28. Kapitel

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Eine Stunde später liege ich mit der Decke über dem Kopf in meinem Bett und bemitleide mich selbst. Er hat die Nachricht weder gelesen noch sonst etwas gemacht, was meine Laune heben könnte.

Meiner Mum bin ich aus dem Weg gegangen, obwohl ich weiß, dass ich das Gespräch und die Standpauke nicht für immer hinausschieben kann. Aber vielleicht schaffe ich es noch bis heute Abend.

Ich schließe die Augen und etwas blitzt vor mir auf. Ich versuche mich zu erinnern, doch mein Gehirn will mir nicht gehorchen. Immer wieder sehe ich Tom und sein blutendes Gesicht vor mir. Seinen Blick, den ich nicht vergessen kann. Er hasst mich. Aber das beruht auf Gegenseitigkeit. Was bildet er sich eigentlich ein?

Ich sehe auf mein Handy, das neben mir liegt. Tyler hat sich nicht mehr gemeldet. Ich rede mir ein, dass er gerade arbeitet und deswegen keine Zeit hat eine einfache Nachricht zu tippen. Aber so richtig will ich mir das selbst nicht glauben. Es ist kurz vor 16 Uhr, da wird er doch auch mal eine Pause haben. 16 Uhr. 16 Uhr.

Und da sehe ich sie vor mir. Florentine. Scheiße. Ich habe ihr versprochen, dass ich sie treffe. Und das in, ich sehe noch einmal auf mein Handy, in zwei Minuten. Ich bin geliefert. Ich wollte dieses ganze hin und her zwischen uns heute beenden. Ich werde zu diesem Treffen fahren, dann muss sie eben ein paar Minuten auf mich warten.

Schnell schwinge ich mich aus dem Bett und rase die Stufen hinunter. Meine Mutter fährt zusammen, als ich in die Küche stürze.

»Ollie?! Was ist passiert?«, fragt sie und sieht ein wenig wütend aus.

»Ich habe ein Treffen verpasst. Ich muss schnell weg«, erkläre ich und sie zieht eine Augenbraue in die Höhe.

»Wenn du nach Hause kommt, möchte ich mit dir sprechen!«, sagt meine Mum und ich höre den Unterton in ihrer Stimme, der mir nur allzu bekannt vorkommt. Danach gibt es richtig Ärger.

Genauso eine Stimme hatte sie, als mir beim Wegräumen vier Suppenteller auf den Boden fielen, diese zerschellten und ich die Scherben in der Mülltonne versteckte. Oder als ich eine Unterschrift fälschte und der Lehrer sie kontaktierte. Ich will ihr nur zugutehalten, dass sie wirklich sehr darauf beharrt hat, dass sie diese Unterschrift gegeben hat, um mich aus der Schusslinie zu ziehen. Auch wenn die Unterschrift schief und krumm war und sicher nicht von ihr gekommen war. Meine Mutter steht eigentlich sehr hinter mir, obwohl ich ab und zu ein aufsässiger Mensch bin, der gerne auch mal Dinge ausprobiert, die zum Scheitern verurteilt sind. Aber jetzt werde ich höchstwahrscheinlich nicht so leicht davonkommen.

»Okay«, sage ich, weil mir nichts Besseres einfällt. Kurz spiele ich mit dem Gedanken, einfach nicht mehr nach Hause zu kommen. Aber ich werde mich dem wohl stellen können. Dann laufe ich schnell in den Flur hinaus, ziehe mir etwas über und schlüpfe in die Schuhe.

Als ich im Auto sitze meldet sich mein Handy mit einem Klingeln, aber ich stehe unter Stress und schiebe, ohne nachzusehen, aus der Garage. Dann fahre ich auf schnellstem Weg zum Treffpunkt. Im Cafe Sally's ist die Hölle los.

In dem Moment, in dem ich die Tür öffne, empfängt mich der Geruch nach Kaffee und selbstgemachtem Kuchen. Es ist heiß und viele Menschen reden durcheinander. Als ich ein paar Schritte weitergehe, stoße ich fast mit einer Kellnerin zusammen, die sich sofort entschuldigt und weitereilt. Ich drehe meinen Kopf hin und her, suche den Raum ab, aber von Florentine ist weit und breit nichts zu sehen.

»Entschuldigen Sie, könnten Sie sich einen Tisch suchen? Sie blockieren den Durchgang!«, reißt mich eine Stimme aus den Gedanken. Eine ältere Dame steht hinter mir und stützt sich auf ihren Gehstock.

»Ja, natürlich«, gebe ich zurück und laufe schnell zu einem freien Tisch am Fenster. So sehe ich den Eingang und kann Florentine schon erkennen, bevor sie mich erblickt. Ich hänge die Jacke hinter mir auf dem Sessel auf.

»Was darf es sein?«, eine Kellnerin in hellblauer Bluse und weißem Rock steht vor mir. Ihre Lippen verziehen sich zu einem Lächeln, während sie aus ihrer kleinen Tasche, die sie umgehängt trägt einen Block und Stift kramt.

Ich unterbreche ihre Tätigkeit, indem ich sage: »Ich warte noch auf jemanden...«

»Wenn sie es sich anders überlegen, winken Sie einfach, dann bin ich sofort bei Ihnen!« Sie schenkt mir einen aufreizenden Wimpernaufschlag und verschwindet wieder. Ich seufze.

Gerade will ich nach meinem Handy greifen, das in meiner Hosentasche steckt, da höre ich, wie die Tür vom Cafe mit einem Quietschen aufgeht. Ich lasse mein Handy, wo es ist und schaue auf.

Florentine ist da. Sie trägt ein T-Shirt ganz in Rosa und eine enganliegende Lederhose. Ich atme einmal durch, dann hebe ich die Hand und winke ihr. Ihr Gesicht erhellt sich und ihre Mundwinkel heben sich. Dann stolziert sie auf mich zu.

Die Männer, bei denen sie vorbeikommt, folgen ihr mit den Blicken. Ich frage mich, was sie an ihr so besonders finden. Natürlich, sie hat wahnsinnig lange Beine, aber ansonsten sehe ich nichts, was meinen Blick bei ihr hält.

»Ollie!«, sie strahlt auf mich herunter.

»Setz dich doch...«, fordere ich sie langsam auf. Je schneller Florentine sitzt, umso schneller können wir bestellen und umso schneller kann ich wieder nach Hause fahren. Sie lässt sich auf den Sessel mir gegenüber fallen. Dann schlägt sie die Beine übereinander und streicht sich die Haare zurück.

»Tut mir leid, ich hatte davor noch einen Termin für meine Nägel«, entschuldigt sie sich und wedelt mit ihren Fingern, die weiße lange Nägel schmücken. Beim genaueren Hinsehen fällt mir auf, dass am Ringfinger Glitzersteine kleben.

»Also, weißt du schon, was du möchtest?«, frage ich und sie nickt. Gut. Ich winke der Kellnerin, die mir vorhin schöne Augen gemacht hat. In Sekundenschnelle steht sie vor unserem Tisch.

»Bitte sehr, was darf ich Ihnen bringen?«, sie blickt uns an.

»Ich hätte gern einen Latte Macciato mit extra Caramel«, bestellt Florentine.

»Für mich einen Cappuccino«, sage ich und die Frau strahlt mich an.

»Kommt sofort!« Dann ist sie wieder weg und ich bin mit Florentine allein.

»Also, warum bin ich hier?«, die Stimmung am Tisch ändert sich sofort, nachdem ich den Satz ausgesprochen habe.

»Ach Ollie...«, seufzt sie.

»Was?«, fauche ich. Sie soll mal Tacheles reden. Ich habe nicht ewig Zeit.

»Du weißt, was ich von dir möchte«, flüstert sie dann und ihre Finger krabbeln langsam über den Tisch in meine Richtung. Ich verschränke die Arme vor der Brust. Florentine zieht die Hand wieder zurück.

»Hör mir mal zu...«, beginne ich.

Doch sie unterbricht mich: »Oliver, ich mag dich. Ich will mehr als nur diese Freundschaft, die uns verbindet. Wir wären ein tolles Paar. Und ich weiß, dass du das auch weißt!« 

Hinter verschlossenen Türen [boyxboy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt