7. Kapitel

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Ein komischer Geruch reißt mich ein paar Stunden später aus dem Schlaf. Ich reibe mir die Augen und sehe, dass es schon nach 11 Uhr ist. Dem Geruch nach zu urteilen, ist meiner Mum irgendwas verbrannt. Vielleich kommt dieser Georg jetzt doch nicht. Irgendwie habe ich leise Vorahnungen, dass es heute ein komischer und äußerst unangenehmer Tag werden wird.

Aber ich tue das, was ein guter Sohn zu tun hat. Ich laufe ins Badezimmer und mache mich nach einer kurzen Katzenwäsche und ich mich angezogen habe, auf den Weg nach unten. Meine Mutter steht tatsächlich am Herd, auf dem Töpfe stehen, und kocht.

»Hey«, sage ich und gähne.

»Oh, Ollie, dein Frühstück steht auf dem Tisch. Ich habe dir etwas kleines hergerichtet«, sagt sie.

»Mum«, ich seufze, »Ich kann mir mein Frühstück auch allein machen, ich bin alt genug.« Sie lächelt und streicht mir über die Wange, als wäre ich ein Kleinkind und würde überhaupt nichts von der großen, weiten Welt wissen. Dann schiebt sie mich in Richtung des Esstisches.

Während ich esse, erzählt sie mir was es heute zu Mittag gibt: »Ich habe schon mit der Suppe begonnen. Sie ist mit Knödeln und vielen Karotten. Danach gibt es Fisch mit Kartoffeln.« Als ich mich weiter aufsetze, um auf den Herd zu sehen, merke ich das letztere beim Anbraten wohl etwas zu lange in der Pfanne waren, sie waren nur nicht mehr gold-gelb, sondern braun.

»Als Nachspeise gibt es ein Joghurt mit Früchten, das kannst du dann nachher gleich machen«, erzählt sie und ich nicke. Was bleibt mir noch anderes übrig. Bei einem Joghurt kann ich wenigstens nichts falsch machen.

»Kaffee steht gleich neben dem Herd.«, die Frau und deutet mit einem Kopfnicken darauf.

»Nimm ihn dir ruhig, ich habe nur keine Hand frei«, sagt sie. Gerade schiebt sie den Fisch ins Backrohr und beginnt gleich danach das Obst zu schälen. Nachdem ich fertig gegessen habe, stelle ich das Geschirr in den Geschirrspüler, schenke Kaffee mit ein wenig Milch in eine Tasse und leere sie mit wenigen Schlucken. Dann biete ihr meine Hilfe an. Ich mische Joghurt in vier kleine Gläser und dekoriere dann alles mit den geschälten Früchten, die sie mir auf ein Brett legt.

»Wie alt ist dein Georg denn überhaupt?«, frage ich währenddessen und schiebe mir ein Apfelstück in den Mund.

»Oliver!«, sie haut mir mit dem Geschirrtuch auf den Arm. Jetzt werde ich auch noch geschlagen, während ich so nett bin und Essen mache...

»Er ist nicht mein Georg, Ollie...«, sie seufzt. Ich muss grinsen.

»Aber er ist fünfzig.« Also ist er ein wenig älter als Dad. Der wäre jetzt 47 Jahre alt.

»Ich möchte, dass du nachher ein Hemd anziehst«, sagt sie so nebenbei, als würden wir über das Wetter sprechen. Sie schneidet weiter, als wäre gar nichts geschehen und ich strafe sie mit einem bösen Blick. Meine Mum weiß, dass ich dieses festliche Gewand hasse. Sogar auf Dads Beerdigung hatten wir Diskussionen. Ich sagte, mein Vater hätte gewollt, dass ich das anhabe, was mir gefällt und sie war der Meinung, auf einem Begräbnis zieht man ein Hemd an. Das sah besser und auch viel eleganter aus. Ihr zuliebe hatte ich dann tatsächlich letzteres an.

»Georg ist es doch egal, wie ich aussehe, der interessiert sich doch nur für dich«, gebe ich zu bedenken und hoffe, dass ich sie so von dem Gedanken abbringen kann, mich in ein Hemd zu quetschen.

»Ollie...«, macht sie und ich weiß, dass ich bereits auf dem besten Weg bin, diese Konversation zu verlieren. Ich überlege und mir schießt eine gute Idee in den Kopf.

»Gut okay, wenn ich ein Hemd anziehen muss, darf ich mir die Hose dazu aussuchen?«, gebe ich schließlich nach. Sie nickt und zuckt die Achseln. Wundert sich bestimmt über diese komische Frage. Wenn sie wüsste, was ich vorhabe, ich grinse.

Dann geht meine Mutter zu den Hochschränken. Aus diesen holt sie Teller, Besteck und Gläser, um den Tisch zu decken. Ich stelle die fertigen Dessert-Gläser auf ein Tablett und dann auf die Seite. Ich sehe meiner Mutter dabei zu, wie sie den Tisch deckt.

Früher, als mein Dad noch lebte, hatten wir oft Familienessen, wo groß aufgekocht wurde. Ich lächle, als ich daran denke. Meine Cousins und meine Cousinen waren da, meine Großeltern und Tanten und Onkeln. Wir hatten auch immer ein Familienessen bei uns. An Weihnachten waren alle Verwandten hier. Es wurden riesige Mengen gekocht und es gab meistens einen Schweinsbraten mit Kraut und Knödel, für die Erwachsenen danach Wein und wir Kinder bekamen irgendeine Limonade, die sprudelte.

Nach dem Essen spielten wir immer etwas. Meistens im Garten. Wir machten Schneeballschlachten, wenn genügend Schnee lag. Und wenn es zwar kalt war, aber nicht weiß genug, saßen wir vor dem Ofen und lasen Weihnachtsgeschichten oder spielten mit unseren Weihnachtsgeschenken. Ich liebte Weihnachten.

Dann wurde mein Dad krank und diese Feste fielen aus. Alle trauerten und hofften. Seitdem er tot ist, treffen wir uns vielleicht einmal im Jahr in einem Cafe. Meine Cousins und meine Cousinen sind älter als ich. Alle haben noch beide Elternteile und es ist schwer ins Gespräch zu kommen. Sie wollen nichts Falsches sagen und ich will einfach nur, dass man über etwas anderes redet als über die Trauer und den Schmerz.

Im letzten Jahr hatte ich das Treffen geschwänzt, weil ich keine Lust mehr hatte und stattdessen so getan, als hätte ich starke Halsschmerzen. Meine Mutter blieb bei mir, obwohl ich alt genug war, für mich selbst zu sorgen. Insgeheim wusste ich, dass sie selbst auch nicht hingehen wollte.

Eine knappe halbe Stunde später, es ist kurz vor 12 Uhr, bin ich oben in meinem Zimmer, um mich umzuziehen. Ein Hemd, so wie wir das besprochen hatten. Da ich nur zwei besitze, nehme ich das hellblaue vom Kleiderbügel. Dann ziehe ich die Lade mit den Hosen auf. Ganz oben liegt meine alte graue Jogginghose, die schon mehrere Löcher an den Knien und am Bund hat. Ich habe es nie übers Herz gebracht, sie wegzuschmeißen, weil sie so bequem ist. Ich schlüpfe hinein.

Mum meinte „festlich", oben herum bin ich das auch. Und alles unterhalb meines Nabels sieht Georg eh nicht, da wir sitzen und essen. Ich klopfe mir auf die Schulter, für diesen wunderbaren Einfall. Meine Mama wird mich umbringen.

Ich gehe noch ins Bad und gebe ein wenig Gel in meine Haare, da sie jetzt wieder eine Länge erreicht haben, wo ich sie aufstellen kann. Dann verwende ich noch Deo, man will ja schließlich nicht stinken bei den Gästen. Ich warte in meinem Zimmer, bis es an der Tür läutet. Sonst wäre meine Überraschung dahin, würde ich schon vorher hinuntergehen. Ich höre Stimmen, die sich begrüßen und mir fällt wieder das Lachen meiner Mutter auf.

Ich beschließe, dass es Zeit für meine Überraschung ist und gehe mit einem Grinsen auf den Lippen die Stiegen hinunter. Unten angekommen, bleibe ich wie angewurzelt stehen.

Dann geht die Tür zu Esszimmer und Küche auf und die Gäste kommen herein. Mir wird schlecht. Augenblicklich habe ich das Gefühl ich muss schreien, weinen und lachen. Alles zusammen. 

Hinter verschlossenen Türen [boyxboy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt