Kapitel 43: Gerichtsgott?? Dein ernst?

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Violett

Ich wollte schreien. Richtig laut. Aus Wut und Panik. Wütend, weil meine Mutter tatsächlich hier war, und panisch, weil ich nicht wusste, warum. Wenn ich doch nur all diese Anrufe beantwortet hätte, anstatt sie zu ignorieren. Ich hätte ihre Stimme hören sollen, aber ich hätte sie nicht sehen wollen. Doch nun war sie hier, saß in unserem Wohnzimmer auf unserer Couch. Die Beine hatte sie schwungvoll überkreuzt, Schultern zurück, Bauch rein, Brust raus. Sie saß da mit ihren perfekten Haaren, ihrem Make-Up und ihren High Heels, perfekt vor uns. Ich erinnerte mich noch genau, wie sie uns täglich die perfekte Sitzhaltung beibrachte. Bei mir mehr als bei Gabriel, weil ich eine Frau war. Verdammt, ich war fünf gewesen und wollte in meinem Sandkasten spielen. Ich hatte kein Interesse daran, wie ich verkrampft sitzen musste und wie ich mich zukünftig kleiden musste, um ernst und erwachsen auszusehen. Ich. War. Fünf. Ab da ging alles los.

„Wie ich sehe, hast du dich hier gut eingelebt." Ihre Augen saugten regelrecht jeden Quadratmeter, den sie hier sehen konnte, in sich auf. Für einen kurzen Moment blieb ihr Blick an unserem Bücherregal hängen, das neben dem Wohnzimmer stand. Ihre Mundwinkel zuckten leicht nach unten. Wahrscheinlich zuckte sie innerlich zusammen, weil wir vor den Büchern auch ein paar Dekorationen aufgestellt hatten, wie Hasen oder Küken, obwohl kein Ostern war. So etwas mochte meine Mutter gar nicht, obwohl Dekorationen sowieso spärlich bei ihr ausfielen.

„Ja, so ist es", gab ich knapp zurück. „Also? Was hat dich hier aufs Land verschlagen? Noch dazu unangekündigt."

„Wärst du ans Handy gegangen, wüsstest du es. Aber wie ich sehe, warst du anderweitig beschäftigt." Ihr Blick huschte zu Connor, der neben mir saß und mich mit seiner Anwesenheit beruhigte. „Hast du studiert?", fragte sie ihn direkt, was ziemlich unhöflich war. Und ich ahnte schon, in welche Richtung das Gespräch gehen würde. Irritiert nickte Connor. „Ähm, ja, Tiermedizin."

„Also bist du Tierarzt?"

„So sieht es wohl aus."

Sie schnaubte und wandte ihr Gesicht mir zu. Ihre strengen Augen sahen direkt in meine. „Und du weißt, dass meine Tochter nur kreatives Schreiben und englische Literatur studiert hat?" Nur. Mit nur diesem kleinen Wort machte sie deutlich, was sie von meinem Studium und mir hielt. Aber so, wie sie es betonte, machte es mir mehr zu schaffen. Connor hob eine Augenbraue. „Ja, das weiß ich", sagte er, lehnte sich zurück und legte einen Arm um meine Schulter. „Was ziemlich beeindruckend ist."

„Beeindruckend? Jura, Mathematik, Medizin, egal welcher Art, ist beeindruckend, aber doch nicht so etwas. Das kann jeder studieren und beenden."

„Da haben Sie vollkommen recht, aber nicht jeder hat das Talent dazu, aus diesem Studium etwas zu machen. Violett schon." Mein Herz erwärmte sich bei Connors Worten. Wie er mich verteidigte. Dafür würde ich ihn später verdammt lange küssen.

„Wenn sie dieses Talent hat, wieso arbeitet sie dann als Aushilfe in deiner Familienpraxis und nicht wenigstens in ihrer Branche? Aber ich weiß, außer Bücher schreiben geht da nichts und damit verdient man nicht gerade viel Geld. Außer man hat Kontakte, und das hat meine liebe Violett nicht", sagte sie, wobei sie etwas aus ihrer Michael Kors Handtasche herauszog. „Aber sei es drum. Du bist schon lange über 18, und somit hast du dein eigenes Leben zu führen. Ich habe lange genug versucht, dich in die richtige Richtung zu führen, aber gehorsam warst du nicht. Eigentlich bin ich nur deshalb hier." Nach diesen Worten stieg die Anspannung im Raum deutlich an. Selbst Connors Körper war angespannt, was dazu führte, dass ich meine Hand auf sein Knie legte, als ich gleichzeitig einen Umschlag von meiner Mutter annahm.

„Du kannst dir gerne alles durchlesen, und ich hoffe, du wirst dich schlau entscheiden und den leichtesten Weg für uns alle nehmen. Wenn du mich entschuldigst, ich muss zurück nach Sheffield, um meinen Flug nach Hause zu bekommen." Mit diesen Worten stand sie auf, und Connor begleitete sie schnell zur Tür, als er merkte, dass ich mich nicht bewegte. Kein „Wie geht's dir?" Kein „Tschüss." Nur ein kleiner Brief, der mich fast würgen ließ. Das war mit Sicherheit ein böses Omen.

Flirting With The Vet || Band 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt