Kapitel 22 - Dankbarkeit

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Reges Treiben herrschte im Seminarraum, in welchem die Erstsemester an der Geidai gerade ihre Arbeitsgemeinschaft beendeten. Sie verstauten ihre Malutensilien, packten ihre Taschen und unterhielten sich angeregt darüber, wie das Wochenende verlaufen war. Einige hatten den Raum bereits verlassen, sodass die Tür offenstand.

Eben jene Tür, durch welche Akira nun eingetreten war. Die meisten Studenten schenkten ihr keine Beachtung, das galt jedoch nicht für das Mädchen mit den langen, zu zwei Zöpfen geflochtenen, schwarzen Haaren. „Yoshida-san?", fragte sie überrascht, doch das Lächeln auf ihren Lippen zeigte, wie sie sehr sie sich freute. „Ich habe dich so lange nicht mehr gesehen! Seit du die Kosei verlassen hast, um genau zu sein", fügte sie ihren Worten hinzu. „Hallo Hirano", begrüßte Akira ihre Bekannte aus Oberschultagen. Die Schwarzhaarige war ein Jahr jünger und hatte sich auf der Kosei daher eine Stufe unter ihr befunden. Jetzt war sie wohl ebenfalls an die Geidai gekommen.

„Ich wollte dich etwas fragen, Hirano." Es war zwar nicht die feine Art, gleich nach einem Wiedersehen mit einem Gefallen um die Ecke zu kommen, doch Akira nahm diese Unannehmlichkeiten in Kauf, da es um etwas ging, dass ihr wirklich wichtig war. „Na dann? Ich bin ganz Ohr", entgegnete die Jüngere neugierig und schaute zu der Braunhaarigen auf. „Deine Eltern sind doch beide Physiotherapeuten, oder?"

Hirano blinzelte einige Male überrascht. Die Studentin im ersten Semester hatte mit nahezu jeder Frage im Bereich der Kunst gerechnet – umso ungewöhnlicher war die Tatsache, dass Yoshidas Frage rein gar nichts damit zu tun hatte. Wenn ihr etwas über die ältere Studentin in Erinnerung geblieben war, dann, dass diese nichts anderes als Kunst im Kopf hatte – und auch über nichts anderes sprach. Ein wenig hatte sie die ältere Studentin für diese Hingabe bewundert. Jedenfalls schien sich Yoshida an dieses kleine Detail zu erinnern, dass Hirano irgendwann einmal beiläufig während ihrer Oberschulzeit erwähnt hatte. „Ja, das stimmt. Sie betreiben auch ihre eigene Praxis. Fehlt dir etwas? Hast du vielleicht Probleme mit deinen Händen?" Augenblicklich besah sich die Schwarzhaarige prüfend Yoshida. Würde diesen begabten Händen etwas geschehen, wäre dies eine Tragödie für die Kunstwelt.

„Nein, nein", lachte Akira und hob abwehrend ihre Hände. „Mit mir ist alles in Ordnung, wirklich. Ich hatte aber gehofft, du könntest mir vielleicht etwas zeigen. Das heißt... Nur, falls du dir ein paar Griffe von deinen Eltern zu eigen gemacht hast." Während Akira ihre Bitte äußerte, meldete sich in ihrem Hinterkopf ihr schlechtes Gewissen. Jemanden, der einem viel Bewunderung entgegenbrachte – wie es bei Hirano der Fall war – um einen Gefallen zu bitten, konnte rasch dem Ausnutzen gleichkommen.

„Ich habe sehr viel von meinen Eltern gelernt. Um welchen Körperteil geht es? Welche Art der Beschwerde? Und..." Bevor die Jüngere wie ein Wasserfall zu reden begann, hatte Akira erneut die Hände gehoben. „Falls du die Zeit entbehren kannst, dann könnten wir uns in mein Atelier zurückziehen. Ich habe ein paar Sachen gekauft, weiß aber nicht, ob ich die richtige Wahl getroffen habe", erklärte die Braunhaarige, woraufhin Hirano nur zustimmend nickte. „Ich habe Zeit. Lass und gehen! Dann kann ich auch ein paar deiner neueren Bilder sehen..."

Erleichtert seufzte Akira. Obwohl das leichter war, als angenommen, fiel ihr trotzdem ein Stein vom Herzen. „Danke, Hirano. Wirklich." Sie ging voran, um die jüngere Studentin in ihr Atelier zu führen. Das war sicherlich nicht ihre Idealvorstellung davon, wie sie einen Nachmittag nach ihren Vorlesungen verbrachte, doch es hatte auch etwas Gutes an sich. Grundsätzlich bekam man nicht jeden Tag die Gelegenheit, mit einer ehemaligen Kameradin derselben Oberschule zu reden und über alte Zeiten zu sinnieren.

Am Nachmittag desselben Tages lag Shintarō rücklings auf seinem Futon. Er hatte nur wenige Male die Motivation gefunden, aufzustehen. Er gab sich viel mehr dem Tief hin, in welchem er sich nun befand. Dadurch, dass er krankgeschrieben war und sich auf ärztlichen Rat auch nur wenig bewegen sollte, wurde besagtes Tief nur befeuert. Auf seinem Kopf befanden sich Kopfhörer, angeschlossen an einen MP3-Player, von welchem gerade Clair de lune abgespielt wurde. Allerdings musste er feststellen, dass sich sein Geist nicht so leicht von den sanften Tönen eines Pianos beruhigen ließ, dass er über seine Kopfhörer hörte. Ob er selbst spielen sollte? Allerdings bediente er die Pedale, trotz dessen, dass er Linkshänder war, immer mit seinem rechten Fuß. Das war jetzt gerade nicht möglich.

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