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POV: Lukas//Alligatoah

Die Tour durch das Dungeon begann und Jessica krallte sich seit der ersten gruseligen Gestalt, die um die Ecke lugte, an meinem Arm fest. Als wir die Folterkammer betraten, in der ein Käfig und zwei Holzstühle standen, sah sie zu mir hoch, 'Scheiße', hörte ich sie sagen und sie griff nach meiner Hand.
"DU!!!", schrie der Darsteller in unsere Richtung.
"I...Ich?", sagte Jessica aufgelöst, er nickte und winkte sie zu sich heran. Zitternd löste sie sich von mir, unsere Fingerspitzen glitten voneinander weg, ich konnte die Angst in ihren Augen sehen.
Er setzte sie auf den Holzstuhl, danach holte er eine weitere Person zu sich und sperrte sie in den Käfig. Mein Blick lag die ganze Zeit auf Jessica und ich versuchte sie zu beruhigen, der Herr spielte seine Rolle. Kurz wandte ich meinen Blick zu ihm und hörte Jessica schreien. Der Stuhl rüttelte, ich blickte sie an. Nach seiner Show kam sie schnell auf mich zu und ich nahm sie in den Arm. Die Tour ging weiter, mein linker Arm lag über der Schulter von Jessica und wir folgten der Gruppe.

Nach weiteren sehr gut gespielten interessanten Kurzgeschichten kamen wir im letzten Raum an und setzten uns auf die dafür vorgesehenen Särge. Ich ließ von Jessica ab und wir hörten der Geschichte der weißen Frau aufmerksam zu. Jessica war noch immer sehr verängstigt, wollte sich aber nichts davon anmerken lassen. Die Särge, auf denen wir saßen, begannen sich zu bewegen und Jessica rutschte bei der kleinsten Bewegung panisch an mich heran. Sie umklammerte mich, in meinem Nacken liegen spürte ich ihre rechte Hand, wieder legte ich meinen Arm um sie. Mit ihren Rehaugen blickte sie mir direkt in meine, unsere Gesichter waren sich so nah wie nie zuvor, ich konnte mich nicht mehr zurückhalten und zog sie in einen zärtlichen Kuss. In diesem Moment gab es für mich nur uns; ich vergaß alles um uns herum.
Jessica blickte mich mit großen Augen an, als wir voneinander abließen und sie schluckte.

~*~

Wir saßen in meinem Auto, man konnte eine Stecknadel fallen hören. Seit dem Kuss hatten wir kein Wort gewechselt - Ist sie noch verängstigt? War der Kuss unpassend? - Noch immer blickte sie aus dem Fenster der Beifahrerseite das Gebäude an, welches wir vor fast fünfzehn Minuten verlassen hatten.

"Lukas...", noch immer sah sie aus dem Fenster, als ich meinen Blick zu ihr wandte, "Der Kuss... Es... Es tut mir leid...", ich beobachtete, wie ihr eine Träne aus dem Auge über die Wange rollte. Sie blickte mich an, noch nie hatte ein Blick mich mehr zerrissen. Ich sah durch die Windschutzscheibe meines Wagens und ließ meinen Kopf gegen die Stützte des Sitzes fallen.
"Das hätte nicht passieren dürfen...", waren die Worte, die ich vernahm.
"Jessie... Ich..."
"Lukas, es tut mir leid, das ist mir gerade zu viel. Kannst du mich bitte zu meinem Hotel fahren?", wortlos startete ich den Wagen. Es herrschte Stille im Fahrzeug, weder Jessica noch ich sprachen ein Wort, Musik hörten wir auch nicht.

Ich parkte am Bürgersteig vor dem Hotel und stieg aus, um ihr die Tür der Beifahrerseite zu öffnen. Wir standen uns wortlos gegenüber; sie nickte und bewegte sich auf den Eingang des Hotels zu.
"Wann fährst du morgen?", fragte ich, ohne eine Reaktion von ihr zu erwarten. Sie drehte sich nicht zu mir, doch ich hörte, wie sie 'gegen zehn' sagte. Ich blickte ihr nach, bis ich sie durch die Glastür nicht mehr sehen konnte, stieg in meinen Wagen und fuhr nach Hause.

~*~

POV: Jessica

Ich nahm die Reisetasche aus der Ecke und legte ein frisches Handtuch auf meine Schmutzwäsche, die ich in den vergangenen Tagen einfach in die Tasche geworfen hatte. Meine sauberen Sachen legte ich obendrauf. Das Szenario vom Vortag kreiste noch immer in meinem Kopf, es ließ mich einfach nicht los. – Lukas ist mir in dieser sehr kurzen Zeit wirklich wichtig geworden und dann dieser Kuss. - Ich packte meinen Kulturbeutel in die Reisetasche und zog den Reißverschluss zu. Vom Bett nahm ich meine Handtasche, hob die Reisetasche vom Boden und verließ das Hotelzimmer. An der Rezeption gab ich die Schlüssel ab, während die Dame die Rechnung fertig machte, blickte ich auf die Uhr hinter ihr - 9:50 Uhr -. Ich beglich den Rechnungsbetrag und verabschiedete mich.

An meinem Wagen verstaute ich mein Gepäck im Kofferraum, nahm mir eine Zigarette aus der Schachtel und lehnte mich gegen die Tür der Beifahrerseite. Ein unwohles Gefühl hatte ich in meinem Magen. - Jetzt Berlin verlassen und das zwischen Lukas und mir einfach so stehen lassen... Sollte ich zu ihm fahren, bevor ich meine Reise nach Usedom antrete? -
Ich schnipste den Zigarettenstummel weg und blickte nach links; ein kalter Schauer lief mir meinen Rücken entlang. Lukas lehnte an der Hauswand des Hotels und blickte mich an. Ich konnte ihn nicht einfach stehen lassen und ging auf ihn zu.

"Jessica, der Kuss gestern... Es tut mir leid. Dieser Moment... Es war im Affekt. Bitte, ich möchte den Kontakt zu dir nicht verlieren...", sagte er zu mir, "Ich möchte dich nicht verlieren. Ich weiß nicht, was ich noch sagen soll." Dass gerade ihm die richtigen Worte fehlten, zerriss mir das Herz. "Lukas, ich will dich auch nicht verlieren, es ist Okey. Ich brauche einfach Zeit... Ich muss erstmal wieder klarkommen.", sagte ich und zog ihn in eine lange Umarmung; ob das gerade passend war, konnte ich in diesem Moment nicht einschätzen. "Mir tut es leid, wenn ich dir falsche Signale gesendet habe. Lukas, ich brauche Zeit, um mich bewusst auf etwas Neues einlassen zu können. Ich will dir jetzt auch keine Hoffnungen machen... Ich bin ein schwerer Fall..."
Sein Blick war gesenkt, ich hätte ihn am liebsten wieder in den Arm genommen. "Die nächsten Tage werde ich nicht erreichbar sein, ich schalte mein Handy aus, sobald ich an der See bin. Ich melde mich, versprochen ", ich presste meine Lippen zu einem Lächeln und vernahm denselben Gesichtsausdruck von ihm. Lukas umarmte mich noch einmal, ich ging zu meinem Wagen und fuhr los. 

Wie zuhause - 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt