39. Kapitel

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Ich sollte recht behalten, am nächsten Tag verschlafe ich tatsächlich fast. Meine Mutter, die sich Sorgen um mich macht und den Kopf zur Tür hereinsteckt, weckt mich mit: »Ollie es ist schon halb acht! Mach schnell, du hast verschlafen!«

Innerhalb von zehn Minuten, bin ich angezogen und habe meine Morgenroutine erledigt. Dann schnappe ich mir die Jause, die mir meine Mum herausgelegt hat vom Tisch und fahre auf schnellstem Weg in die Schule.

Ich komme ein wenig zu spät, aber ich meine, immerhin ist Freitag, da muss man nicht so streng sein. Meine Biologielehrerin sieht zwar nicht so begeistert aus, doch ich kann ihr eine Ausrede auftischen, die mich aus dem Schneider zieht. Wir werden wohl trotzdem keine Freunde mehr...

Nach der ersten Stunde lässt sich Lenny neben mich fallen: »Hey Mann, was machst du so am Wochenende?«

»Ich fahre auf eine Hütte am Sellersberg«, erzähle ich.

»Echt? Da war ich auch schon mal! Mit wem? Mit deinen Eltern?«, erkundigt er sich weiter.

»Nein, mit meiner Mum, ihrem neuen Freund und seinem Sohn...«, versuche ich zu erklären.

»Oh, erster Familienausflug?«, er grinst mich an und zwinkert.

Ich nicke.

»Das wird schon! Sei unwiderstehlich...«, rät er mir und ich muss lachen.

»Ich werde es versuchen!«, verspreche ich.

Auch Tom, der neben mir sitze, bringt sich in das Gespräch ein. Indem er mir: »Ich will ihn unbedingt kennenlernen!«, zuflüstert, macht er es nicht gerade besser. Ich bin noch etwas mehr nervös, als ich es bis jetzt war.

»Wen?«, bringt sich Lenny extralaut in unser Gespräch ein, sodass sich Jana, die vor uns sitzt umdreht und neugierig dreinschaut.

Oh Mann, wenn es so weitergeht, weiß gleich die ganze Klasse Bescheid.

»Niemanden!«, sage ich und verdrehe die Augen.

»Oh, du hast jemanden kennengelernt?!«, Lenny strahlt mich an. Ist ja gruselig. Wieso ist er so begeistert?

»Wer ist es? Wer?«, er versucht weiter die Antwort aus mir rauszubekommen.

»Kennst du nicht...«, ich gerate kurz in Versuchung, einfach den Raum zu verlassen, damit das Kreuzverhör aufhört.

»Habt ihr Englisch gelernt? Angeblich sollen die Tests bei ihr total schwer sein...«, meldet sich Jana zu Wort.

Lenny wird bleich. »Was? Wir haben Test?!«, er kramt panisch in seinem Bankfach nach den Büchern.

In den nächsten Minuten ist er so beschäftigt, sich wenigstens ein paar Vokabeln zu merken, dass er seine Fragen an mich völlig vergisst.

»Danke!«, forme ich mit den Lippen, bevor sich Jana, die jetzt über Lenny grinst, wieder nach vorne dreht.

Sie zwinkert mir zu und unterhält sich dann mit dem Mädchen neben ihr.

Nach Biologie habe ich Englisch und schreibe den Test, für den ich gestern noch ein wenig geübt habe. Ich habe Glück und er ist nicht so schwer. Lenny sieht hingegen nicht so begeistert aus. Eher so, als hätte er in eine Zitrone gebissen.

Der Tag vergeht sehr schnell und ehe ich es mich versehe, bin ich schon wieder auf dem Heimweg.

Für meine Mum nehme ich in der Drogerie ein kleines Shampoo mit, dass sie unbedingt für den Ausflug benötigt.

Als ich zu Hause ankomme, treffe ich meine Mutter in der Garderobe. Sie möchte noch bei Frau Hiller vorbeischauen, bevor wir fahren.

Ich erkläre ihr, dass ich noch packen muss und verschwinde in meinem Zimmer.

Meine Mama hat mir netterweise schon den Wanderrucksack herausgelegt, den Dad immer zum Wandern genommen hat. Kurz überkommt mich ein Gefühl, dass ich immer in Bezug auf meinen Vater bekomme. Doch ich versuche es zu ignorieren. Heute wird ein guter Tag. Genauso wie die ganze Woche toll werden wird. Es muss ja einfach gut werden.

Ich stopfe zwei T-Shirts in kurzarm hinein. Danach noch Unterwäsche, Socken und einen dicken Pulli. Ganz oben kommt eine Reservejeans, Haube, Rasierzeugs, Shampoo und meine Zahnbürste samt Zahnpasta.

Ich denke viel mehr braucht man für einen Dreitagesausflug nicht. Zumindest hoffe ich das. Meine Jacke, nehme ich gleich in die Hand, oder ich ziehe sie an, wenn wir zur Hütte gehen.

Ich: Na, denkst du, es wird geburtstagstauglich?

Tippe ich an Tyler und schicke die Nachricht ab.

Wenn mich mein Dad sehen würde. Ich denke aber, dass er sich mit mir freuen würde. Ich würde ihm Tyler vorstellen. Und ich weiß, dass er ihn mag. Ich glaube, es gibt keinen Menschen, den mein Vater nicht mochte.

Eine halbe Stunde später kommt meine Mum zurück und sie erzählt mir haargenau, in welcher Woche Frau Hiller schon ist und dass sie noch nicht weiß, welches Geschlecht das Kind hat.

Meine Mutter hat noch ein Mittagessen hergerichtet, dass aus gefüllten Rouladen mit Hörnchen besteht. Wir essen noch und waschen die Teller und das Besteck im Waschbecken ab.

»Bist du bereit?«, fragt mich meine Mum dann, als wir nach danach unsere Rucksäcke in das Auto tragen.

Ich will gerade antworten, da fällt ihr ein, dass sie ihren Schal vergessen hat. Schließlich wissen wir nicht, wie kalt es am Berg wirklich ist.

Sie läuft noch einmal ins Haus, sperrt dann alles ab und setzt sich auf den Fahrersitz.

»Ich bin bereit«, erkläre ich und beantworte ihre Frage von vorher.

Meine Mutter startet den Wagen und wir rollen aus der Garage. Die Fahrt bis zum Treffpunkt dauert fast zwei Stunden. Während wir fahren, hören wir Musik und reden ein bisschen.

Mir fällt immer wieder auf, dass meine Mum seit dem Tod von Dad wieder gesprächiger wird. Natürlich ist die Tragödie nicht überwunden, aber es gibt Anzeichen einer Besserung. Und das ist schließlich die Hauptsache. Heilung ist ein Prozess und der dauert. Manchmal Monate, manchmal Jahre oder gar Jahrzehnte.

Mein Handy, das ich in der Jackentasche habe, gibt einen Ton von sich und ich werfe hole es heraus. Dann werfe ich einen Blick darauf.

Tyler: Ich habe sehr viel Hoffnung. Bis gleich!

Hat Tyler geschrieben. Ich muss grinsen.

»Na? Wer schreibt dir denn?«, fragt meine Mama und wirft mir einen neugierigen Blick zu. Ich versuche meine Aufregung ein wenig zu überspielen und stecke mein Handy wieder in die Jackentasche zurück. Wieso wollen Eltern auch immer alles wissen?

»Tom...«, sage ich, weil ich nicht weiß, was ich sonst sagen soll.

»Schön, dass ihr euch wieder versteht!«, freut sich meine Mum und ich bin froh, dass sie keine Gedanken lesen kann oder gerade eben gesehen hat, wer mir wirklich geschrieben hat.

Natürlich verstehe ich mich wieder mit meinem ehemaligen besten Freund, aber das gibt mir keinen Grund so glücklich und verliebt zu lächeln, wenn er mir schreibt.

Nach zwei kleinen Pausen, die meine Mum braucht, weil sie auf die Toilette muss, kommen wir am Fuße des Berges an.

Wir brauchen noch weitere fünf Minuten, um einen Parkplatz zu finden. Dann steigen wir aus, nehmen unsere Rucksäcke aus dem Auto und gehen zum ausgemachten Treffpunkt.

Hinter verschlossenen Türen [boyxboy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt