Teil 2: Vlinders | Nico Hülkenberg x Max Verstappen

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Vlinders


Singapur
18. September 2015



Nach seinem kurzen Gespräch mit Nico hatte er das Gefühl, als würde er auf Watte laufen. Diese Gangunsicherheiten gab es doch normalerweise nur bei kleinen Kindern und alten Leuten, aber da strömte gerade so viel durch sein emotionales Nervenkostüm, dass er kaum wusste, wohin mit alldem. Geschweige denn, wie er das alles einsortieren sollte.
Dass er in den Deutschen verknallt war, hatte er längst bemerkt, auch wenn er seine Zeit gebraucht hatte, um das so richtig zu schnallen. Seine Schwester zog ihn gerne damit auf, dass es Liebe auf den ersten Blick gewesen sein musste. Er stand nicht auf solchen Kitsch, aber damit hatte sie vermutlich gar nicht so unrecht. Immerhin hatte ein Blick vollkommen gereicht, um dieses Gefühlschaos in ihm zu verursachen. Der Force-India-Fahrer war genau die Art von Mann, die ihm gefiel und das hatte für so manchen heimlichen Blick an der Strecke gesorgt und schließlich auch für einiges Magenkribbeln.
Aber Nico war eben zehn Jahre älter als er und er glaubte nicht, dass der Deutsche in ihm mehr sehen konnte, als einen kleinen Rotzlöffel, der nur in der Formel 1 war, weil sein Vater einen gewissen Einfluss hatte und Red Bull ein bisschen rekordgeil war. Er hatte von Anfang an gewusst, dass er es mit seiner Vorgeschichte nicht leicht haben würde und dass die meisten ihm noch nicht viel zutrauen, ihn womöglich nicht einmal ernstnehmen würden.

Da konnte sich die Teamführung von Red Bull auch noch so viel Mühe geben, der Welt zu erzählen, wie reif er angeblich für sein Alter war, unterm Strich würde er das erst beweisen müssen, bevor ihm das irgendwer glaubte. Schon in seinen Kartzeiten hatte er gelernt, dass man auf die Meinung anderer nichts geben sollte, dass es viel wichtiger war, sich auf sich selbst zu konzentrieren und normalerweise gelang ihm das auch.
Bis Nico in seinen Gedanken präsent geworden war. Plötzlich war es ihm wichtig, was dieser von ihm dachte, was dieser in ihm sah. Anfangs war es wirklich lästig gewesen, weil er es sich nicht erklären konnte, aber ihm war bewusst geworden, dass er von dem Älteren nicht für ein dummes Kind gehalten werden wollte, dass es wichtig war, dass er eine bessere Meinung von ihm hatte, als die Presse. Er war nicht mehr er selbst, wenn Nico in seiner Nähe stand und ihm waren Dinge an ihm aufgefallen, für die er sich bei anderen Männern nie interessiert hatte.
Klar, er wusste längst, dass er Männer scheinbar attraktiver fand, als Frauen. Die konnten noch so hübsch sein, aber es regte sich nichts bei ihm, wenn er sie sich nackt vorstellte. Das war bei Männern ganz anders und spätestens, als er bei dem Vorhaben, sich heimlich unter der Dusche mal ein bisschen Erleichterung zwischen dem ganzen Stress zu verschaffen, an Nico gedacht und sich vorgestellt hatte, dass er ihn anfassen würde, war er völlig überfordert gewesen.

Doch wem hätte er das sagen sollen? Etwa seinem Vater? Auf gar keinen Fall! Sie konnten noch so ein gutes Verhältnis zueinander haben, aber er würde ihm niemals auf die Nase binden, dass er sich in einen Fahrerkollegen verguckt hatte. Seine Eltern mochten sehr offen und auch tolerant sein, solange er dabei seine Ziele nicht aus den Augen verlor. Ehrgeiz hatte in seiner Familie immer eine große Rolle gespielt. Aber es war etwas anderes, ob man seinen Eltern einen ungefähr gleichaltrigen, jungen Mann vorstellte, oder ob man ihnen offenbarte, dass sich die eigenen Gedanken plötzlich um einen direkten Konkurrenten drehten, der altersmäßig halbwegs zwischen ihnen lag.
Ob sie damit wohl ein Problem hätten? Soweit hatte er es nie gewagt zu denken. Nicht zuletzt, weil er nicht geglaubt hätte, dass Nico auf das, was er am Flughafen gehört hatte, so locker reagieren würde. Es war ihm so unfassbar peinlich gewesen, dass Nico offenbar jedes Wort verstanden hatte, das er zu Victoria gesagt hatte. Eigentlich fühlte er sich mit seiner Muttersprache in den meisten Ländern ja sehr sicher. Im Leben wäre er nicht darauf gekommen, dass Nico ihn verstehen könnte. Inzwischen wusste er schließlich, dass der Ältere seine Sprache sogar akzentfrei sprach. Das war ihm so peinlich gewesen...
Aus dem Grund war er ihm auch aus dem Weg gegangen. Sein Vater hatte ihm immer eingebläut, wie gefährlich es war, wenn andere Piloten, wenn Konkurrenten, zu viel über einen wussten und dass pikante Details früher oder später immer gegen einen verwendet werden würden. Darum hielt er es für klüger, den Kopf einzuziehen und zu warten, bis keiner mehr über diesen peinlichen Vorfall nachdachte. Im Leben hätte er nicht gedacht, dass Nico es heute noch einmal mit einem Gespräch versuchen würde und dass er so viel Verständnis zeigen würde. Offensichtlich war der echte Nico nicht so weit von dem entfernt, den sein träumerisches Teenie-Hirn sich so zusammengesponnen hatte.

In dem Moment war er froh gewesen, dass er mit Nico nicht Englisch sprechen musste. Eigentlich war es sogar ein ziemlicher Glücksfall, vorausgesetzt, sie würden sich künftig wirklich häufiger sehen und daran hatte er irgendwie noch seine Zweifel. Ob Nicos Outing wohl ernstgemeint war? Oder sagte er ihm sowas nur, um ihn zu beruhigen? Er hatte gelernt, misstrauisch zu sein, nur bei Nico wollte er das überhaupt nicht. Er spürte den unbedingten Wunsch, dass er ihm vertrauen könnte, dass ihm wirklich etwas an ihm lag, aber...
Würde der Deutsche sich tatsächlich in ihn verlieben können? Nico war doch die Sorte Mann, die alles und jeden haben konnte, wenn er seinen Charme nur ein wenig spielen ließ. Er war groß, blond, hatte hübsche blaue Augen und ein Lächeln, mit dem er sofort zu Schwiegermamas Liebling wurde. Es fehlte Nico auch nicht an Humor und das machte ihn wohl zu einer der besten Partien, die man haben konnte. Er konnte sich nicht vorstellen, dass ein gestandener Mann wie Nico sich mit einem Teenager abgeben würde. Seine Chancen waren doch gleich bei Null und das machte ihn trauriger, als er zugeben wollte.
Es gab doch nichts, was er dem Älteren zu bieten hatte, außer einer großen Klappe und einem manchmal viel zu willigen Körper. Er konnte es doch sicherlich keine zwei Minuten in der Nähe des Älteren aushalten, ohne einen Ständer zu bekommen und das war so verdammt peinlich. Er war schließlich keine 14 mehr und trotzdem erfüllte er erschreckend viele Merkmale dafür, es ständig nötig zu haben. Ob das normal war? Aber auch das war keine Frage, die er irgendwem stellen mochte. Auch nicht seiner Schwester, die er wirklich liebhatte, nur konnte sie manchmal auch ganz schön fies und gehässig sein. Gerade bei sowas...

Und als wäre das alles noch nicht genug, war er obendrein noch nervöser als sonst, weil Nico jeden Moment vor seiner Tür stehen könnte. Zumindest hatte er gemeint, dass er noch kommen würde, wenn er mit seinen Terminen fertig war, damit sie reden konnten. Er gab es ja nicht gerne zu, aber er hatte ein bisschen Panik deswegen. Was, wenn er sich Nico gegenüber schon wieder total blamierte? Die Anwesenheit des Älteren schien ihn schließlich in einen absoluten Idioten zu verwandeln.
Andererseits war ihm jedoch auch klar, dass er eigentlich nichts zu befürchten hatte. Der Deutsche hatte sich ihm gegenüber nie negativ geäußert, während einige andere Piloten sich schon eingebildet hatten, ihn und seine Unerfahrenheit kritisieren zu müssen. Nicht wenige behaupteten, dass er viel zu jung war und es hier nicht schaffen würde. Gerade denen wollte er es beweisen, doch was dachte Nico über ihn? Er hatte nie gehört, dass er sich in irgendeiner Art dazu geäußert hatte, dabei waren ihm seine Worte die wichtigsten.
Innerlich verdrehte er ein wenig die Augen über sich. Er durfte nicht vergessen, dass sie auf der Rennstrecke auch Konkurrenten waren und wie Nico privat war, wusste er absolut nicht. Jedoch würde er das jeden Moment erfahren. Dass er sogar schon feuchte Hände bekam und immer wieder unruhig umherlief, gefiel ihm gar nicht. So kannte er sich einfach nicht. Er war gewöhnlich niemand, der sich schnell aus der Ruhe bringen ließ, aber Nico schaffte das selbst dann, wenn er nicht einmal aktiv etwas dafür tat.

Irgendwie war das Ganze schon extrem beängstigend, doch viel Zeit, um sich darüber Gedanken zu machen, blieb ihm nicht mehr, denn nur wenige Sekunden später hörte er es an der Tür klopfen. Allein zu wissen, wem er gleich gegenüberstehen würde, versetzte ihn schon wieder in Aufregung. Hörte das irgendwann auch mal wieder au? Es fühlte sich so merkwürdig an, dass jemand anderes – jemand, den er nicht einmal richtig kannte – so einen Einfluss auf ihn nehmen konnte.
Er atmete lieber noch einmal tief durch, bevor er die Tür öffnete, nur um festzustellen, dass einen wohl gar nichts auf die Anwesenheit dieses Mannes vorbereiten konnte. Jetzt wusste er zumindest, was damit gemeint war, wenn Menschen sagten, dass es ihnen den Atem verschlug. So privat, ohne Team-Shirt, welches immer so sehr an ihren Job erinnerte, hatte er noch einmal eine ganz andere Wirkung auf ihn. Aber er wollte jetzt nicht wie ein dummer Junge blöd rumglotzen.
„Cool, du bist ja echt gekommen", kam es ihm über die Lippen und im nächsten Moment hätte er sich schon am liebsten die Hand vor die Stirn geschlagen. Was für eine dämliche Eröffnung war das denn bitte gewesen? Eigentlich ein Wunder, dass Nico ihn nicht sofort auslachte. Er wusste auch nicht, warum er das immer wieder erwartete. Vielleicht, weil alle meinten, er sei so unerfahren. Möglich, dass er sich den älteren Piloten gegenüber einfach so sehr im Nachteil fühlte, doch Nico hatte irgendwie so eine Wirkung auf ihn, dass er sich sofort wieder ein bisschen entspannter fühlte, obwohl er so aufgewühlt war.
„Klar. Hab ich doch versprochen", bekam er eine Antwort, noch bevor er Nico mit einer Handbewegung aufforderte, reinzukommen. Eigentlich war er gar nicht so viel kleiner, als der Deutsche und doch kam er ihm so viel größer vor. Woran lag das? Etwa an seiner Unsicherheit? Zum Glück musste er darüber nicht lange nachgrübeln, weil sie sich fast im nächsten Moment auch schon setzten. Er hoffte nur, dass seine Gedanken nicht jeden Moment wieder anfingen, Amok zu laufen.

Am besten überlegte er sich, wie er sich Nico erklären könnte. Er würde ihm gerne sagen, dass es nicht ganz so extrem war, wie es sich am Flughafen vielleicht in seinen Ohren angehört hatte, dass er so verknallt nun auch wieder nicht war, aber die Zeichen sprachen ganz eindeutig dagegen. Es hatte ihn schwer erwischt und sein Kopf spielte ihm andauernd die wildesten Szenarien vor, von denen er nicht glaubte, dass auch nur eins davon jemals Realität werden würde. Was sollte Nico auch mit einem unerfahrenen Bengel wie ihm?
Doch bevor er sich etwas überlegen konnte, hatte der Ältere das Gespräch schon begonnen. Womöglich, weil Nico auch klar war, dass er gerade unsicher war, dabei wollte er so gar nicht wirken. „Es tut mir leid, dass du dich meinet wegen blöd gefühlt hast. Es wäre netter gewesen, wenn ich dir direkt einfach gesagt hätte, dass ich mithören kann. Aber ich dachte nicht, dass es um sowas gehen würde und war dann wohl doch ein bisschen überrascht über das, was du gesagt hast", erklärte Nico ihm noch einmal, weshalb es zu dieser Situation gekommen war.
Auch, wenn er das Gefühl bekam, sofort rot zu werden, war er doch irgendwie froh, dass Nico so offen mit ihm sprach. Er machte ja auch einen sehr entspannten Eindruck, nur hieß das ja noch lange nicht, dass der Ältere sich auch für ihn interessierte. Wenn er nur wüsste, ob er überhaupt eine Chance bei Nico hatte. Aber vermutlich nicht...
„Ist schon okay. Das konntest du auch nicht wissen", räumte er also ein. „Es ist auch selten dämlich, sollte Sachen mit der eigenen Schwester in der Öffentlichkeit zu diskutieren." Er seufzte leise. Ein kleiner Teil in ihm, wollte ihm den nötigen Schubser geben, damit er sich traute, Nico die Wahrheit sagen, seine Gefühle offenzulegen, doch der andere Teil warnte ihn, dass das dumm und naiv wäre und er es lieber lassen sollte. Er fühlte sich so hin und her gerissen. Aber er wollte auch nicht den Eindruck machen, dass das alles für ihn ein Problem war, also... „Hey, nur damit eins klar ist, ich bin bestimmt kein Fanboy von dir."

Zum Glück brachte er Nico damit zum Lachen. Das machte es ihm etwas leichter, die vor Aufregung zu ignorieren und sich nicht zu sehr in seine eigenen, etwas mutlosen Gedanken fallen zu lassen. „So hätte ich dich auch gar nicht eingeschätzt", ließ Nico ihn wissen und auch das war je irgendwie beruhigend. Trotzdem war er sich nicht so sicher, wie sie damit nun umgehen sollten. Konnten sie es einfach vergessen und zur Tagesordnung übergehen, konnte er Nico ganz offen sagen, was in seinem vernebelten Hirn vor sich ging oder würde es nun der reinste Krampf sein, wann immer sie sich begegneten?
Aber weshalb? Nico war doch hier und keineswegs von der Vorstellung abgeschreckt, dass er sich ihn verknallt hatte. Würde er wirklich hier auftauchen, wenn das zum Problem werden musste? Doch wohl eher nicht. Trotzdem hatte er noch immer das Gefühl, als würde er vor einer großen Mauer stehen und noch nach der richtigen Ausrüstung suchen, um sie zu bezwingen. „Sag mal... Ist es dir gar nicht unangenehm, was du da erfahren hast? Ich meine... Du hast zwar gesagt, dass du auch auf Männer stehst, aber das gilt ja bestimmt nicht für mich, oder? Ich meine..." Er hasste es, wenn es ihm so schwerfiel, etwas in Worte zu fassen, aber er war darin auch nie besonders gut gewesen.
Nico schien ihn aber auch so zu verstehen. „Weil du noch keine 18 bist?", riet der Deutsche einfach mal und er nickte stumm. Im Grunde war es genau das, was ihm dabei am meisten zu denken gab. Er konnte das wirklich verstehen, wenn Nico das nicht wollte. Das änderte leider nur für ihn nicht unbedingt was an seinen Gefühlen, die er offensichtlich für den Älteren empfand. Aber zog man den heutigen Tag ab, der ja schon so gut wie vorbei war, dann waren es nur noch elf Tage. Nur, ob dieses Argument auch bei Nico ziehen würde, bezweifelte er ein wenig. Zehn Jahre waren eben zehn Jahre.

Nico sah einen Moment sehr nachdenklich aus und das konnte er ihm auch nicht verdenken. Es war nur logisch, dass ihm dieser Umstand Kopfzerbrechen bereitete. Er wüsste nur zu gerne, was in dem Älteren vor sich ging, was er tatsächlich in dem Augenblick gedacht hatte, als er unfreiwillig diese Beichte bekommen hatte.
„Eigentlich finde ich, dass Alter nur eine Zahl ist", begann Nico ihm nach kurzem Schweigen zu erklären. „Ich kann zwar nicht sagen, dass ich deswegen keine Bedenken hab, aber dir nur deswegen einen Korb zu geben, wäre wohl auch nicht so ganz fair." Worte, die ihn wieder etwas hoffnungsvoller stimmten, auch, wenn er sich nicht ganz so sicher war, wie genau er das verstehen sollte. Bedeutete das, dass Nico grundsätzlich keine weiteren Gründe hatte, die dagegensprachen oder kam da vielleicht noch ein Aber?
Vielleicht wäre das der beste Zeitpunkt, im Nico auch mal reinen Wein einzuschenken. Auch, wenn ihn seine Nervosität beinahe umbrachte, nur wenn er so oder so das Gefühl hatte, sein Herz würde seinen Brustkorb sprengen, dann konnte er es auch rauslassen. Auf der Rennstrecke scheute er nie das Risiko. Womöglich lohnte sich diese Herangehensweise bei Gefühlen ja auch...
„Also... Mir ist schon klar, dass der Unterschied groß ist, aber... Ich hab's mir ja nichts ausgesucht. Ich kenn dich überhaupt nicht und doch bist ständig in meinen Gedanken. Keine Ahnung warum, das kam aus dem Nichts. Es ist nicht so, dass ich nicht versucht hätte, es abzutun und mich damit nicht mehr zu befassen, aber das macht was mit mir. Es lässt mich eben einfach nicht mehr los und um ganz ehrlich zu sein, wünsch ich mir schon länger nichts mehr, als dass du mir diese Chance gibst und wir sehen könnten, ob das nicht funktionieren könnte..."

Ob er Nico damit überzeugen konnte, wusste er nicht, aber es mussten die ehrlichsten Worte sein, die er jemals zu einem anderen Menschen gesagt hatte und er dabei fühlte er sich, als würde er jeden Moment tot umfallen, während er darauf wartete, was der Ältere dazu sagen würde. Die realistischste Antwort war sicherlich, dass Nico nicht wollte, dass ihm dieser Unterschied zu groß war und er rechnete schon mit dem verhassten Satz, dass sie am besten versuchen sollten, einfach Freunde zu sein.
Er glaubte sehen zu können, wie Nico einen inneren Kampf gegen seine Zweifel führte, dass er es sich nicht so leicht machte, was ihn wiederum ein wenig hoffen ließ, dass es nicht zum Worst-Case-Szenario kommen würde. Es kam ihm so vor, als würde das Schweigen zwischen ihnen diesmal eine Ewigkeit anhalten. Innerlich schwankte er selbst zwischen Angriff und Fluchtreflex.
Als Nico aufstand, rechnete er schon mit dem Schlimmsten. Damit, dass er sich dem Ganzen doch lieber entziehen wollte. Er war schon selbst fast aufgesprungen, als ihm auffiel, dass Nico nicht auf die Tür zusteuerte, sondern auf ihn. Er war sich immer noch sicher, den Hauch von Zweifel deutlich zu erkennen und er täte nichts lieber, als sie ihm zu nehmen. Kurz schoss ihm durch den Kopf, dass Nico ihn einfach küssen sollte, wenn er so unsicher war, damit er ihm zeigen konnte, wie ernst es ihm war.
Dass dieser Gedanke tatsächlich wahr wurde, registrierte er nicht sofort. Hatte sich die Zeit eben noch quälend in die Länge gezogen, reichte sie nun kaum aus, um zu begreifen, was passierte. Das musste doch einer seiner dümmlichen Tagträume sein, in denen er Nico ungeniert näherkommen konnte...

Die ersten Sekunden raffte er überhaupt nichts und verfiel in eine Art Schockstarre.
Doch als Nico sich wohl von ihm zurückziehen wollte, schaltete er endlich wieder, schlang die Arme um seinen Hals und erwiderte den Kuss. Endlich... Wie lange hatte er jetzt schon davon geträumt, dass er das endlich machen konnte? Definitiv zu lange. Er merkte im ersten Moment gar nicht, wie sehr er sich plötzlich an Nico festkrallte und dass dieser unter seinem Ansturm fast das Gleichgewicht verlor.
Wahrscheinlich übertrieb er es gerade schon ein wenig, aber er hatte das starke Gefühl, dass er beweisen musste, wie Ernst es ihm damit tatsächlich war. Vermutlich unnötig und er konnte spüren, wie Nico in ihren Kuss hineinlächelte, ehe ihnen langsam aber sicher die Luft ausging und sie sich unweigerlich von einander lösen mussten. Am liebsten hätte er den Älteren ja nicht wieder freigegeben, aber vor lauter Atemnot umzukippen, war eben auch alles andere als sexy.
Erst, als er langsam von Nico abließ, fiel ihm auf, wie atemlos er tatsächlich war. Sofort suchte er nach Anzeichen dafür, dass der Ältere doch noch einen Rückzieher machen würde, doch er blieb. Er zog sich nicht von ihm zurück und das konnte doch eigentlich nur bedeuten, dass es ihm gefallen hatte. Wenigstens wollte er das hoffen, denn für ihn stand fest, dass er das jetzt sehr oft wiederholen wollte.

„War's okay?", hakte er dennoch etwas unsicher nach.
„Mehr als okay, würd' ich sagen", entgegnete Nico ihm die Worte, die er so gerne hören wollte. So ganz sicher war er sich seiner selbst noch immer nicht. Das war alles so neu und auch nichts, womit er irgendwann mal gerechnet hatte. „Nochmal?"
Das fragte Nico? Aber das gab ihm auch die nötige Sicherheit, um es diesmal selbst in die Hand zu nehmen, um sich zu trauen, den nächsten Kuss selbst zu auszuführen. Er konnte sein Glück irgendwie noch gar nicht richtig fassen. Doch zu viel mehr war sein Kopf jetzt auch nicht in der Lage. Er wollte sich zwar gerade fragen, was das für sie bedeutete, aber im Grunde war es in diesem Augenblick auch völlig unwichtig.
Er hatte genau das bekommen, womit er nicht gerechnet hätte. Nur das zählte für ihn. Er hatte die Chance, Nico zu zeigen, dass er kein dummer unreifer Junge war, der nicht wusste, was diese Gefühle bedeuteten. Ihm war auch klar, dass sie weit auseinander lagen, doch musste das nicht bedeuten, dass es nicht funktionieren konnte.
Für heute war er zumindest um die Erkenntnis reicher geworden, wie sich Schmetterlinge im Bauch tatsächlich anfühlten.

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