45. Kapitel

94 12 6
                                    

Ich sitze im Bett und reibe mir die Schulter. Und Tyler steht neben mir und sieht mich verwirrt an. Oh Gott, was habe ich im Traum getan oder gesagt?

»Was?«, fauche ich, um meine Unsicherheit zu überspielen. Die Decke liegt um meinen Unterbauch und knüllt sich um meine Füße. Ich hoffe, er hat nichts gesehen. Nichts, was sich gerade in meiner Leistengegend abspielt.

Schnell ziehe ich die Decke wieder an meine Brust.

»Ich wollte dich bloß wecken...«, versucht Tyler zu erklären und ich ziehe die Augenbrauen zusammen. »... Aber du hast ja anscheinend schön geträumt...«, schiebt er nach und ich werde so rot, dass ich mir kurzerhand die Decke über den Kopf ziehe. Bestimmt leuchtet die Röte durch die Decke. Mann, ist das peinlich.

Ich höre Tylers leises Lachen. Das macht mein Problem leider nicht weniger „hart".

»Unsere Eltern haben schon das Frühstück hergerichtet, kommst du?«, fragt er dann.

»Ja, gleich...«, brummle ich unter der Decke und deute ihm mit der rechten Hand, dass er das Zimmer verlassen soll.

Vielleicht kann ich die Zeit zurückdrehen und mein Aufwachen noch einmal durchspielen? Im Moment wünsche ich mir nichts mehr, als dass ich solche Fähigkeiten habe.

Aber leider hat das Leben keine Rückwärtstaste. Ich höre Tyler: »Bis gleich...«, sagen und seine Schritte, die sich von meinem Bett entfernen.

Allein der Gedanke an unsere Elternteile und den Tag, den ich überleben muss, lässt meine Erektion an Härte verlieren. Wenigstens muss ich mir nicht selbst Abhilfe verschaffen.

Ich atme einmal durch. Dann taste ich nach meinem Handy, das zeigt, dass es erst acht Uhr ist. Das ist ja fast noch mitten in der Nacht. Und wenn Georg und meine Mum schon Frühstück gemacht haben, wie lange sind sie dann schon wach? Ich habe jetzt schon keine Lust mehr. Der Tag ist schon schrecklich und er hat noch nicht einmal richtig angefangen.

Ich zähle innerlich bis drei und schwinge die Füße aus dem Bett. Dann werfe ich einen Blick beim Fenstern hinaus. Das Wetter sieht halbwegs gut aus. Jedoch bemerke ich am Horizont Wolken. Vielleicht gibt es ein Gewitter. Ein Gewitter am Berg. Bestimmt wird es richtig schlimm. Aber vielleicht bilde ich mir die Menge der Wolken auch nur ein.

Schnell schlüpfe ich in ein neues Shirt und ziehe einen Pulli drüber. Über meine Boxershorts kommt eine Jogginghose. Im Bad mache ich eine Katzenwäsche, zu mehr habe ich keine Zeit.

Anschließend gehe ich ins Essenzimmer. Dort sitzen tatsächlich meine Mutter und Tylers Vater. Sie essen aufgebackene Brötchen mit Beilage und trinken Kaffee. Tyler kann ich nicht sehen.

»Ollie! Guten Morgen! Schön geschlafen?«, meine Mama strahlt mich an.

Ich nicke und schaue mich unauffällig um. Sein Ernst? Zuerst wirft er mich aus dem tiefsten Schlaf und den schönsten Träumen und dann ist er selbst nicht da?

»Tyler, zieht sich gerade noch um...«, erklärt Georg, als ob er merkt, dass ich mit den Augen nach Tyler suche.

»Mhm«, mache ich und lasse mich auf einen Sessel fallen. Dann nehme ich mir ein Brötchen aus dem Korb und schneide es auf. Mein ganzer Teller ist voller Brösel. Es ist fast gar nichts mehr von dem Weckerl übrig.

Gerade versuche ich Butter auf die eine Hälfte zu streichen, da höre ich ein Geräusch an der Tür.

»Tyler! Bereit fürs Wandern?«, meine Mum strahlt ihn an. Großartig, dass sie so glücklich ist. Großartig, dass er ein enges T-Shirt in hellblau trägt... Das meine Augen wie durch Magie anzieht.

Was ist nur los? Es ist nur ein T-Shirt. Es ist nur Tyler. Ich habe das im Griff. Ich habe mich im Griff. Heute ist Samstag. Das heißt ich muss nur diesen Tag und den nächsten überstehen, dass ist doch ein Kinderspiel.

»Natürlich Mona!«, er grinst meine Mutter an und lässt sich neben mir nieder. Noch näher geht ja gar nicht. Als ob er so Lust auf das Wandern hat. Er kann doch gar nicht schauspielern.

»Na, so möchtest du wandern gehen?«, er deutet auf meine Jogginghose.

»Ja, was dagegen?«, gebe ich zurück und gebe mir Marmelade auf die Brötchenhälfte.

»Nein. Aber es soll ziemlich windig werden...«, er schnappt sich seelenruhig ein Brötchen mit Körnern.

Dann greift er nach dem Stoff meiner Jogginghose und meint ganz fachmännisch: »Die sieht nicht gerade so aus, als wäre sie dick...«

Ich werde ihm einfach die Kanne Kaffee über den Schoß leeren, ich denke, dass treibt ihm das Grinsen aus dem Gesicht. Sie sollte richtig heiß sein, damit es einen guten Effekt erzielt.

»Tja...«, sage ich und beiße von meinem Frühstück ab. Ich weiß nicht, was er sich von diesen Dingen erhofft. Er hat mir gerade gestern erst klargemacht, dass er keine Beziehung will. Ach nein, dass er keine Beziehung mit mir will.

»Ich bin aber auch Tylers Meinung...«, meine Mama sieht mich stirnrunzelnd an. »Diese Hose ist vielleicht ein paar Millimeter dick, nicht dass du dich verkühlst...«

Oh Gott. Haben sich alle gegen mich verschworen. Fehlt gerade noch, dass Georg mir einen Vortrag über Erkältungen und deren Entstehung hält.

»Ich werde mich schon noch anziehen, keine Sorge...«, erkläre ich und versuche meine Stimme ruhig klingen zu lassen. Ich will mich nicht schon am Frühstückstisch streiten.

Nachdem ich die beiden Hälften verspeist habe, nehme ich mir die Kanne Kaffee und leere mir etwas davon in meine Tasse. Den Rest fülle ich mit Milch auf.

Ich trinke die Tasse aus und höre neben mir, dass Tyler auf seinem Brötchen herumkaut. Hoffentlich bricht er sich keinen Zahn ab. Dieses Geräusch lassen darauf schließen, dass es ein wenig zu lange im Backofen war. Aber nichts passiert.

Die Zähne bleiben im Mund und meine Mutter und Georg unterhalten sich über Wanderrouten. Ich hoffe, dass sie Erbarmen mit mir haben und eine einfache Tour aussuchen.

»Also, wir nehmen die Enzianroute, die dauert knappe vier Stunden. Dann kommen wir bei einem Gasthof an, wo wir Mittagspause machen können...«, sagt Tylers Vater in dem Moment.

Tyler verschluckt sich an einem Korn. Sein Husten erfüllt den Raum. Ich drehe mich zu ihm. Sein Gesicht ist hochrot. Hoffentlich erstickt er nicht.

»Hey...«, mache ich und klopfe ihm auf den Rücken. Nach und nach wird das Husten leiser und er wischt sich die Tränen aus den Augen. 

»Alles okay?«, frage ich leise. Er nickt nur und schluckt.

»Vier Stunden?«, fragt er dann und sieht so verzweifelt aus, wie ich mich gerade fühle.

»Ja«, bestätigt Georg und sieht glücklich aus.

»Und von dort können wir einen schmalen Weg nehmen und befinden uns wieder hier!«, er fährt mit dem Finger eine Linie auf der Karte nach.

Toll, besser geht es ja nicht. Wandern, essen, Hütte. Diese drei Wörter beschreiben meinen Tag. Das kann ja gar nicht besser werden.


Hinter verschlossenen Türen [boyxboy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt