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POV: Jessica

Auf der dunkelgrün lackierten Holzbank vor der Pension hatte ich mich niedergelassen, meine Arme waren auf meine Oberschenkel gestützt und mein Gesicht vergrub ich in meinen Händen. Unkontrolliert liefen die Tränen über mein Gesicht. Eine kühle Brise des Novembers lag in der Nacht, ich saß nur in einer knappen Shorts und meinen StRw V-Hoodie auf dieser Bank, die Kälte war mir in dem Moment gar nicht bewusst. Jemand nahm neben mir Platz und legte seinen Arm um mich. Ich hob meinen Kopf und sah Ena neben mir sitzen; über ihrem anderen Arm lag eine Jogginghose und mit ihrer Hand hielt sie mir eine Zigarette entgegen. Die Jogginghose nahm ich ihr ab und zog sie mir über, stumm nahm ich ihr die Zigarette aus der Hand und zündete sie mit ihrem Feuerzeug an. Ena strich mir sanft über den Rücken, ich blickte in den Himmel und atmete den Rauch aus. Meinen Kopf lehnte ich an ihre Schulter. Steven kam aus der Tür der Pension heraus, er hatte sich seinen Pullover übergezogen, stumm setzte er sich zu uns.

"Ich wusste, dass es so weit kommen würde... Die ganze Zeit hatte ich ein ungutes Gefühl bei dieser Frau...", winselte ich und zog wieder an dem fast heruntergebrannten Glimmstängel.
"Jessie, es tut mir so leid... Von dem, was ich mitbekommen habe... Lukas hat...", begann Steven.
"Lass bitte gut sein...", ich senkte meinen Kopf und vergrub mein Gesicht wieder in meinen Händen.

Ich weiß nicht, wie lange wir schweigend auf dieser Bank saßen; ich ließ mich auch nicht beruhigen; das konnte wahrscheinlich doch nur Lukas einfach mit seiner Anwesenheit. Ich wischte mir die restlichen Tränen aus dem Gesicht und hob meinen Kopf. Tim stand vor mir, seine Arme hatte er verschränkt und seine Lippen presste er aufeinander; in seinen Augen sah man einen besorgten Blick. Er sagte Steven und Ena, dass sie bitte wieder hineingehen sollten. Tim setzte mich neben mich und bot mir eine Zigarette aus seiner Schachtel an; dankend zog ich mir eine heraus.

"Wie geht es ihm?", fragte ich trocken.
"Das sollte ich dich eigentlich fragen... Er stellt sich selbst infrage, wie er nicht merken konnte, dass er die falsche Frau im Bett hatte...", Tim zog an seiner Zigarette.
"Bitte was?", ich war entsetzt.
"Jessica, Lukas ist seit dem Tag, an dem er dich das erste Mal gesehen hat, verliebt. Er hatte seine Gefühlswelt komplett verschanzt, dass selbst ich einen meiner besten Freunde nicht mehr erkenne; das meine ich nicht negativ. Glaubst du ernsthaft, dass er so weit gehen würde, nach allem, was ihr in der vergangenen Zeit zusammen durchgestanden habt? Lukas hat sich heute das erste Mal seit langem ein Getränk nach dem anderen in den Hals gestellt. Und dann...", Tim atmete laut und schwer aus. "Er lag schon im Bett und hatte sich darauf, konzentriert einzuschlafen, ohne aus dem Karussell zu fallen. Dann kam Tamara in euer Zimmer, hat angefangen, sich an ihn zu schmiegen... Er war und ist es auch immer noch, so voll, dass er dich verwechselt hat, weil ihr euch von den Äußerlichkeiten so ähnlich seid. Ihr habt die gleiche Körpergröße, ihr habt fast genau die gleiche Statur... Durch die dicken Vorhänge sind die Zimmer auch so stockdunkel...", erklärte mir Tim.
"Das war echt eine beschissene Idee von mir...", wieder senkte ich meinen Kopf.
"An sich war das ja wirklich eine gute Idee, es hätte doch keiner ahnen können, dass sowas passiert.", er sprach mir gut zu.
"Tim, ich weiß gar nicht, was ich jetzt machen soll... Ich kann und will Lukas auch nicht fallen lassen, aber es hat mich so verletzt, das zu hören.", wieder stützte ich meine Stirn und Tränen sammelten sich in meinen Augen.
"Das ist ja auch verständlich, ich denke, da würde es jedem Liebenden nicht anders gehen."
"Kannst du mir jetzt sagen, wie es Lukas geht?", fragte ich besorgt.
"Lukas ist total fertig, ich bin bei ihm geblieben, bis er eingeschlafen ist. Er hat sich selbst total runtergemacht, ich habe Lukas in den ganzen Jahren, in denen ich ihn kenne, noch nie weinen gesehen... bis heute.", Tim atmete tief durch und zündete sich noch eine Zigarette an.
"Was?", mit großen Augen sah ich ihn an.
"Jessie... Lukas liebt dich, er hat mir erzählt, dass er dir das heute Nacht selbst gesagt hat, auch wenn er voll war... Kinder und Betrunkene sagen immer die Wahrheit...", Tim legte seinen Arm um mich und streichelte mir über den Oberarm. "Ich weiß, dass du vielleicht jetzt etwas Zeit brauchst, aber ich sehe doch, wie stark deine Gefühle für ihn sind. Alleine schon, wie du Tamara von ihm weggezogen hast... Nur eine Frau, die von Herzen liebt, verteidigt wie eine Löwin, was ihr gehört."
"Was hätte ich denn anderes machen sollen... Und wie die noch an ihm rum gerieben hat, alter... Ich hätte der am liebsten...", mein Puls stieg wieder.
"Genau das meine ich...", feststellend hob er seine Hand. "Das nächste Mal wird es eben ein Stripper.", lachte er.
"Das kann ich euch nicht antun... Im Endeffekt wird dann noch Timigatoah gefährdet...", mit einem leichten Lächeln sah ich Tim an.
"Du erst wieder... Geht es dir jetzt etwas besser?"
"Ja schon...", ich nickte leicht. "Tim... Darf ich heute Nacht vielleicht bei Ena schlafen? Ich kann heute Nacht einfach nicht neben ihm liegen, geschweige denn in diesem Bett schlafen."
"Ja kein Problem, ich glaube, ich penn' dann bei Basti, Lukas lag quer im Bett..."
"Danke...", flüsterte ich und umarmte ihn fest.

~*~

Die ganze Nacht hatte ich mich nur hin und her gewälzt; ich hatte kein Auge zubekommen. Nachdem ich aufgestanden war, sah ich mich in dem kleinen Spiegel der Lidschattenpalette von Ena an, die auf der Kommode lag. Angeschwollene und rot unterlaufene Augen. Aus dem Zimmer nebenan wollte ich meine Kleidung holen; vereinzelt liefen mir ein paar Tränen über die Wangen, als ich leise den Raum betrat. Neben dem Bett blieb ich stehen und beobachtete ihn beim Schlafen. Wie ferngesteuert beugte ich mich leicht nach vorn und strich ihm behutsam über die Wange; Lukas rümpfte im Schlaf die Nase. - Ich liebe dich... - Ein Räuspern holte mich zurück, Steven stand im Türrahmen und sah mich bemitleidend an, mit meiner Kleidung über dem Unterarm ging ich auf ihn zu und schloss leise die Tür. "Wie geht es dir?", flüsterte er. "Es geht schon... Ich würde mich umziehen und dann anfangen aufzuräumen, wartest du auf mich?", ich wischte mir eine letzte Träne aus dem Auge und sah Steven mit großen Augen an. "Mach ich... Und was ist mit Lu..." "Lass ihn bitte schlafen, er wird es nötiger haben als ich." 

Wie zuhause - 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt