40. Kapitel

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Georg und Tyler sind noch nicht zu sehen. Wahrscheinlich haben sie kurzfristig kalte Füße bekommen. Obwohl, Tyler hat mir erst vorhin noch geschrieben. Also, hatten sie vielleicht einen Unfall, eine Umleitung, einfach keine Lust,...? Da kommen so viele Szenarien in Frage. Und ich hoffe, es ist einfach ein kleiner Stau und nichts Schlimmes.

»Vielleicht gibt es einen Stau?«, die Feststellung meiner Mum klingt wie eine Frage. Wir hatten wohl den gleichen Gedankengang.

Ich würde ihr ja gerne sagen, dass sie auf jeden Fall kommen, da ich mit Tyler geschrieben habe, aber ich will unsere Verbindung nicht auffliegen lassen.

In dem Moment, als meine Mutter anfängt in ihrer Jackentasche zu wühlen, weil sie Georg anrufen will, biegt ein blauer Seat um die Ecke.

»Oh, da sind sie schon!«, freut sie sich und winkt dem Auto zu.

Ich sehe zwei Menschen hinter der Windschutzscheibe, kann sie aber von der Entfernung nicht zuordnen. Aber meine Mum scheint wahnsinnig aufgeregt, also denke ich, dass es sich um Georg und Tyler handelt.

Der Seat bleibt in einer Parklücke stehen und die Türen gehen auf. Die Augen meiner Mama nehmen einen verliebten Ausdruck an.

Ja, das sind sie in der Tat. Tyler, der gerade aus dem Beifahrersitz steigt trägt eine bunte Haube und Schal, der einfach über seinen Schultern liegt. Er strahlt zu uns herüber. Mir wird heiß, obwohl es bis eben mit meinen zwei Schichten, bestehend aus T-Shirt und Weste etwas kalt war.

Georg winkt uns zu. Okay, anscheinend ist er genauso unangenehm peinlich, wie meine Mum manchmal. Fehlt gerade noch, dass sie sich weinend in die Arme laufen und er sie dann im Kreis herumwirbelt. Schön, dass uns das wenigstens erspart bleibt. Es kann nur noch besser werden.

»Hallo! Schön, dass ihr hier seid!«, meine Mutter umarmt Georg, als er bei uns ankommt. Er gibt ihr einen Kuss auf die Wange. Sie strahlt danach, als hätte er ihr einen riesigen Geschenkkorb vor die Füße gestellt.

»Ollie, freust du dich schon?«, Georg nimmt mich in die Arme. Ich versteife mich. Über seine Schulter sehe ich zu Tyler, der gerade näherkommt.

Ich verziehe den Mund, er grinst und ich antworte dem Freund meiner Mama: »So, wie ich mich auf meinen Geburtstag freue...«

Von Tyler höre ich nur ein Lachen und Georg, der mich inzwischen wieder losgelassen hat, sieht mich fragend an.

»Wow, das ist eine genaue Beschreibung...«, er sieht fragend zu meiner Mutter. Die zuckt nur die Achseln.

Tyler, der inzwischen schon meine Mum umarmt hat und sie ihm Komplimente zu seiner Haube gegeben hat, kommt nun zu mir.

Toll, dass einzige, dass wir nicht besprochen haben, ist, wie wir uns begrüßen sollen. Soll ich ihm die Hand geben? Schließlich kennen wir uns ja gar nicht. Was hinter verschlossenen Türen passiert, weiß doch niemand...

»Na Ollie...«, Tyler steht vor mir und ehe ich es mich versehe, hat er mich an seine Brust gezogen. Die, seit ich ihn das letzte Mal berührt habe, deutlich an Muskeln zugenommen hat. Ich weiß nicht genau, wo ich meine Hände hinlegen soll. Auf seinen Rücken, um seinen Hals,...

Bevor die Umarmung endet, lasse ich meine Hände auf seinen Rücken gleiten. Nur ganz sanft. Bevor ich mich darin noch verliere, entferne ich die Hände und gehe einen Schritt zurück. Es herrscht eine unangenehme Stimmung.

»Tyler, bist du denn schon gespannt?«, frage ich in die Stille hinein.

Dieser fängt an zu grinsen. »Natürlich! Ganz wahnsinnig...« Dann zwinkert er mir zu und ich kann gar nichts dagegen tun, dass meine Wangen rot werden.

»So, zur Hütte fährt eine Gondel. Davor müssen wir aber einen Wanderweg zur Seilbahn gehen. Der dauert ca. zwei Stunden. Danach können wir uns in der Gondel entspannen und dann geht es noch eine knappe halbe Stunde zur Hütte«, erklärt Georg.

Zwei Stunden? Und noch eine halbe Stunde? Mit diesem riesigen Rucksack. Danke, aber auch! Ich hasse wandern. Eigentlich schon, seit ich denken kann.

Dieses endlose gehen, ohne Pause, ohne ein Ende. Und meistens ist man so erschöpft, dass man nicht einmal, während dem Wandern miteinander sprechen kann, weil man fast verreckt.

»Auf geht's!«, Georg klatscht in die Hände und verschränkt die Finger dann mit denen von meiner Mama.

Die beiden beginnen loszugehen, ich sehe Tyler von der Seite an. Auch er hat einen riesigen Rucksack in rot auf seinen Schultern. »Wie wär's? Lassen wir den beiden einen Vorsprung und suchen wir uns einen Chauffeur, der uns zur Seilbahn bringt?«, Tyler strahlt mich an.

»Wow, du bist ja wahnsinnig schlau! Was denkst du, was meine Mum tut, wenn wir nicht mehr hinter ihnen sind?«, ich sehe ihn an. »Sie ruft die Polizei...«, beantworte ich die Frage.

»Naja, wohl eher die Bergrettung... Die Polizei kann hier oben nicht ausmachen!«, sagt Tyler. Ich verdrehe die Augen. Dieser Klugscheißer!

»Na gut, wenn du so gerne wandern willst. Dann los!«, Tyler marschiert los und mir bleibt gar nichts anderes übrig, als ihm hinterher zu laufen.

»Ich hasse wandern...«, sage ich, als wir im Gleichschritt laufen.

»Echt? Wäre mir gar nicht aufgefallen...«, er hebt eine Augenbraue und grinst.

»Jaja«, ich verdrehe die Augen und wir gehen weiter.

So, wie ich es befürchtet habe, ist der Weg ziemlich steil. Gott sei Dank ist er bis jetzt noch in einem halbwegs guten Zustand und ich muss nicht über Steine klettern.

Unsere Elternteile haben uns schon fast abgehängt. Sie gehen ca. 20 Meter vor uns und unterhalten sich angeregt. Gerade eben lacht meine Mutter über etwas, das von Georg kommt.

Mir rinnt ein Schweißtropfen über die Schläfe. Ich hätte viel weniger einpacken sollen, aber so verschwitzt wie ich bin, muss ich wahrscheinlich mein Gewand oben auf der Hütte nach einer langen Dusche wechseln.

»Und was ist mit Tom und dir?«, fragt Tyler und sieht mich von der Seite an. Noch laufen wir im Gleichschritt, aber ich habe das Gefühl, dass sich das bald ändern wird. Vorhin wäre ich schon fast über meine eigenen Füße gestolpert.

»Wir sind wieder befreundet. Ich bin deinem Rat gefolgt. Du weißt eh, keine Gewalt, alles durch Gespräche klären«, erzähle ich und er antwortet: »Siehst du, ich kenn mich mit Streit schlichten gut aus!«

Ich verdrehe die Augen. Jeder weiß, dass Gewalt zu nichts führt. Aber doch schlägt man zu, wenn man nur noch rot sieht.

Der Weg wird nach und nach steiler und das Wetter frischt ein wenig auf. Als ich fröstelnd die Arme in die Höhe ziehe, fragt Tyler, ob ich einen Schal brauche.

»Genau, damit dir dann kalt ist...«, erkläre ich. Auch wenn es wahnsinnig nett und fürsorglich von ihm ist, lehne ich sein Angebot ab.

Er zuckt nur die Schultern. Nein, ich will nur nicht, dass er friert. Den restlichen Weg schaffe ich auch ohne Schal. Schließlich haben wir es bald geschafft.

Hinter verschlossenen Türen [boyxboy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt