9: Blue, er hat dir einen Wein geschenkt!

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Violett

Ich konnte Spiegel einfach nicht ausstehen. Schon als Kind hatte ich eine enorme Abneigung gegen sie entwickelt. Vielleicht lag es daran, dass meine Mutter uns immer vor den Spiegel stellte, damit wir uns selbst betrachten konnten. Jedes Mal, wenn ihr etwas an uns nicht gefiel – sei es die Frisur, das Gesicht oder die Kleidung –, teilte sie uns das mit einer Kälte mit, die ich nie verstand. Diese Erinnerungen hatten sich tief in mein Gedächtnis eingegraben und ließen mich die Reflexionen meiden, die mir oft nur die Unvollkommenheiten zeigten. Deshalb besaß ich keinen Spiegel in meinem Zimmer. Es war eine bewusste Entscheidung, eine kleine Revolution gegen diese ständige Selbstkritik. Der kleine Spiegel im Badezimmer reichte mir vollkommen aus, um mich für den Tag vorzubereiten. Ich brauchte nicht mehr, um zu wissen, dass ich mich in einem ständigen Kampf mit meinem Selbstbild befand. Und doch, wenn ich ab und zu in den Spiegel blickte, schlich sich ein Gefühl der Unsicherheit in mein Herz. Konnte ich jemals die Person sehen, die ich sein wollte?

„Bist du bereit?"

Ich drehte mich um und sah Gabriel im Türrahmen stehen. Er trug ein schwarzes Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln und eine schwarze Jeans, die seine ernste Haltung unterstrichen. Ein kurzer Blick auf mein schwarzes Kleid, das mir bis zu den Knien ging, ließ mich an meinen eigenen Gefühlen zweifeln.

„Ich weiß es nicht", flüsterte ich, während ich das Kribbeln in meinem Bauch spürte. Die Schritte, die sich näherten, verstärkten das Gefühl der Unruhe in mir. Plötzlich fühlte ich seine kräftige Hand auf meinem Hinterkopf, und mein Bruder drückte mich sanft an sich. Sofort schlang ich meine Arme um ihn und lehnte mich an seine Brust. Der vertraute Duft seines Aftershaves und die Wärme seines Körpers gaben mir für einen Moment Halt in dieser schmerzlichen Realität.

„Du darfst nicht traurig sein. Denk daran, Flora hat immer gesagt, wir sollen nicht weinen, wenn dieser Tag gekommen ist."

Seine Stimme klang fest, doch ich spürte die Unsicherheit hinter seinen Worten.

„Ich weine auch nicht, aber leicht ist es dennoch nicht", murmelte ich an seine Brust, während sich ein Kloß in meinem Hals bildete. „Außerdem fühle ich mich schlecht, dass du alles selbst geklärt und vorbereitet hast. Hättest du es mir sofort gesagt, hätte ich auch mehr helfen können." Mein Brummen war ein verzweifelter Versuch, die Welle der Traurigkeit zurückzuhalten, die in mir aufstieg.

„Violett, ich habe selbst so entschieden. Außerdem hat Flora vieles... vorbestimmt. So viel war es also nicht. Ich musste es nur umsetzen."

Seine Worte klangen abgeklärt, doch ich konnte die Trauer in seiner Stimme spüren. Es war, als würden wir beide in der gleichen Dunkelheit schwimmen, ohne die andere Hand des anderen zu sehen. Das Gefühl der Ohnmacht und der Trauer schnürte mir die Kehle zu, und ich wollte einfach nur die Zeit zurückdrehen, um all die unbezahlbaren Momente mit Flora noch einmal zu erleben. „Es ist nicht fair", flüsterte ich und schloss die Augen, um die Tränen zurückzuhalten. „Es ist nicht fair, dass wir hier stehen müssen..."

„Violett!! Dein Freund ist hier!" schallte Blues Stimme aus dem Wohnzimmer. Sofort löste ich mich von Gabriel und lief, noch verwirrt von den vorherigen Emotionen, nach unten. Mein Bruder folgte mir mit einem besorgten Blick, der mir sagen wollte, dass er mir in diesem Moment beistand.

Im Eingangsbereich stand Blue in ihrem schwarzen Hosenanzug, der ihre Energie und Entschlossenheit widerspiegelte. Ein breites Grinsen zierte ihr Gesicht, doch als ich an ihr vorbei sah, wurde mir sofort klar, warum.

„Hey, Connor. Was machst du denn hier? Ich dachte, wir sehen uns auf dem Friedhof", fragte ich, während mein Herz schneller schlug.

„Falsch gedacht, Vi", erwiderte er mit einem schmunzelnden Ausdruck, während er sich neben Blue stellte. „Schick, schick, Blue. Und du siehst natürlich auch gut aus, Gabriel."

Flirting With The Vet || Band 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt