Kapitel 35

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Als ich zu mir kam, lag ich in meinem Bett.
Ich setzte mich auf und rieb mir den Schlaf aus den Augen.
Ich erschrak.
Jemand saß an meinem Bett.
Es war Desmond.
"Guten Morgen, Prinzessin."
"Morgen, wie bin ich hierher gekommen?"
"Euer Bruder hat euch hergetragen, nachdem ihr im Garten an seiner Brust eingeschlafen seid. Ihr solltet aufstehen und euch anziehen. In einer Stunde halt euer Vater Hof."
"Und Mutter?"
"Sie wurde in der Nacht in ihrem Sarg aufgebarrt. Er steht im Thronsaal. Wenn ihr euch von ihr verabschieden wollt und eine Rose zu ihren Füßen legen wollt, dann solltet ihr euch beeilen."
Er stand auf und ging.
Ich stand sofort auf.
Holte mir ein komplett schwarzes Kleid aus dem Schrank.
Ich zog das Unterkleid an, dann kam das Korsett und dann die ganzen Überröcke.
Als ich fertig war, steckte ich meine Haare zu einem Kranz und steckte eine schwarze Rose hinten hinein.
Ich nahm die Rose, die auf meinem Tisch lag und lief in den Thronsaal.
Es war noch niemand da.
Ich lief zu dem Sarg, der erhöht hinter dem Thron stand.
Mutter trug ein wunderschönes weißes Kleid und ihre Haare waren offen neben ihren Körper gelegt.
Auf ihnen waren Rosen abgelegt und in den Händen hielt sie einen Elbenbogen.
Ich machte meinen Geist leer und suchte nur nach Erinnerungen an sie.

Dann ließ ich die Blume fallen und die Trauer nahm mich in Besitz.
Früher war ich voller Hoffnung gewesen, dass Mutter mir einst kleine Geschwister schenken würde oder mich vor Vater schützen würde.
Doch all diese Hoffnung war verschwunden.

Ich merkte nicht wie lange ich dort gestanden hatte, aber irgendwann stand jemand neben mir.
"Sie war die einzigste die ich je lieben werde. Sie war einzigartig und so wie sie gibt es keine zweite. Louise, stellst du dich schon einmal an deinen Platz?"
"Ja, Vater."
Ich ging auf die Empore hinauf.
Ich stand immer hier oben, mit Leopold.
Leopold kam kurz nach mir.
Er stellte sich neben mich und wir sahen nach unten.
Der Thronsaal füllte sich nach und nach mit Generälen und den Lords, die mittlerweile aus dem Süden hergezogen waren.
Vater saß auf seinem Thron und empfing als erstes Bittsteller, dann noch Gesandte und nach einer Stunde war er fertig.
Er sagte:"Ich bitte Lord Wallenstein und Desmond noch einen Augenblick zu bleiben."

Die anderen gingen und ich sah wie einige zum Sarg schielten.
Ich wollte auch gehen, doch Leopold flüsterte mir ins Ohr:"Vater hat gesagt, wir sollen auch noch einen Augenblick hier bleiben."
"Warum?"
"Es hat was mit deiner Strafe zu tun, mehr weiß ich auch nicht."

"Als ich gestern an deiner Brust eingeschlafen bin..."
"Da habe ich dich hoch getragen und dir dein Nachtkleid angezogen. Das wolltest du doch fragen oder?"
"Ja, welche Strafe fordert Vater von mir?"
"Es ist eine Leibesstrafe, mehr weiß ich wirklich nicht. Er sagt mir auch nicht alles was er vorhat."
Als alle aus dem Saal waren, winkte Vater Desmond und Lord Wallenstein zu sich und rief zu hinauf:"Leopold, bring deine Schwester!"

Leopold sah mich an und flüsterte:"Verzeih bitte, liebe Schwester."
Er umfasste meine Handgelenke und zog mich die Treppen hinunter.
Noch nie war er so grob gewesen. Als ich stolperte, umfasste er meine Hüfte und zog mich einfach hinter sich her.
Und dann standen wir vor dem Thron.
Leopold hielt mit der einen Hand meine Hände fest mit der anderen umfasste er meine Hüfte.
Ich versuchte mich loszumachen, aber Leopold war zu stark.
Er hatte zu viel Zeit damit verbracht, sich auf einen Kampf vorzubereiten. Zu viel Zeit mit Vater.
Ich sah Vater an. In seiner Miene las ich rein gar nichts. Sie war ausdruckslos.
Lord Wallenstein sah mich an und wollte gerade etwas fragen, da sagte Vater:" Lord Wallenstein, ihr sollt sehen wie ich mit Leuten verfahre, die sich gegen mich wenden oder meine Anweisungen nicht befolgen selbst wenn es sich um meine Tochter handelt."
Alles in mir zog sich zusammen.
Lord Wallenstein fragte:"Was könnte eine so schöne junge Dame denn anstellen, damit ihr derart wütend auf sie seid?"
Leopold zog mich an seinen Körper noch näher heran und flüsterte in mein Ohr:"Halt still und wehre dich nicht, Vater sagte, dass er dann nur noch strenger wird."
Er machte mir Angst. Beide machten mir Angst. Was hatten sie ausgetüfftelt was ich tun sollte?
Vater sagte zu Lord Wallenstein:"Nun sie schreibt Gedichte, obwohl ich es ihr verboten habe. Hier das habe ich ihr einmal abgenommen:

Wie wenn das Leben wär' nichts anders
Als das Verbrennen eines Lichts.
Verloren geht kein einzig Teilchen
Jedoch wir selber gehn ins Nichts!

Denn was wir Leib und Seele nennen,
So fest in eins gestaltet kaum,
Es löst sich auf in Tausendteilchen,
Und wimmelt durch den öden Raum. "

Ich fiel ihm ins Wort und beendete mein Gedicht:"

Es waltet stets dasselbe Leben,
Natur geht ihren ew'gen Lauf,
In tausend neuerschaffnen Wesen
Stehn diese tausend Teilchen auf.

Das Wesen aber ist verloren,
Das nur durch ihren Bund bestand,
Wenn nicht der Zufall die versträubten,
Aufs neu zu einem Sein Verband."
(Das Gedicht ist von Theodor Storm 1817-1888.)

Vater sah mich an, als hätte ich ihn geschlagen.
Leopold hielt mich immer noch fest, doch ich war erleichtert.
Ich hatte mein Gedicht einem Lord gesagt.
Lord Wallenstein standen die Tränen in den Augen.
"Das war wunderschön. Warum wollt ihr nicht, dass eure Tochter Gedichte schreibt? Sie sind wunderschön und berühren das Herz eines jeden Mannes."
"Wollt ihr der nächste sein, der bestraft wird?! Ich dulden so etwas nicht! Meine Tochter wird ihre Zunge so beherrschen wie ich es will! Und schreiben wird sie dieses Zeug niemals wieder! Desmond, kümmer dich um sie und er hier, soll dabei sein!"
"Mein König, es ist noch nicht alles bereit."
"Sperrt sie solange in den Kerker! Schafft sie mir aus den Augen und lasst sie meinen Zorn spüren!"
"Jawohl, mein König."

AngeklagtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt