|Zweiter Teil|Es gab zu viele Orte, an denen der Tod näher war, als das Leben.
Der reiche Westen war einem Schlachtfeld gewichen.
Die Einwohner waren zerstreut; die Umgebung lag im Chaos. Zwischen nebligen Feldern und Waffengeklirr erhoben sich Lager, Gemeinden, Höfe und Gräben.Doch dort, wo Scarlett saß, flackerte ein Meer aus feurigem Rot.
Flammen kräuselten dem Nachthimmel entgegen; dicke Schwaden hüllten die Dunkelheit in einen stummen Schrecken. Selbst die Monde hingen blass am Himmel. Alles war eingewickelt im schwarzen Tuch; alles war ehrfürchtig... Und wenn die Götter hier wären, würden selbst sie den Atem anhalten.
Hitze kämpfte sich durch die Holzhütte. Lohen züngelten aus den Fenstern hervor — ein Bild aus Gold und strahlendem Orange, das vereinzelt von schwarzen Gestalten unterbrochen wurde.
Soldaten wanderten umher. Ihre intensiven Bewegungen waren fast wie ein Tanz, während sie die Wassereimer füllten.
"Es gibt keine Rettung für die, die den Tod als Befreiung sehen", hatte einer der Offiziere am Vormittag gesagt. Scarlett konnte sich diesen Worten nicht mehr entziehen. Er hatte recht. Es gab keine Hoffnung.
Wenn sie sich anstrengte, konnte sich die Formwandlerin an die Schlacht zurückerinnern, die hier gekämpft worden war. Seither war eine Woche vergangen — zumindest schätzte sie das.
Noch immer beseitigte man Schäden, schaffte Körperteile aus dem Weg und bemühte sich das Dorf zu retten, das einst hier gestanden hatte. Von der kleinen Gemeinde blieben nur noch Gerippe übrig. Stämme ragten aus dem Boden, einige Zäune waren intakt geblieben... Und doch waren hier die Schatten länger, als irgendwo sonst.
Scarletts Gedanken wurden unterbrochen, als sich hinter ihr etwas regte.
»Es kommen Soldaten aus Brus«, erklärte eine junge Stimme. Es war Edek: ein Mann mit schmalem Gesicht, schiefer Nase, buschigen Brauen, Segelohren. Ein fieses, verschrobenes Grinsen verzerrte seine Lippen — eine Miene, so charakteristisch, wie ein Muttermal.
»Hm.«
»Hast du gehört, was passiert ist?«
»Ja«, antwortete sie. Sie kommentierte seinen stichelnden Blick mit einem Schulterzucken.
»Warte, ich dachte, du kommst aus Brus?«
»Richtig, aber ich will damit nichts zu tun haben.« Scarlett stöhnte gedehnt. Ihr Blick glitt zum Himmel.
Edek warf sich neben sie in das Gras. »Es werden die meisten zu uns geschickt. Zumindest die, die überleben.«
»Es ist beachtlich, wenn es überhaupt jemand überlebt.«
»Wegen den Monstern, hm?« Er rieb sich das Gesicht. »Glaubst du das? Hast du sowas jemals gesehen?«
Das wusste sie selbst nicht.
Immer wieder flammte vor ihrem inneren Auge ein unklares Bild auf. Eine weiße, magere Gestalt inmitten eines schattigen Labors. Es war eine Erinnerung, so unklar und wackelig, dass sie genauso gut ein Traum sein könnte. »Kann sein... Aber diese Monster sind kein Normalzustand.«»Ist Brus wirklich so wunderschön, wie immer berichtet wird?«
»Ich erinner mich nicht wirklich an die Stadt«, gestand sie. »Mein Gedächtnis war nie sonderlich gut.«
»Ah, deswegen verrätst du deinen Namen auch nicht. Weil du den auch vergessen hast?«
Scarlett presste knapp hervor: »Mittlerweile sollte dir aufgefallen sein, dass Formwandler ihre Identität nicht preisgeben.«

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Seele eines Cruors
Fantasía»Für die, die leben, ist der Tod nicht greifbar!« Der Untergang von Brus hat Existenzen zerstört. Flüchtlinge verteilen sich in den umliegenden Dörfern, kriminelle Gruppen bilden sich und die Hafenmetropole wird zum Brennpunkt des Schreckens. Chase...