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POV: Jessica

Die letzte volle Augustwoche war bereits angebrochen und ich war wieder aktiv in meiner Werkstatt tätig. Ich arbeitete langsamer als vorher, dafür hoch konzentriert. Meine vier Mitarbeiter und mein Teilhaber gaben mir positive Rückmeldungen, was mich stärkte. Ich war endlich wieder die Jessica, die damals voller Stolz allein die Tore zu ihrem Standbein öffnete. Es gab ein Thema, welches mich dennoch nicht losließ, ich wollte es auch nicht loslassen, Lukas. Meine Nachricht, die ich bei Steven an ihn geschrieben hatte, wurde zwar gesendet, aber eine Rückmeldung oder ein Lebenszeichen von ihm gab es nicht. Tim oder Steven wollte ich nicht fragen, da ich zu große Angst vor einer negativen Nachricht hatte. So lebte ich weiter in Unwissenheit und versuchte mich mit Arbeit abzulenken.
Bei etwas Musik saß ich in meinem Büro und bereitete die Buchhaltung für die Steuerkanzlei vor. Es klopfte an meiner Tür, nach meinem 'Ja' öffnete sie sich leicht nach innen und mein Auszubildender Tommy lugte in den Raum.

"Jessica, hier ist ein junger Mann, er will zu dir.", sagte er schüchtern.
"Ja schick ihn rein, aber noch etwas anderes... Hast du deine Pausenzeit heute schon voll ausgeschöpft? Du hast in 20 Minuten Feierabend. Wenn du noch ein paar Minuten offen hast, gehst du bitte eher, aber stempeln nicht vergessen." Tommy nickte und ich kehrte ihm den Rücken, um den Ordner zum Mahnlauf zu ziehen. Die Tür wurde geschlossen, vor Schreck ließ ich die Unterlagen fallen.

"Niklas... Was machst du hier?", die Angst breitete sich in meinem ganzen Körper aus.
"Ich habe dir gesagt, dass ich mit dir reden will, ich lass' mich nicht so einfach abspeisen, das weißt du. Ich habe keine bösen Absichten, ich will nur reden, bitte Jessica.", mit seinem ruhigen Ton erkannte ich ihn nicht wieder.
"N... Na gut... Nimm Platz."
"Schön hast du es hier, es ist unglaublich, was du dir hier aufgebaut hast."
"Bist du deswegen hier? Um dir nach Jahren mal meine Werkstatt anzusehen?"
"Jessica, ich weiß, dass ich Fehler gemacht habe... Unverzeihliche Fehler... Ich bin seit fast zwei Monaten clean, ich trinke auch keinen Alkohol mehr... Ich suche auch wieder aktiv einen Job, ich will mein Leben zurück... Ich will uns zurück. Du bist und bleibst für mich die Frau, der mein Herz gehört. Schau... Den sehe ich jeden Tag an und denke daran, wie stolz du warst, als du meinen Antrag angenommen hast.", Niklas zog meinen Verlobungsring aus seiner Hosentasche und lächelte diesen an.
"Ich kann dir das nicht verzeihen. Ich habe versucht, dir zu verzeihen und alles herunterzuspielen. Bei jedem Gedanken an dich verspüre ich Angst und Schmerz. Das ist ja nicht mal eine Basis für einen freundschaftlichen Umgang... Ich kann das nicht... ", mir wurde heiß und kalt, ich merkte, wie sich Tränen in meinen Augen sammelten.
"Aber...", mit großen Augen sah er mich an.
"Bitte... Es sollte Ruhe einkehren..."
"Jessie... Ich...", ich wollte nichts mehr von ihm hören.
"Niklas... Es wäre besser, wenn du gehen würdest.", ich stand auf, um die Bürotür für ihn zu öffnen.

Er stellte sich hinter mich und drückte die Tür zu, ich drehte mich zu ihm um und konnte den Zorn in seinen Augen sehen. Da war er wieder, der Niklas, den ich verlassen hatte.
"Ich war noch nicht fertig, was fällt dir ein!" Ich rief nach Hilfe. "Wenn ich dich nicht haben kann...", ich spürte seine Hand, die er mir an den Kehlkopf drückte. Die Panik wurde größer, ich versuchte ihn von mir zu drücken. Mit der Faust schlug ich panisch gegen die Tür, in der Hoffnung, dass Tommy mich hören könnte, wenn er nicht schon gegangen war.

Ich schaffte es nicht, Niklas von mir wegzudrücken; in meiner Panik hob ich mein Bein und verpasste ihm mit meiner gefühlt letzten Kraft einen Tritt in die Weichteile. In meinem Rücken spürte ich einen harten Schlag und fiel zu Boden. Die Tür von meinem Büro war geöffnet und ich nahm vertraute Stimmen wahr. Verschwommen sah ich, wie eine große schlanke Person Niklas im Nacken packte und aus meinem Büro brachte, eine weitere Person kam auf mich zu.

POV: Timi

Ich ging auf Jessica zu und legte ihren Kopf in meinen Schoß. Ein Mitarbeiter kam in das Büro und sah uns geschockt an. "Alter, steh' nicht so rum, hol' mir Wasser und einen kalten Lappen.", sagte ich laut. Panisch blickte ich Jessica an, es schien, als könnte sie jeden Moment wegtreten, was ich mit allem, was mir möglich war, verhindern wollte. Ihr Mitarbeiter kam zurück, ich riss ihm das Tuch aus der Hand und legte es Jessica auf die Stirn. "Danke, wie heißt du?", fragte ich ihn. "Davi.", er ließ seinen Blick nicht von Jessica ab. "Danke Davi, entschuldige meinen Tonfall. Ich bin Tim.", ich beobachtete, wie das Leben in Jessicas Augen nach und nach zurückkehrte, mit dem Tuch tupfte ich nun über ihr Gesicht.

POV: Lukas//Alligatoah

"Wenn ich dich noch ein einziges Mal in der Nähe von Jessica sehe oder höre, dass du versuchst dich bei ihr zu melden, dann Gnade dir Gott.", sagte ich dem Kerl lauthals ins Gesicht und drückte ihn von mir weg. Schnellen Schrittes lief ich zurück in die Werkstatt und die Metallstufen zum Büro hoch. Jessica lag mit ihrem Kopf in dem Schoß von Tim, während er mit einem nassen Tuch über ihr Gesicht tupfte. Ihre Augen blinzelten schneller und ihre Blicke gingen sporadisch durch den Raum.

"Lukas?", hauchte sie, Tim richtete sie vorsichtig auf und stützte sie, ihr Kollege reichte ihr die Wasserflasche. Ich hockte mich neben Jessica und blickte kurz zu ihrem Mitarbeiter hoch, "Sei mir nicht böse, aber würdest du uns allein lassen? Wir haben das hier im Griff, einer muss die Stellung halten." Er verließ mit einem Nicken den Raum und mein Blick wanderte zu Jessica zurück.
"Was...", fing sie an und blickte hinter sich, "Tim? Was macht ihr hier?"
"Ich war die letzten Tage bei Tim und habe im Wald mein Handy verloren, ich dachte, ich frage dich dieses Mal persönlich nach deiner Nummer.", ich strich ihr eine Haarsträhne hinter ihr Ohr. Ein leichtes Lächeln war auf ihren Lippen zu erkennen.

"Jessie!!! Girl!!!", eine weibliche Stimme rief und jemand kam die Metallstufen nach oben, "Ich bin da... Ich habe Kaffee dabei!!!" Im Türrahmen erblickte ich eine junge Dame, ungefähr Mitte 20. Ihre Arme waren, wie die von Jessica, stark tätowiert und ihre rosa gefärbten Haare wurden von einer großen schwarzen Schleife am Hinterkopf geziert. "Was ist passiert?!", fragte sie panisch, als sie Jessica auf dem Boden sitzen sah.

"Wir hörten, wie sie panisch an die Tür des Büros hämmerte, als wir sie aufdrückten, fiel sie zu Boden und mein Kumpel schleppte einen dunkelhaarigen Möchtegern hier raus." "Niklas?!", panisch blickte sie wieder zu Jessica. Diese nahm einen kräftigen Schluck aus der Flasche und wollte sich aufrichten, ich stützte sie. Sie ging auf ihre Freundin zu und umarmte sie vorsichtig, "Ena, schön, dass du da bist." Sie wandte sich in die kleine Runde, "Zigarettenpause?". Wir gingen vor die Werkstatt, auf dem kleinen Weg stützte ich sie vorsichtshalber. Sie setzte sich mit ihrer blauen Latzhose auf den Boden und lehnte sich gegen die Mauer des Gebäudes. 

Wie zuhause - 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt