Ich erstarre innerlich. Dabei achte ich ein paar Sekunden nicht auf den Weg und stolpere über eine Wurzel.
Der Schrei bleibt mir im Hals stecken, als ich vornüberfalle und mir die Handflächen an den Steinen und dem Dreck aufschürfe. Der Schmerz, der darauf in meine Hände fährt, lässt mich kurz vergessen, was ich gerade gehört habe.
»Ollie?! Hast du dir weh getan?«, meine Mum kniet neben mir und streicht mir durch die Haare. Meine Arme und Hände zittern, als ich sie mit den Augen untersuche.
»Nein, es geht schon...«, sage ich und rapple mich hoch. Ich blute ein wenig und meine Hände brennen, aber das halte ich aus. Auch meine Knie fühlen sich so an, als würden sie bluten, aber ich beiße die Zähne zusammen und versuche tapfer zu sein.
Georg reicht mir ein Taschentuch und ich befeuchte es mit dem Wasser aus der Flasche.
Dann tupfe ich das Blut von meiner Haut und beiße die Zähne zusammen, weil es stärker weh tut, als erwartet. Ein paar Steine befinden sich in meiner Haut, die pule ich mit Vorsicht heraus.
»Alles okay?«, Tyler setzt sich neben mich und nimmt mir das Tuch aus der Hand. Ganz vorsichtig wischt er über die Wunden und stoppt nach und nach das Bluten.
»Ja«, hauche ich. »Danke«, bedanke ich mich und bewege langsam die Finger. Es zieht und fühlt sich nicht gut an, aber wir werden nicht Berg steigen gehen, also werde ich es schaffen.
»Hast du die Wurzel nicht gesehen?«, meine Mutter sieht verwirrt aus.
Nein Mum, ich war damit beschäftigt Tyler zuzuhören, wie er über jemanden spricht, den er liebt und ich weiß nicht, ob ich das bin...
»Nein, ich war abgelenkt«, das ist zumindest ein Teil der Wahrheit.
»Braucht ihr eine Pause, oder sollen wir weitergehen?«, fragt Georg und sieht nicht so begeistert aus. Kann ich verstehen. Der Sohn seiner neuen Freundin, kann nicht aufpassen und versaut ihm seinen Wanderausflug.
Wahrscheinlich schreibt er innerlich schon die ganzen tollen Routen ab, die er jetzt mit mir nicht mehr schaffen kann.
»Wir können ruhig weiterwandern. Es geht schon...«, beschließe ich und stecke das Tuch in meine Hosentasche, um es im nächsten Mistkübel zu entsorgen.
»Okay, wir haben schon fast die Hälfte geschafft!«, Georg klatscht in die Hände.
Wenigstens etwas. Die Hälfte, hört sich doch schon mal ganz gut an.
Wir marschieren weiter. Auch wenn der Weg steiler wird und als mir der Schweiß den Rücken hinunterrinnt, bleiben wir nicht stehen, sondern folgen dem Pfad.
Nach vier Stunden kommen wir bei unserem Ziel, einem Gasthof an. Es ist ein riesiges Holzhaus, das auf der grünen Wiese am Fuße des Gipfels steht. Der Balkon ist mit roten und gelben Blumen geschmückt. Über der Tür hängt ein Schild mit „Griaß di".
Meine Mutter betritt das Haus als erstes. Sie wird freundlich von der Wirtin begrüßt. Sie fragt uns, wo wir sitzen möchten. Georg deutet auf das Fenster, weil wir da einen tollen Ausblick haben und wir suchen uns einen Tisch beim Fenster.
Nach der langen Wanderung merke ich, wie leer mein Bauch schon ist und wie meine Wunden schmerzen. Wir bestellen etwas zu trinken und ich erkläre, dass ich auf die Toilette gehe.
In Wirklichkeit verbarrikadiere ich mich im letzten Klo und setze mich auf die geschlossene Kloschlüssel. Meine Hände zittern wie verrückt und manche Verletzungen bluten wieder. Ich tupfe sie mit dem Klopapier ab und es tut höllisch weh. Anschließend spüle ich.
Ich stehe gerade beim Waschbecken und beobachte mich im Spiegel, als die Tür aufgeht. Ich tue so, als würde ich mir die Hände waschen, aber Tyler erscheint hinter mir.
»Du bist ganz blass. Ist alles in Ordnung?«, erkundigt er sich und sieht besorgt drein.
Ich verstehe nicht so ganz, was sein Problem ist. Zuerst will er etwas von mir, dann erklärt er, dass wir besser nur Freunde bleiben sollen. Und zum Schluss macht er sich so viele Sorgen um mich und erzählt meiner Mum, dass er verliebt ist.
Mein Gedanken drehen und überschlagen sich in meinem Kopf und als ich meine Augen wieder in den Spiegel richte, merke ich, dass ich ganz blass bin und dunkle Schatten unter meinen Augen liegen.
Mein Herz tut weh, meine Hände brennen und ich will mich am liebsten in meinem Bett verkriechen und weinen.
»Hey, hey...«, Tyler steht auf einmal vor mir und hält mich an den Schultern fest.
»Was ist?«, frage ich und sehe ihn verwirrt an.
»Ich dachte, du kippst um. Du hast ausgesehen, als würde dir gleich schwarz vor Augen werden...«
»Es geht schon...«, erkläre ich.
»Was ist mit deinen Händen?«, fragt er.
Schnell verstecke ich die Hände meinem Rücken und zwinge mich, ihn anzusehen.
»Das geht schon...«
»Du weißt schon, dass du echt schlecht lügen kannst, oder?«, erkundigt er sich und greift nach meinen zwei Händen. Sanft zieht er sie zu sich nach vorne.
»Das sieht entzündet aus! Wir sollten das verbinden. Warte, ich frage die Wirtin, die wird sicher einen Erste-Hilfe-Koffer da haben«, sagt Tyler und ich schüttle den Kopf.
»Nein, Tyler!«, ich versuche mich loszureißen. Aber natürlich ist er stärker.
»Wieso lässt du dir nicht helfen? Ich sehe doch, dass es dir nicht gut geht!«, faucht er mich plötzlich an.
»Das sagst gerade du?!«, zische ich wütend.
»Ollie... Sag, was du zu sagen hast!«, ermutigt Tyler mich und verschränkt die Arme vor der Brust.
»Ich weiß nicht, was du willst...«, hauche ich, weil mir sonst nichts einfällt.
»Was möchtest du denn hören?«, stellt er die Frage. Ich möchte hören, wie er mir sagt, dass er mich mag und dass ihm das mit mir etwas bedeutet hat.
Ich stütze die Hände auf das Waschbecken und zucke zusammen, weil ich kurz vergessen habe, dass die Haut verletzt und blutend ist.
Ich möchte, ja was möchte ich eigentlich. Ich nehme mir ein paar Sekunden, bevor ich antworte.
»Ich will ... « beginne ich, aber in diesem Moment geht die Tür auf.
Ich will das alles. Alles was wir hatten, will ich wieder und wieder erleben.
Ich entferne mich ein paar Schritte von Tyler und beobachte das Bild an der Wand, als wäre es wahnsinnig interessant.
Ein älterer Mann sieht uns an. Er sieht verschwitzt aus. Anscheinend hat er auch eine anstrengende Wanderung hinter sich.
»Junger Mann, könntest du mir den Weg frei machen? Ich muss meine Blase entleeren... «, er sieht Tyler auffordernd an.
»Natürlich, entschuldigen Sie...«, Tyler tritt einen Schritt zur Seite und lässt den Mann vorbeigehen.
Das, was gerade noch zwischen uns war, ist nun weg. Ich will ihm nicht mehr sagen, was ich möchte. Schließlich versteht er es sowieso nicht.
Ich spüre Tylers Blick auf mir. Mit seinen Augen, die sich tief in meine Seele bohren und es fühlt sich an, als würde er alle meinen geheimen Wünschen und Sehnsüchte bemerken.
Und dass er mich noch immer so fühlen lässt, wie ich mich gerade fühle, ist der Auslöser, dass ich schnaube, die Augen verdrehe und den Raum mit schnellen Schritten verlasse.
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Hinter verschlossenen Türen [boyxboy]
Romance... ,,Ich habe mich schon in dich verliebt, als du mir in dieser Nacht vor die Füße gestolpert bist." ... Ollies Vater ist gestorben. Seine Mutter verliebt sich neu und ihr Freund bringt seinen Sohn Tyler mit in die Beziehung. Das Problem ist, Olli...