6. Kapitel

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Früher meinte mein Dad immer, dass die Sonne immer wieder aufgehen würde, egal wie schlecht oder traurig der Tag gewesen wäre. Ich glaube nicht so recht daran. Der Tag nach seinem Tod war verregnet und grau. Heute hoffe ich auf ein wenig Sonne in den nächsten Stunden. Ich bin betrunken, als ich die Bar verlasse und die ersten Vögel zwitschern schon. Meine Mum wird ausrasten, das weiß ich. Ich habe ihr nicht Bescheid gesagt, wie lange ich bleiben würde. Ich will ihr nicht noch mehr Sorgen machen, als sie ohnehin schon hat. Also mache ich mich langsam auf den Weg nach Hause.

Ein paar Leute schreien: »Hey Mann, bleib doch noch ein bisschen! Die Sonne ist noch gar nicht aufgegangen!« Doch der Nacht oder besser gesagt der Tag, ist für mich vorbei.

Ich wimmle sie ab und sage: »Nein ehrlich, ich muss heim. Das nächste Mal wieder.«

Beim Hinausgehen treffe ich Zoe noch einmal. Sie lehnt an der Mauer und sieht in die Ferne. Ich bemerke, bei genauerem Hinsehen, dass ihre Wimperntusche verschmiert ist. Ich hoffe Tom und sie haben sich getrennt.

»Na Zoe...«, mache ich, weil ich meinen Mund nicht halten kann.

Sie funkelt mich böse an und gibt zurück: »Doch keinen Typen gefunden?« Ich verdrehe die Augen und seufze. Soll sie doch reden. Sie hat doch sowieso keine Ahnung. Und wenn sie mich als Schwuchtel abstempeln wollte, sollte sie es doch tun. Geht mir am Arsch vorbei.

»Ciao«, mache ich nur und drehe mich von ihr weg. Dann gehe ich langsam nach Hause. Das Gehen fällt mir schwer. Ich biege einmal falsch ab und brauche mindestens dreimal so lange, wie beim Herlaufen.

Als ich zu Hause ankomme, ist es bereits nach vier Uhr. Ich versuche leise zu sein, doch ich weiß, dass meine Mutter noch nicht schläft. Da ich aber keine Eier habe, mich ihr jetzt noch zu stellen, verdrücke ich mich schnell in meinem Zimmer.

Ich ziehe die Klamotten aus und lasse sie einfach auf den Boden fallen. Morgen werde ich sie dann nach unten zur Waschmaschine bringen. Heute habe ich keine Kraft mehr dafür. Ich bleibe vor dem Spiegel stehen und sehe mich an, wie ich da so in Unterwäsche stehe. Ich könnte wieder etwas mehr trainieren, kommt mir ihn den Kopf. Ich hatte einen halbwegs trainierten Oberkörper, durch das Sausenlassen des Trainings, sind die Muskeln zurückgegangen. Ich sollte wieder zum Training ins Fitnessstudio gehen. Aber irgendwie fällt es mir schwer, mich aufzuraffen. Es ist als würden mich unsichtbare Fäden zurückziehen und festhalten. Damit ich in alten Mustern bleibe und nichts Neues ausprobiere.

Als ich ins Bad gehen will, um die Zähne zu putzen, klopft es an meiner Zimmertür. Ich weiß, dass es meine Mama ist und sie weiß, dass ich noch wach bin.

»Ja?«, frage ich leise.

»Kann ich kurz hereinkommen?«, sie wartet meine Antwort erst gar nicht ab, sondern betritt gleich mein Zimmer. Ich lasse mich auf mein Bett fallen und sehe sie an. Es sieht nicht so aus, als hätte meine Mum schon geschlafen. Ich weiß, dass sie generell nicht so viel schläft und seitdem mein Vater nicht mehr ist, braucht sie dafür Tabletten. Ich mache ihr den ruhigen Schlaf auch nicht einfacher. Sie setzt sich neben mich und verschränkt die Hände.

»Ollie, ich möchte dir etwas sagen...«, erklärt sie und sieht ängstlich dabei aus. Ich nicke und mache mich auf das Schlimmste gefasst. Eine Rede, wieso ich so lange fort bin, oder dass ich nur Ärger mache. Doch sie bringt kein Wort heraus. Ich sehe in ihr Gesicht und plötzlich verstehe ich.

»Du hast jemanden kennengelernt«, sage ich in die Stille zwischen uns. Sie sieht mich überrascht an. Ja, ich habe ins Schwarze getroffen. Ich wusste es. Sie traut sich nicht, mir in die Augen zu sehen. Was denkt sie? Dass ich jetzt das Zimmer kurz und klein schlagen werde?

Ich habe auch ein bisschen Anstand und ich bin nicht dumm. Ich wusste, dass etwas im Busch war. Sie war öfter nicht zu Hause, hatte ein komisches Lächeln auf ihrem Gesicht. Und dann waren da noch die Blumen am Tisch, nach denen war mir einiges klar. Ich bin zwar ab und an wenig anwesend, ob geistig oder körperlich, aber ich habe immer noch Augen im Kopf. Sie weiß, dass ich es weiß, ihrem Blick nach zu urteilen, ist sie sogar froh, dass ich es weiß. Die Frau lächelt auch leicht. Also muss sie auch nicht um den großen Brei herumreden.

»Bist du mir böse?«, fragt sie dann. Was habe ich für ein recht böse zu sein, frage ich mich. Sie hat ihren Mann verloren und sie hat es verdient glücklich zu sein. Ich wette, mein Dad hatte ihr kurz vor seinem Tod gesagt, dass sie wieder einen Mann finden würde und sie den lieben sollte, genauso wie ihn. Er wollte immer Frieden und Liebe. Und immer das, was das Beste für uns war. Ich hoffe einfach, dass dieser geheimnisvolle Mann mit einem Stiefsohn umgehen kann.

»Nein, natürlich nicht. Ich freue mich für dich, Mum!«, sage ich und sie lächelt.

»Wir werden sie morgen treffen«, erklärt meine Mutter. Warte stopp, sie?

»Wer, sie?«, mache ich und beiße mir auf die Lippe. Ich hoffe das ist jetzt keine absurde und äußerst unangenehme Dreieckssache. Sie lacht. Ich bekomme eine Gänsehaut bei diesem Laut. Das hat sie schon lange nicht mehr gemacht. Ich frage mich, ob man lachen verlernen kann.

»Was schaust du denn so? Georg und seinen Sohn natürlich!«, sie grinst mich an, als ist das völlig klar. Als sind meine Gedanken viel zu absurd. Ach, ein Kind hatte er auch noch. Das kann was werden.

»Wann kommen sie?«, erkundige ich mich, denn schließlich ist es schon früher Morgen. Hoffentlich nicht zum Frühstück. Ich bin unausgeschlafen ein wenig unausstehlich. Auch, wenn dieser Georg vielleicht nett ist.

»Zum Mittagessen, ich habe mir etwas überlegt, du kannst mir helfen, alles vorzubereiten«, sagt meine Mum und ich nicke langsam. Ich bin kein guter Koch, ich hoffe das hat sie bedacht, bevor sie Georg meinen Fraß vorsetzt.

»Kann ich jetzt dann schlafen? Sonst bekommt mich dein Georg morgen nicht zu Gesicht«, sage ich und gähne. Sie kneift mich in die Seite und küsst mich auf die Wange.

»Es wird toll, glaub mir!«, erklärt sie und ich weiß nicht, ob sie das für sich sagt, oder um mir Mut zu machen. Dann wünscht meine Mum mir eine gute Nacht und geht aus dem Zimmer. Ich seufze und bleibe kurz sitzen.

Dann stehe ich auf und gehe ins angrenzende Bad, wo ich mir die Zähne putze. Während ich mit meiner Zahnbürste im Bad stehe mit weißem Schaum im Mund, überlege ich, wie alt dieser Sohn sein wird. Ich hoffe, es ist kein Fünfjähriger, der andauernd irgendetwas mit mir spielen will. Ich mag kleine Kinder nicht. Sie sind nicht zu bändigen und nervenaufreibend. Oder er ist viel älter als ich. Das kann auch sein. Wie alt ist der geheimnisvolle Georg, frage ich mich. Ich habe ganz vergessen zu fragen. Das musste ich unbedingt morgen machen, nehme ich mir vor.

Ich spucke den Schaum aus, gurgle mit dem Wasser und wasche mir noch das Gesicht. Dann trample ich in mein Zimmer zurück. Die Tür fällt hinter mir leise ins Schloss. Ich lasse ich mich ins Bett fallen und ein paar Minuten später wird mein Atem langsamer und tiefer und ich bin eingeschlafen.

Hinter verschlossenen Türen [boyxboy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt