Ich weiß nicht, was ich mir erhofft habe. Dass mein Vater seine Stimme erhebt und mich darauf hinweist, wie viel ich falsch gemacht habe? Oder dass etwas anderes Unnatürliches passiert? Natürlich geschieht nichts dergleichen, schließlich ist er tot. Als könnte ich das vergessen.
Die Nacht ist hereingebrochen und es ist dunkel geworden. Ich weiß, dass sich meine Mutter schön langsam Sorgen macht, und ich kann es ihr auch nicht verdenken. Schließlich ist ihr einziger Sohn seit Stunden weg. Und auch wenn ich alt genug bin, einfach mal nicht nach Hause zu kommen, so ist es doch etwas anderes. Schließlich will sie etwas mit mir „besprechen".
Ich verabschiede mich von meinem Vater, bin aber mit nichts weitergekommen. Weder weiß ich jetzt, was ich will, noch konnte ich mein Gewissen erleichtern. Der Verlauf des Tag, oder besser gesagt der Nacht, kann nur noch besser werden.
Wenigstens kann man jetzt nicht mehr auf den ersten Blick erkennen, dass ich Alkohol getrunken habe. Ich mache mich zu Fuß auf den Weg nach Hause. Der Weg ist lange und als endlich unser Haus in Sichtweite ist, brauche ich unbedingt eine warme Dusche und ich kann die Blasen an meinen Füßen fühlen.
Ich betrete das Haus und schlüpfe aus meinen Schuhen. Meine Fußsohlen brennen und ich muss die Zähne zusammenbeißen, dass ich kein Keuchen ausstoße.
Jetzt, wo die Fußbodenheizung meine Füße wärmt, merke ich auch, dass sie fast eingefroren sind.
»Wo warst du denn so lange?«, meine Mum, die gerade den Kopf zur Garderobe hereinsteckt, wirft mir einen Blick wütenden Blick zu. »Oliver, es ist schon fast 21 Uhr. Ich habe dich schon dreimal angerufen«, ihre Stimme klingt genervt, aber auch besorgt.
»Sorry, ich habe es auf lautlos gestellt. Außerdem hatte ich ein Date«, gebe ich zurück. Mit einer schrecklichen Frau, mit einer Flasche Alkohol und mit meinem Dad. Aber das sage ich ihr nicht.
»Na, war es wenigstens schön?«, sie versucht ein Lächeln. Ich nicke nur und will mich an ihr vorbeischieben.
»Oh Gott Ollie, was tust du bloß? Bist du überhaupt mit dem Auto gekommen?!«, die Stimme meiner Mutter hat eine schwindelerregende Höhe erreicht. Bestimmt zerspringt gleich ein Glas in der Küche.
»Nein, das Auto steht vor dem Supermarkt in der Stadt. Ich musste danach noch etwas gehen«, versuche ich zu erklären.
»Komm mal mit ins Wohnzimmer. Nein, zieh dir vorher etwas anderes an und wasch dich!«, ordert sie streng und ich lasse den Kopf hängen. Ich fühle mich wie ein kleines Kind. Aber da ich wirklich eine Dusche brauche, begebe ich mich nach oben.
In meinem Zimmer nehme ich mir neue Kleidung aus dem Schrank. Ich mache einen Abstecher ins Bad, wo ich mich unter die Dusche stelle, damit ich den Schweiß abwaschen kann.
Jetzt wo ich mein demoliertes Gesicht im Spiegel anschaue, beginnt es gleich, noch mehr wehzutun. Die Stelle unter meinem Auge hat sich bereits blau verfärbt und ich sehe unter diesem Fleck kreidebleich aus.
Frisch gewaschen, ziehe ich mich wieder an. Ich benutze eine Wundcreme für mein Gesicht, weil ich hoffe, dass diese einen schnellen Effekt hat. Anschließend schlüpfe ich in dicke Wollsocken, damit es meiner Füße und Zehen ein wenig angenehmer haben. Dann bereite ich mir seelisch darauf vor, was meine Mum mit mir bereden will.
Ich gehe langsam die Stufen wieder hinunter. Meine Mutter sitzt auf dem Küchentisch und hält ein Glas Wasser in den Händen. Ich räuspere mich leise. Sie dreht sich um und deutet auf den Sessel gegenüber von ihr.
»Ollie«, sie hält kurz inne, bis ich sitze: »Was ist los? Und damit meine ich jetzt nicht, dass du so lange weg bist, sondern alles ab dem Zeitpunkt, als dein Vater gestorben ist. Du redest nicht mehr mit Tom, du prügelst dich in der Schule, du bist abwesend und es fühlt sich an, als wärst du gar nicht mehr du...«
Als ich in ihr Gesicht sehe, sehe ich die Tränen in den Augen meiner Mama. Ich greife nach ihrer Hand. Sie ist eiskalt.
»Es tut mir leid, ich will dich einfach nicht enttäuschen...«, sage ich und bin überrascht, wie leicht es mir fällt, das so zu sagen.
»Wieso solltest du das?«, meine Mama sieht erstaunt aus. So als würde sie es gar nicht in Erwägung ziehen, dass ich so denken könnte.
»Ich habe total versagt. Dad würde mich hassen«, hauche ich. Meine Mum schüttelt den Kopf und sieht wütend aus.
»Nein Ollie! Es ist verständlich, dass du nach so einem Schicksalsschlag am Boden bist. Ich habe dir schon angeboten, dass du zu der Therapeutin mitgehen kannst, die ich einmal die Woche besuche«, bietet sie an. Aber ich schüttle den Kopf. Ich komme damit klar. Ich werde mich wieder fangen. Bestimmt.
»Danke Mum«, sage ich und weiß selbst nicht, für was ich mich bedanke. Vielleicht einfach nur, dass sie da ist.
»Natürlich Ollie, und du musst mit Tom reden. Nichts ist so kaputt, dass man es nicht wieder reparieren könnte!«, erklärt sie noch. Da bin ich mir nicht so sicher. Ich denke unsere Freundschaft ist nicht mehr zu kitten. Ich nicke aber, weil ich nicht will, dass sie sich noch mehr Sorgen um mich macht.
»Ich versuche es!«, verspreche ich. Sie lächelt leicht und trinkt einen Schluck Wasser.
»Erzähl mir, mit wem du dich getroffen hast«, fordert mich meine Mutter nach ein paar Sekunden der Stille auf.
»Nur mit einem Mädchen, das ich im Fitnessstudio getroffen habe. Aber ich denke nicht, dass daraus etwas wird«, gebe ich zurück.
»Warum nicht?«, erkundigt sie sich.
Weil ich schon lange jemanden anderen gut finde. Nicht nur gut. Heiß, schön, absolut perfekt. Aber das kann ich ihr so nicht sagen.
Ich denke zwar nicht, dass meine Mum ein Problem damit hätte, würde ich ihr sagen, dass ich auf Männer stehe, oder dass ich zumindest einen attraktiv finde. Aber man weiß ja nie so genau, wie ein Mensch auf so eine Aussage reagiert.
»Ich weiß nicht. Es hat eben einfach nicht gepasst«, versuche ich zu erklären.
»Man kann nichts erzwingen...«, gibt sie zu bedenken und ich nicke. Natürlich nicht.
»Ich nehme mir noch etwas zu essen und gehe dann hoch«, sage ich dann und sie lächelt und nickt.
Ich stehe auf und mache mich am Kühlschrank zu schaffen, damit ich mir nach diesem anstrengenden Tag noch ein Abendessen gönnen kann.
Mit zwei aufgebackenen Brötchen und Gemüse mache ich mich auf den Weg nach oben, wo ich mein Handy ausschalte, damit ich nicht länger mit so viel Hoffnung auf eine Nachricht warte. Stattdessen mache ich es mir auf meinem Bett gemütlich und sehe mir einen Film an.
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Hinter verschlossenen Türen [boyxboy]
Romance... ,,Ich habe mich schon in dich verliebt, als du mir in dieser Nacht vor die Füße gestolpert bist." ... Ollies Vater ist gestorben. Seine Mutter verliebt sich neu und ihr Freund bringt seinen Sohn Tyler mit in die Beziehung. Das Problem ist, Olli...