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POV: Jessica

"Ich könnte keiner Fliege ein Haar krümmen, Kokolores
Dafür bin ich viel zu grobmotorisch, grobmotorisch, grobmo-
Hass ist ein starkes Wort, doch es passt
Fährt im Wagen vor mir ein Spast..."

Durch meinen Wagen hallte die Stimme von Alligatoah, während meiner Fahrt auf der A2 von Göttingen nach Berlin. Ich beobachtete die langsamer werdenden Autos vor mir und sah auf meinem Handy den roten Streifen auf Google Maps. "Was zur Hölle passiert denn bitte auf der Autobahn, wenn noch keine Sau wirklich wach ist?!", fluchte ich und begann abzubremsen. Meine Playlist auf Spotify wurde kurzzeitig unterbrochen: "Auf der aktuellen Route kommt es zu einer Verzögerung von achtzehn Minuten." Ich biss förmlich ins Lenkrad, drehte die Musik lauter und hoffte, mit meiner persönlichen Gesangseinlage die Zeit im schleppenden Verkehr schneller überwinden zu können.

"When you see my face
Hope it gives you hell, hope it gives you hell
When you walk my way
Hope it gives you hell, hope it gives you hell..."

Nach 30 Minuten war ich durch den Stau gekommen und hielt die Augen nach einem Rastplatz offen. Es dauerte nicht lang, bis ich ein Schild erblickte, welches mir zeigte, dass ein Rastplatz mit Imbiss nur noch einen Kilometer entfernt war.

Ich setzte den Blinker, um abfahren zu können, und parkte mein Auto nahe dem Gebäude. Auf dem Rastplatz standen vereinzelt ein paar LKWs und nicht weit von mir ein Bus. Ein kurzer Blick ging auf meine Armbanduhr - 07:18 Uhr -, bevor ich mein Handy aus der Halterung nahm und aus dem Wagen stieg. Ich wollte mir gerade die Schachtel Marlboro Gold aus meiner Handtasche im Kofferraum nehmen, als mein Handy klingelte.

Ich nahm das Gespräch des unbekannten Anrufers an und mit dem ersten gesprochenen Wort sank meine Laune weiter.
"Hallo?"
"Hey... Na... hast du mich vermisst?", sagte die mir zu bekannte Stimme.
"Niklas, wenn ich ehrlich 'nein' sagen darf? Es würde mich freuen, wenn du meine Aussage so akzeptieren würdest. Warum unterdrückst du überhaupt deine Nummer?" Niklas war mein Ex-Freund, von dem ich mich zwei Monate zuvor getrennt hatte.
"Ach Maus, jetzt sei doch nicht wieder so abweisend zu mir. Warum treffen wir uns nicht morgen zum Abendessen und reden über alles?"
"Ich weiß nicht, was wir bereden sollten. Was hätte ich denn noch machen sollen? Ich konnte und wollte das alles nicht mehr.", sagte ich mit einem kalten Ton in der Stimme.
"Aber ich... Ach... Jetzt sei doch mal nicht so!", sein genervter Ton konnte mir nicht entgehen.
"Niklas, bitte lass es gut sein... Ich möchte...", meinen Satz konnte ich nicht beenden.
"Was soll ich denn noch machen, dass du zurückkommst?"
"Ich komme nicht zu dir zurück, ich kann das nicht mehr."
"Ach leck mich doch am Arsch, du kommst schon noch angekrochen!", ich erstarrte, als er lauter wurde und hörte das Tuten. Mir wurde schlecht und ein kalter Schauer lief mir den Rücken herunter.

Mein Handy glitt zurück in die Tasche meiner schwarzgrauen Jogginghose und mit zittrigen Händen griff ich nach der Zigarettenschachtel. Ich zog eine Kippe heraus und zündete sie an. Mit der linken Hand strich ich über meine braunen Haare und versuchte meine Gedanken zu sammeln.

Wieder klingelte mein Mobiltelefon als ich den Stummel der Zigarette weg schnipste, den eingehenden Anruf ignorierte ich. Im Imbiss bestellte ich einen großen Kaffee und ein belegtes Käsebrötchen. Eine junge Frau, welche augenscheinlich kaum älter war, als ich kassierte mich ab. Als ich ihr den Zehn-Euro-Schein überreichte, sah sie meinen Arm beziehungsweise mein Handgelenk an. "Heute ist das letzte Konzert der Jungs, bist du auf dem Weg nach Berlin?" Seit bald fünf Jahren wird mein rechtes Handgelenk von einem tätowierten Armband geziert, welches einen TP4L-Anhänger zeigt.
"Ja, ich bin gerade auf der Durchreise, wenn man es so nennen kann. Ich habe jetzt über zwei Jahre gewartet, mich endlich von normalen Menschen umgeben zu können.", lachte ich und zwinkerte ihr zu. "Meine Schicht konnte ich auch nur mit Ach und Krach tauschen, sonst müsste ich es mir entgehen lassen und hier schuften."
"Da hattest du wirklich Glück. Na dann, vielleicht findet man sich später wieder. Einen schönen Tag wünsche ich noch."

Das kleine Frühstück nahm ich am Auto in aller Ruhe zu mir und begann in meinem Kopf, ein Outfit für den Abend zusammenzustellen. 

"I push my fingers into my eyes
It's the only thing that slowly stops the ache..."

Slipknot ertönte aus meiner Hosentasche, "Wer ist das denn jetzt schon wieder?!", gab ich genervt von mir und zog den grünen Hörer mit dem Daumen nach rechts.

"Ja, Hallo?"
"Sag mal, du kleines Miststück, du hältst dich auch für was Besseres. Mein Bruder reißt sich noch immer den Arsch für dich auf und du? Was machst du? Dich lässt das einfach kalt, oder was?", in einem aggressiven Ton sprach die Schwester von Niklas zu mir.
"Sabrina, zuallererst wäre ich dir wirklich sehr verbunden, wenn du deinen Ton ein bisschen zügeln würdest; man kann mit mir auch normal reden. Ich habe Niklas so viel gegeben und während der Beziehung gekämpft, ich kann das alles nicht mehr und will...", wieder konnte ich meinen Satz nicht beenden.
"Ach du hast gekämpft?! Da hat mir mein Bruderherz, aber ganz anderen Geschichten erzählt!"
"Kannst du bitte aufhören so mit mir zu sprechen, sonst vergesse ich ganz schnell meine gute Erziehung.", sagte ich und versuchte hart zu bleiben. Das Thema sollte endlich begraben werden, seitdem ich mich getrennt habe, hatte ich keinen Tag Ruhe gehabt.
"Wann hast du denn bitte gute Erziehung genossen?! Das ist doch wohl jetzt ein schlechter...", ich unterbrach sie und sprach im ernsten Ton, "Ich wünsche dir noch einen schönen Tag und ruf mich nie wieder an, das kannst du deinem lieben Bruderherz auch ausrichten!"

Vor Wut schmiss ich das Handy in den Kofferraum, nahm mir die Zigarettenschachtel aus meiner Tasche und knallte die Heckklappe zu. Unweit von mir nahm ich männliche Stimmen wahr, die Personen aus dem Bus waren ausgestiegen.

Wie zuhause - 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt