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POV: Lukas//Alligatoah

Meine Gitarre lehnte ich gegen meinen Koffer und blickte zu Jessica. Mehrfach wischte sie sich über ihre Wangen, ich ging zu ihr und legte ihr vorsichtig meine Hand auf die Schulter. Sie atmete den Rauch ihrer Zigarette aus, drehte ihren Kopf zu mir und sah mich mit Tränen gefüllten Augen an.

"Jessica? Ist alles in Ordnung bei dir?", fragte ich vorsichtig nach.
"Eigentlich nicht, aber ich möchte nicht weiter darauf eingehen."
"Du kannst gern mit mir reden, wenn du das möchtest."
"Danke... Aber... Wie weit seid ihr? Habt ihr alles raus aus dem Bus?"
"Soweit ist alles raus, Tim sucht noch seine Bong, die Basti versteckt hat und Sudden ist sich nicht sicher, ob er seinen Pikachu-Pullover in Köln liegen gelassen hat oder er zu tief im Koffer verschwunden ist. Doch lenke bitte nicht ab."
Sie senkte ihren Blick zum Boden, auch wenn wir uns nicht kannten, versuchte ich ihr Geborgenheit zu vermitteln, um sie zu trösten, legte ich meinen Arm um sie.
"Wir haben uns noch gar nicht richtig vorgestellt, wenn man es so sieht. Ich bin übrigens Lukas, aber wenn ich das deiner Reaktion vorhin richtig entnommen habe, kennst du mich bereits.", entgegnete ich ihr mit einem Lächeln und reichte ihr die Hand.
"Hallo Lukas, ich bin Jessica.", mit einem leichten Lachen erwiderte sie meinen Händedruck. "Wenn man es genau betrachtet, begleitet mich deine Musik seit mittlerweile zwölf Jahren. Niemals hätte ich mir träumen lassen, dass ich mal mit dir rede, geschweige denn Trailerpark aus der Patsche helfe. Anscheinend komme ich heute doch nicht unter die Räder.", zwinkerte sie mir lachend zu. "Ich glaube das erste Problem ist gleich gelöst.", sie blickte an mir vorbei und deutete auf den ankommenden Schlepper vom ADAC.
"Na sehr schön, dann fehlt ja nur noch der neue Bus." Ich bemerkte, wie sie sich von ihrer Motorhaube aufrichten wollte. Erschrocken sah sie mich an, als ich nach ihrem Handgelenk griff. „Wo willst du hin?"
"Ich habe den Auftrag an den ADAC gegeben, oder?", blickte sie mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.
"Ja, aber die anderen schaffen das allein. Bleib hier und beruhige dich erstmal richtig, wenn sie deine Hilfe brauchen, rufen sie schon."
Sie lehnte sich wieder an die Motorhaube ihres Wagens.
"Also... Seit zwölf Jahren hörst du schon meine Musik und der Terrorist hat dich nicht abgeschreckt? Welches war denn das erste Lied, dass du von mir gehört hast?"
"Das war Teufelskreis. Als ich das Lied gehört hatte, war ich zuerst schon etwas... Wie soll ich es am besten sagen..."
"Erschrocken?"
"Als Schreck würde ich es nicht bezeichnen, damals habe ich es gleich zweimal angehört. Ich wollte den Text beziehungsweise den Gedankengang dahinter verstehen. Deine eloquenten Texte haben mich gepackt und halten mich noch immer fest."
"Ich glaube, so eine Beschreibung habe ich lange..."
"Jess! Komm' ma' her, der Kerl braucht noch Daten von dir!", schrie Basti über den Platz.
"Ich glaube die Unterhaltung ist wohl erstmal beendet, danke dass du mich ein bisschen auf andere Gedanken bringen konntest, Lukas.", Jessica lächelte mich an und ging zu den Jungs.

Ich blickte ihr noch hinterher und anschließend über den nahezu leeren Rastplatz. – Seit ein paar Minuten kenne ich ihren Namen und zerbreche mir den Kopf wegen einer Unbekannten? Was ist denn da gerade los?

POV: Jessica

Den ADAC-Auftrag übergab ich nach Absprache offiziell an Basti. Ich zog mein Handy aus der Hosentasche, sah zuerst auf die Uhrzeit – 09:46 Uhr – und entsperrte es. Ena hatte mir nochmal geschrieben, ob ich mit Alligatoah mehr sprechen konnte. Ein kleiner Text über die eben geführte Konversation sollte vorerst genügen. Udo hatte sich ebenfalls bei mir gemeldet, gegen viertel elf sollte er den Rastplatz mit dem neuen Bus erreichen. Die Papiere hatte Basti fertiggestellt und der Bus wurde abgeschleppt. Ich griff nach der Zigarettenschachtel in meiner Hosentasche und nahm mir noch eine Kippe heraus.

"Darf man fragen, was du beruflich machst? Ich meine, es weiß wahrscheinlich nicht gleich jede Frau, dass der Anlasser kaputt ist und wie ich beobachtet habe, hast du den vorderen Reifen nicht mal angesehen.", interessiert blickte Tim mich an.
"Ich bin gelernte Mechatronikerin, seitdem ich dreiundzwanzig bin, habe ich meinen Meisterbrief und kein Jahr später meine eigene Werkstatt eröffnet."
"Da hatten wir ja richtig Glück gehabt, dass Basti mal seine fünf Minuten hatte." Lukas hatte sich zu uns begeben, ohne dass ich es mitbekommen hatte. Ich zuckte zusammen und ging einen Schritt nach links in die Richtung von Steven, damit ich Lukas ebenfalls ansehen konnte.
„Bedankt euch eher bei...", ich winkte schnell ab, "so gesehen habe ich nur meinen Job gemacht und meine Kontakte spielen lassen."
"Wir denken, damit können wir uns erkenntlich zeigen.", Steven streckte mir einen Backstage-Pass entgegen. "Dann können wir heute wenigstens noch auf einen hoffentlich gelungenen Abend anstoßen."
"Das ist nicht euer Ernst? Vielen Dank, ihr könnte gar nicht glauben, wie sehr ich mich gerade freue."

Ein lautes Hupen ertönte und ich sah Udo mit seinem breiten Grinsen auf dem Fahrersitz eines Busses winken. Er parkte auf der vorgesehenen Fläche, stieg aus und begrüßte mich mit einer Umarmung.
"Na meine Kleine, da hast du ja jemanden ganz schön den Arsch gerettet. Bekommst du heute Abend wenigstens Freibier von den Männern?", sagte Udo laut und die Jungs fingen an zu lachen.
"Leider nicht, ich darf ihnen nur nach dem Konzert noch den letzten Nerv rauben."
"Das ist ja noch viel besser. Wir telefonieren zeitnah nochmal, dann können wir die Sachen zur Rechnung besprechen, wir wollen gleich weiter. Ingo steht da drüben, wir fahren angeln."
"Da wünsche ich dir noch einen schönen Tag, mein Guter und tausend Dank. Sag Ingo unbekannterweise liebe Grüße und kommt gut an. Petri Heil!"
Zum Abschied umarmten wir uns und Udo winkte nochmal, bevor er zu seinem Nachbarn in das Auto stieg.

"Scheint, als pflegst du guten Kontakt zu deinen Geschäftspartnern. Das war wirklich schön mit anzusehen.", entgegnete mir Steven.
"Es ist unterschiedlich, kommt ja auch immer auf mein Gegenüber an. Ihr packt jetzt mal eure Sachen in den Bus, wir haben schließlich alle noch ein Ziel heute."

Die Jungs fingen an, ihre Sachen in den neuen Bus zu laden. Kurz blickte ich auf mein Handy, nachdem ich es zurück in meine Hosentasche gesteckt hatte, schweifte mein Blick mit einem Seufzer über den Rastplatz. 

Wie zuhause - 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt