Bonus 1: Shihoris Leidenschaft

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Applaus erfüllte den großen Saal des Konzerthauses Bunka Kaikan, das sich im Tokioter Stadtteil Ueno des Bezirks Taitō befand. Der Junge, der Augenblicke zuvor Chopins Ballade Nummer vier in f-Moll gespielt hatte, entfernte sich von dem großen schwarzen Flügel und wandte sich auf der Bühne den Juroren und den Zuschauern zu, ehe er sich tief vor diesen verneigte. Als er sich wieder aufrichtete und den Saal verließ, ebbte der Applaus ab und allmählich kehrte Ruhe ein.

„Shihori ist als Nächstes an der Reihe", erklärte Ikumi leise und sah zu den Plätzen links von ihr, wo ihr Sohn und dessen Freundin saßen. Für die jüngste Midorima fand heute ein ganz besonderer Tag statt, denn sie war das erste Mal für die letzte Runde des Klavierwettbewerbes der Präfektur Tokio qualifiziert. Sollte sie diesen Wettbewerb gewinnen, würde sie auf nationaler Ebene gegen andere Pianisten antreten. Natürlich wollte ihre Familie ihr bei so einem Ereignis beistehen und zusehen, allerdings war Eijiro, Shihoris und Shintarōs Vater, an diesem Morgen zu einem Notfall in das Krankenhaus gerufen worden, in welchem er als leitender Oberarzt tätig war. Dadurch hatten sie eine Karte übrig und da Akira der Familie durch ihre Beziehung zu Shintarō ohnehin nahestand, wurde sie spontan eingeladen.

„Was für ein Stück wird sie spielen?", fragte die Brünette leise und sah zu Shintarō, der zwischen ihr und seiner Mutter saß. Dabei nutzte sie ein weiteres Mal die Gelegenheit, ihren Freund in dessen edlen schwarzen Anzug zu bewundern, den er für diese Veranstaltung trug. Bereits vorhin, als sie noch bei ihm zu Hause waren, hatte sie ihm gesagt, wie hübsch er aussehe. Wenn es um das Aussprechen von Komplimenten ging, dachte sie nie wirklich darüber nach – doch mit ihren Worten hatte sie Frau Midorima zum Grinsen, Shihori zum Lachen und Shintarō in Verlegenheit gebracht.

„Chopins Ballade Nummer eins. Das passt auch zu ihrem Temperament", erwiderte der Grünhaarige und blickte zu Akira, deren Augen ganze Bände davon sprachen, dass sie sich nichts unter dem Titel vorstellen konnte. „Du hast das Stück sicherlich bereits von den Musikstudenten deiner Universität gehört. Es mag nicht so bekannt sein, wie eine gewisse Mondscheinsonate, kennt man sich jedoch ein kleines bisschen mit Musik aus, kommt man an Chopins Balladen nicht vorbei." Akira nickte auf seine Ausführung hin und versteckte hinter ihrer Hand ein leichtes Schmunzeln. Sie lehnte sich auf ihrem gepolsterten Sitzplatz etwas näher zu ihm, ehe sie ihm zuflüsterte: „Ich muss gestehen, dass seit Langem nicht mehr den Drang verspürt habe, meinen Kommilitonen in der musikalischen Fakultät zuzuhören. Schließlich spielst du mir immer vor, wenn ich es mir wünsche. Und ein Spiel, das einem allein gewidmet wird, ist in seinem Charme nicht zu übertreffen."

Unglaublich, dachte sich Shintarō daraufhin, während er seine Augen geschlossen hielt. Er kannte Akira bald ein halbes Jahr und trotzdem schaffte sie es noch immer, ihn in Verlegenheit zu bringen. Das fiese daran war, dass man ihr aufgrund ihres Charmes einfach nicht böse sein konnte.

„Nummer zwölf, Midorima Shihori! Ballade Nummer eins in g-Moll, Opus dreiundzwanzig!", wurde schließlich Shintarōs Schwester aufgerufen, sowie das Stück, das sie spielen würde. Von einem seitlichen Eingang trat die Jugendliche auf die Bühne. Ihr langes grünes Haar war zu einem großen Dutt gebunden, um keine Brille tragen zu müssen – sie hatte vor Kurzem eine bekommen –, war sie auf Kontaktlinsen umgestiegen und besonders schön fand Akira das schwarze Kleid, das Shihori trug. Es reichte der Vierzehnjährigen bis zu den Waden, dazu schlug der Saum des Rockes schöne Falten und war dezent mit Pailletten versehen, die im Licht funkelten. Als sie vor dem Flügel zum Stehen kam, verneigte sie sich vor den Juroren und den Zuschauern, ehe sie auf dem Hocker Platz nahm und ihre Finger noch einmal lockerte, bevor sie zu spielen begann.

Shintarō behielt mit seiner Vermutung recht, tatsächlich hatte Akira das Stück schon einmal gehört. Allerdings konnte sie sich nur an den ruhigen Anfang erinnern; eine Melodie, die keineswegs darin versagte, jeden in ihren Bann zu ziehen. Die Takte wiederholten sich, jedoch immer ein wenig abgewandelt... Das erinnerte Akira an das Meer und dessen Wellen: obwohl sie in ihrer Beschaffenheit immer gleich blieben, stellte doch jede Welle in ihrer Form letztlich ein Unikat dar. Shihori so ruhig und besonnen spielen zu hören, war eine positive Überraschung.

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