft und hat dann gleich ausgeteilt, will ich ihm am liebsten berichten, aber ich will nicht petzen. Das liegt unter meiner Würde. Auch wenn mein Gesicht weh tut und ich am liebsten schreien würde, weil mich alles so aufregt.

Mein Sportlehrer kommt wieder in die Halle und erklärt: »So, eure Eltern sind informiert, packt zusammen, für euch ist der Tag zu Ende. Alle anderen, los geht's, wir machen den Parkour durch!«

Die anderen setzen sich langsam in Bewegung und starten die Sportstunde. Lenny bleibt hier und begleitet mich in die Umkleide, wo ich den Coolpack währenddessen auf die Seite lege. Er mir meine Anziehsachen, die ich überstülpe, ohne überhaupt zu sehen, ob sie passen oder richtig sind. Mir ist im Moment alles egal.

»Hey, jetzt atme mal durch...«, Lennys Stimme erscheint in meinen Gedanken und reißt mich aus den Grübeleien. Mir ist gar nicht aufgefallen, dass ich mein Gebiss zusammengebissen habe und, meine Wunden dadurch noch mehr weh tun als vorher. Okay, ich versuche mich zusammenzureißen und atme einmal aus.

»Ich gehe jetzt wieder rein, wenn irgendwas ist, du hast ja meine Nummer«, sagt Lenny und klopft mir auf die Schulter.

»Danke!«, gebe ich zurück und weiß, dass ich ihm nie genug danken kann, dass er sich so für mich einsetzt und unterstützt.

Als ich die Tür öffne, ist es still. Alle anderen haben noch Unterricht, anstatt sich zu schlagen und frühzeitig entlassen zu werden. Ich gehe zum Schuleingang, wo ich warte, bis meine Mutter auftaucht.

Zehn Minuten später hält ihr Auto vor der Schultür und sich springt heraus. Meine Mutter sieht wütend aus und ich kann es ihr nicht verdenken. Es ist das erste Mal, dass sie mich unter Anweisungen eines Lehrers abholen muss. Obwohl ich schon öfter Scheiße gebaut habe, war es nie so schlimm.

»Oliver...«, seufzt sie, als sie vor mir steht.

»Zeig mir mal dein Gesicht!«, fordert meine Mum mich auf und ich entferne den Kühlbeutel. Sie zieht scharf die Luft ein.

»Sollen wir ins Krankenhaus fahren?«, fragt sie dann. Ich schüttle schnell den Kopf. Nur das nicht.

»Okay, wie du meinst. Aber ich werde auf die Wunde Salbe geben und du wirst dein Gesicht kühlen, hast du gehört?«, sie sieht mich auffordernd an. Ich nicke. Was bleibt mir auch anderes übrig?

Hinter verschlossenen Türen [boyxboy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt