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POV: Lukas // Alligatoah

Wir waren mittlerweile in Berlin, Jessica würde die Tage bei mir unterkommen und waren auf dem Weg zu einer potenziellen Werkstatt. Am Abend sollte ich ihre Verwandtschaft kennenlernen, da ihre Tante am Telefon keine Ruhe geben wollte, eh sie nicht wüsste, bei wem ihre Nichte untergekommen war. Bei jeder noch so kleinen Strecke saß Jessica unruhig auf dem Beifahrersitz, da wir von Göttingen aus mit meinem Wagen nach Berlin gefahren sind. "Darf ich denn auch mal fahren?", fragte sie häufiger mit großen Augen. "Nein, genieß' doch einfach mal die Aussicht, dazu kommst du so selten.", lachte ich und schüttete leicht mit meinem Kopf. "Mach' ich doch schon.", im Augenwinkel sah ich, wie Jessica mich zufrieden anlächelte.

"You got your footprints on me
From my head to my toes
All your marks on my chest
Leave a glimmer of hope..."

An der Werkstatt angekommen, kam Jessica auf mich zu und gab mir noch einen Kuss. "Danke, dass du dabei bist.", ich zog sie wieder in einen Kuss, legte meinen Arm über ihre Schulter und wir gingen hinein.
Ein Mann mittleren Alters kam auf uns zu und begrüßte uns freundlich. "Wie kann ich Ihnen helfen?", fragte er.
"Hallo, mein Name ist Jessica Winkler, ich hatte mit Herrn Findeisen telefoniert bezüglich einer Firmenübernahme.", er nickte und rief nach dem Meister.
Ein älterer Herr erhob sich von seinem Stuhl; mit einem Gehstock kam er auf uns zu.
"Guten Tag Frau Winkler, schön, dass es so gut einrichten konnten. Und wer ist Ihre Begleitung?"
"Guten Tag, Lukas Strobel. Freut mich.", ich reichte ihm ebenfalls meine Hand und er begann uns herumzuführen. Die Werkstatt war anders als die von Jessica. Die Halle war mindestens doppelt so groß, zwei Lagerhallen gehörten zu dem Gebäude und das gesamte Team bestand aus zehn Mitarbeitern. Herr Findeisen erzählte, dass seine Tochter alleine im Büro arbeiten würde. Aus gesundheitlichen Gründen, würde er seine Werkstatt in gute Hände abgeben wollen; eine Schließung würde er nicht übers Herz bringen.
Im besagten Büro beendete er seinen Rundgang.
"Linda, das ist Jessica Winkler, die erste Interessentin für die Werkstatt.", seine Tochter saß hinter dem Bildschirm versteckt, nur der Ansatz ihrer dunklen rot-gefärbten Haare war zu erkennen. "Und ihre Begleitung, Herr Strobel."
"Super Paps...", man konnte sehen, dass sie leicht ihren Kopf hob. "Die Freude ist ganz auf unserer Seite.", sagte ich gehässig. Die junge Frau erhob sich von ihrem Bürostuhl, sie sah Jessica und mich beschämt an.
"Ähm... Tut mir...", sie suchte nach Worten.
"Wenn ich abschweifen darf.", fiel Jessica ihr ins Wort. "Linda Findeisen?", sie sah Jessica fragend an.
"Hecht, bitte. Findeisen habe ich vor einem Jahr abgelegt.", stolz hob sie ihre rechte Hand, an der ein goldener Ehering zum Vorschein kam.
"So noch einmal... Jessica Winkler... Georg-von-Giesche-Schule... Umzug nach der achten Klasse nach Göttingen... klingelt's?", die Tochter des Meisters sah Jessica mit großen Augen an, blickte auf mich und anschließend wieder auf Jessica.
"Jessie?", flüsterte sie. "Oh mein Gott... Jessie...", sie kam hinter ihrem Schreibtisch vor und fiel Jessica um den Hals. "Und das ist dein...", ihr Blick schweifte zu mir über und sie wurde stumm. "Al..."
"Ja, das ist Lukas, mein Freund.", lachend kratzte Jessica sich am Hinterkopf.
Herr Findeisen und ich fühlten uns wie im Hühnerstall. Jessica und Linda fingen an, in den alten Zeiten zu schwelgen, jedenfalls sich über ein paar Fetzen zu unterhalten, die noch hängen geblieben waren.
"Mädels... Frau Winkler... Wollen Sie noch das Außengelände sehen?", Herr Findeisen lenkte nach einiger Zeit ein.
"Oh ja, Verzeihung. Sehr gern.", Linda verabschiedete sich von Jessica.

~*~

"Das wird sie werden.", Jessica saß freudestrahlend auf dem Beifahrersitz meines Wagens und teilte mir ihre Entscheidung mit. "Also, wenn ich noch die Unterlagen einsehe und alles stimmt."
"Deswegen habt ihr also am Sonntag einen Termin ausgemacht, damit ihr in Ruhe alles durchgehen könnt.", Jessica nickte. "Na sehr schön, da wäre das wenigstens vom Tisch...", behutsam strich ich ihr über den Oberschenkel. "... und eine Angestellte kennst du ja schon."
"Ja... Da hast du recht...", ihre Laune schwang um, sie wirkte bedrückt.
"Ist alle gut? Ihr habt euch doch so gut verstanden, kam mir zumindest so vor.", fragte ich, als ich meinen Wagen vor der Haustür meiner Wohnung ab parkte.

"Linda und ich... Wir kennen und schon seit der Grundschule und waren die Einzigen, die dann an der Georg-von-Giesche-Schule weitergemacht haben. Dort waren wir auch zusammen in einer Klasse... Mit der Zeit, klar waren wir noch jung, sind wir beste Freunde geworden... Ihren Vater hatte ich zuvor nie kennengelernt, da ihre Eltern getrennt sind und sie bei ihrer Mutter gewohnt hat.", Jessica stieg aus, lehnte sich gegen meinen Wagen und zündete sich eine Zigarette an. Ich stieg ebenfalls aus, ging zu ihr und legte meine Hände an ihre Hüfte. "Lukas, was wenn uns jemand s..."
"Shhh... Hör auf dir deswegen Gedanken zu machen. Ich will so für dich da sein, wie immer, und da ist es mir egal, wo wir sind. Also, rede bitte weiter.", berührt sah sie mich an, sie strich mir über die Wange und nahm einen Zug von ihrer Zigarette.

"Dann kam der Umzug nach Göttingen, ich hatte sehr schnell neuen Anschluss gefunden, hatte die Theater-AG an der neuen Schule gegründet und Linda immer mehr vernachlässigt... Als wir seltener nach Berlin fuhren, weil mein Vater öfter sechs Tage in der Woche arbeiten musste, ging ich mehr auf Abstand, bis es sich spurlos im Sande verlief.", Jessica nahm den letzten Zug von ihrer Zigarette, warf sie weg und sah zu mir hoch. "Was ist, wenn ich Ena aus den Augen verliere, wenn ich wieder hier wohne. Ich hatte ihr von meinem Vorhaben erzählt, aber mir nie ihre Meinung dazu angehört."
"Mäuschen...", meine Hand fasste ihre Wange und ich küsste ihr Stirn. "Beruhig dich bitte, ich kann deine Angst verstehen. Du bist aber auch älter geworden, du bist mobil und Ena auch. Außerdem tust du gerade so, als würdet ihr euch jeden Tag sehen. Dann seht ihr euch eben jedes zweite Wochenende oder so, aber darüber kann man reden. Du bist nicht aus der Welt.", sie zog einen Mundwinkel zu einem Lächeln und nickte. Ich legte meinen Zeigefinger an ihr Kinn und küsste sie intensiv. "Wann müssen wir bei deiner Tante sein?", frage ich ruhig. "Das hatte ich schon wieder fast vergessen. In etwa einer Stunde." 

Wie zuhause - 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt