Teil 3: Misforståelse | Frederik Vesti x Oliver Bearman

203 16 1
                                    

Misforståelse
Part 3



Barcelona, Spanien
21. Mai 2022



Oliver



„Wo willst du hin?", erkundigte Angelina sich bei ihm.
Er wusste ja selbst, dass die Interviews anstanden und er noch zig Termine hatte, aber die blöde Trinkflasche war schon wieder leer, weil er vorhin vergessen hatte, sie noch aufzufüllen.
„Die ist leer und ich hab Durst", begründete er also kurz und knapp in der Annahme, dass Angelina dagegen nichts sagen konnte.
„Dafür ist jetzt keine Zeit, wir sind spät dran. Ich hab hier eine neue für dich", grätschte sie ihm allerdings in dieses Vorhaben. Die Frau dachte auch einfach an alles. Konnte man nicht mal fünf Minuten durchatmen?
Wobei er sich nicht zu sehr beschweren sollte. In der Formel 1 war das sicher noch schlimmer und wenn er da irgendwann hinwollte, sollte er versuchen, sich an diesen straffen Terminkalender zu gewöhnen. Es nervte ihn nur.
„Aber ich will die leere Flasche jetzt nicht rumtragen", maulte er trotzdem rum. Wie sah das denn aus, wenn er hier mit zwei Flaschen rumlief?
„Meine Güte, Ollie, jetzt diskutier das nicht mit mir", seufzte Angelina auf und er wusste, dass man mit dieser Frau nur schwerlich verhandeln konnte, wenn es darum ging, den Zeitplan einzuhalten.

„Hey!", rief er zu seinem Physio rüber. „Kannst du die für mich mitnehmen?"
Er wartete nicht einmal eine Antwort ab, sondern holte direkt aus. Angelina blieb nicht ausreichend Zeit, um auf sein Vorhaben adäquat zu reagieren.
„Nein, du sollst doch nichts-" Weiter kam sie nicht, denn da war die Flasche seinen Fingern schon entglitten. Bereits im selben Moment wünschte er sich ebenfalls, dass er sich von Angelina hätte bremsen lassen.
„Aaah!", war auch schon direkt der Schmerzenslaut zu vernehmen.
„-werfen. Oh je...", kommentierte Angelina noch, während er selbst nur noch erschrocken die Augen aufreißen konnte und die Situation erst einmal sortieren musste.
Das war einfach zu schnell gegangen und nebenbei bemerkt auch überhaupt nicht der Plan. Wie konnte man nur so blöd und ungeschickt sein und...? Wieso musste das wieder ausgerechnet ihm passieren?
„Scheiße! Tut mir leid! Das wollte ich nicht", sprudelte es auch nach kurzer Verzögerung aus ihm heraus, während er unbeholfen zu seinem ungewollten Opfer stolperte und sich selbst am liebsten eine reinhauen würde.

Als er ihn erreichte, trafen sich ihre Blicke wieder.
Er biss sich direkt auf die Lippe, bemerkte einmal mehr, welche Wirkung das auf ihn hatte und das gehörte hier nun wirklich nicht her. Was war nur falsch mit ihm?
„Was war das?", wurde er von Frederik verwundert gefragt, der sich die getroffene Stelle immer noch hielt und wohl noch nicht so ganz wusste, was hier passiert war.
„Ähm, meine Trinkflasche", musste er einräumen.
Das war ihm so dermaßen peinlich und am liebsten würde er direkt im Erdboden versinken...
Wie oft hatte Jak ihm schon gesagt, dass das eine ziemlich bekloppte Angewohnheit von ihm war? Jedenfalls oft genug, um es endlich kapiert haben zu können.
„Warum wirfst du die durch die Gegend?", wurde er arglos gefragt und das machte natürlich für niemanden so richtig Sinn, warum er nicht in der Lage war, Dinge einfach vernünftig dort abzustellen, wo sie hingehörten.
„Hast du keine nervigen Angewohnheiten?", stellte er statt einer Antwort lieber eine Gegenfrage, weil er bei sowas irgendwie immer das Gefühl hatte, sich verteidigen zu müssen.
Gott, er war ja so verdammt peinlich!

„Das dürfen andere beurteilen", verwandelte sich Frederiks verwunderte Miene wieder in ein mildes Lächeln. Er bewunderte das irgendwie. Es schien so, als könnte der andere sich niemals wirklich über etwas aufregen.
Andere Fahrer hätten ihn bestimmt angemacht, was so eine Scheiße sollte, ob er sie noch alle hatte und was nicht alles. Aber nicht Frederik. Der war immer verständnisvoll und gelassen, hatte sich im Griff und war genau deswegen für ihn einfach jemand, in den man sich verlieben konnte. Was er offenbar auch getan hatte und nun nicht wusste, was er damit anfangen sollte.
„Hab ich dich schlimm getroffen?", fragte er stattdessen und konnte an Frederiks Schläfe durchaus eine rote Stelle ausmachen. Das hatte er ja wirklich gut hinbekommen. Er war so wütend auf sich selbst.
„Ach, Quatsch. Mein Kopf hält das schon aus", winkte der andere aber nur ab und schien die Sache tatsächlich einfach abhaken zu wollen. Aber er fand, dass das schon übel aussah.
„Bist du sicher? Das sieht nicht gut aus", merkte er noch an und ertappte sich dabei, wie er schon die Hand gehoben hatte um... Bitte was zu tun? Er konnte ihn doch hier nicht öffentlich anfassen. Schon gar nicht ins Gesicht.
Er musste so aufpassen. Gingen da jetzt die Hormone mit ihm durch? Das war ja völlig peinlich und er zuckte kräftig zusammen, als plötzlich Angelinas Stimme zu hören war und er brutal aus seinen Tagträumen gerissen und in die Realität zurückgeworfen wurde.

„Ollie! Du hast Termine, verdammt noch mal", erinnerte sie ihn.
Richtig. Da war ja noch was. Aber irgendwie konnte er das jetzt nicht so richtig mit seinem Gewissen vereinbaren. Er konnte doch nicht einfach nur eine kurze Entschuldigung raushauen und Frederik mit dieser Prellung hier stehen lassen.
„Ja, aber ich kann doch nicht jemanden verletzen und dann abhauen!", wandte er ein und reizte Frederik damit zu einem leisen Lachen. Das würde er zu gerne öfter hören...
„Geh schon, bevor du Ärger bekommst. Es ist ja nichts passiert", versuchte dieser ihm noch einmal deutlich zu machen, dass Angelina ihm das gewiss nicht aus Spaß sagte.
„Aber, ich kann doch nicht-", setzte er noch einmal unbeholfen an und drehte sich in Angelinas Richtung, die genervt die Augen verdrehte und einen Blick auf ihre Armbanduhr warf. Nur, um dann festzustellen...
„Wir sind eh zu spät. Ich lass mir was einfallen."

„Du bist die Beste", entgegnete er ihr und vermutlich war es gut, dass er sein breites und leicht debiles Grinsen jetzt nicht sehen konnte, sonst hätte er wohl direkt gefürchtet, Angelina damit alles zu verraten, was in ihm vor sich ging.
„Es ist aber wirklich nicht so schlimm", versicherte Frederik ihm noch einmal, als Angelina schon ihres Weges ging und sie zurückließ. Am liebsten würde er in diesem Moment ja vergessen, dass hier so viele Menschen waren. Er wäre zu gerne mit Frederik alleine und...
Er schüttelte innerlich den Kopf. Wenn er vollkommen alleine mit ihm wäre, würde er doch vor Nervosität völlig vergehen. Er konnte nur hoffen, dass er sich vor Frederik ausreichend im Griff hatte und ihm nicht direkt offenbarte, dass mit ihm etwas nicht stimmte.
„Das ist da aber ganz rot an deinem Auge. Du solltest das lieber nachgucken lassen", wandte er noch einmal ein und musste sich wieder gewaltig dazu zwingen, nicht die Hand nach Frederiks Gesicht auszustrecken, denn da hatte die überhaupt nichts verloren!
„Das ist nicht nötig", sträubte Frederik sich weiterhin und möglicherweise hätte er an dieser Stelle mal aufgeben sollen. Konnte er jedoch nicht. Er wollte nicht, dass dieser Moment schon endete.

„Aber ich will nicht schuld sein, wenn das doch was Ernsteres ist", schob er nach kurzem Nachdenken also nach.
„Das wird es nicht", blieb Frederik dabei und langsam sollte er sich wohl eingestehen, dass er wie eine überbesorgte Mutti klang und das war sicherlich vieles, aber nicht sexy. Das war ohnehin so eine Sache. Er war immer so schlecht darin, gewisse Dinge einfach mal ein bisschen zurückzuhalten. Er war viel zu gefühlsbetont und wenn er das nicht auf die Reihe bekam, dann war es auch nur noch eine Frage der Zeit, bis jeder wusste, warum man bisher noch nie gesehen oder gehört hatte, dass er mit einer Freundin an der Hand unterwegs war.
„Lass das bitte trotzdem checken. Ich fühl mich echt mies", bat er Frederik dennoch, auch wenn es ihm selbst ein bisschen lächerlich erschien, aber man konnte ja nie so genau wissen. Wenn er ihn ganz blöd getroffen hatte und so nah am Auge, konnte etwas so Harmloses plötzlich schon zum Problem werden.
„Das musst du nicht. Es sei denn, du hast das mit Absicht gemacht, um dich vor deinen Terminen zu drücken, dann solltest du schon ein schlechtes Gewissen haben", scherzte Frederik aber weiter und so gerne er sich mit ihm unterhielt, so nervös machte ihn das nun einmal auch.

„Ganz bestimmt nicht. Also, ich meine... Wenn das mein Plan gewesen wäre, hätte ich auf wen anders gezielt", rutschte es ihm plötzlich raus und blöderweise lief ihm dafür gerade auch genau der Richtige ins Blickfeld.
Obwohl er gar nichts gegen ihn hatte, aber da war nun einmal dieses Gefühl und dieser Eindruck, dass ausgerechnet er Frederik sehr viel näherstand, als es ihm lieb war.
„Echt? Auf wen?", wollte Frederik in diesem Moment aber von ihm wissen und beinahe wäre er so blöd gewesen, ihm darauf auch noch zu antworten.
„Auf-" Er schüttelte lieber rasch den Kopf, versuchte sich selbst zur Ordnung zu rufen und zwang sich, Dennis nicht mehr böse anzustarren, der gute fünf Meter hinter Frederik nun ziemlich entspannt mit vor der Brust verschränken Armen stand und zu ihnen hinübersah. „Vergiss es, sowas ist gemein."
Er redete sich noch um Kopf und Kragen, wenn er so weitermachte. Das war alles andere als geschickt, denn so würde Frederik doch leicht draufkommen können, was los war.
„Na gut", nahm sein Gegenüber das wie immer sehr gelassen, wirkte allerdings durchaus so, als würde er ihm gerne noch mehr sagen, nur musste er zusehen, dass er aus dieser Situation rauskam, bevor er es noch schlimmer machte. Dabei hätte er sich so gerne mal ungestört mit ihm unterhalten. Aber im Fahrerlager waren sie vieles, nur nicht ungestört.

„Ähm, ich denke... Also, ich sollte dann vielleicht auch mal...", brach er sich fürchterlich ein ab und verdrehte innerlich die Augen über sich.
Früher war er nie um Worte verlegen gewesen und plötzlich verguckte er sich in einen seiner Fahrerkollegen und wusste nicht mehr, was er tat. Das war total gruselig.
„Wirklich? Du hast doch gerade Zeit gewonnen", schien Frederik nun auch noch enttäuscht zu sein, dass er sich aus dem Staub machen wollte. Das machte es ihm deutlich schwieriger, sein Vorhaben auch in die Tat umzusetzen.
„Ja, aber..." Er überlegte fieberhaft, wie er das begründen wollte, ohne Frederik das Gefühl zu geben, dass er gar nicht mit ihm reden wollte. „Ich will dich nicht aufhalten. Du hast ja bestimmt auch zu tun." Das klang ja mal so richtig bescheuert...
„Ich muss doch erstmal meinen Kopf checken lassen. Hast du selbst verlangt", schmunzelte Frederik und da war selbstverständlich was dran. Er bekam den starken Eindruck, sich damit ein Eigentor geschossen zu haben.
„Ja, stimmt... Äh..." Unbeholfener konnte man sich in der Tat nicht mehr anstellen. „Ich denke, da kommt auch schon deine passende Begleitung", schob er die ganze Sache nun doch auf Dennis, obwohl er genau das hatte vermeiden wollen.

Frederik drehte sich auch direkt verwundert nach hinten, um zu sehen, wo er überhaupt hinsah und so schwer es war nutzte er diesen Augenblick einmal mehr, um die Flucht zu ergreifen.


Frederik



„Meine-?", wunderte er sich noch über Ollies Worte und wandte den Kopf über die Schulter.
Da stand doch nur Dennis. Mit ihm ging er vielleicht ab und zu zum Lunch, aber der musste ihm sicher nicht das Händchen halten, wenn er seinen verwirrten Kopf durchchecken ließ. Also sollte er Ollie wohl vermitteln, dass er sich mit Dennis sicher nicht überall hinbegeben würde und...
„Wieso sollte er-?", fragte er, während er den Blick wieder auf Ollie richten wollte, doch als er wieder nach vorne sah, war von ihm schon nichts mehr zu sehen. „Ollie?" Verdammt, wie schnell war der denn bitte?
Enttäuscht ließ er die Schultern sinken. Was tat er nur jedes Mal, dass Ollie einfach weglief? Er wünschte er wüsste es, denn wenn Ollie sich überhaupt nicht mit ihm würde unterhalten wollen, dann wäre er doch auf der anderen Seite nicht so fürsorglich und nervös gewesen.
Er konnte das drehen und wenden, wie er wollte, er begriff das nicht so richtig. Dabei hätte er die Zeit jetzt so gerne genutzt, um mal richtig mit Ollie zu reden, ihm vielleicht mal zu sagen, was in ihm vor sich ging, wobei...
Vermutlich hätte er sich das wieder nicht getraut. Es blieb ja leider immer noch ein Risiko, wenn man so ein Geständnis raushaute.

„Mutig sich in seine Wurfbahn zu begeben, aber guter Einsatz von dir. Endlich redet ihr mal miteinander", kommentierte Dennis, der nun zu ihm gekommen war.
Er seufzte, weil er nun einmal gerne länger mit Ollie zusammen gewesen wäre. „Ja. Er war ganz nervös", kam es ihm noch nachdenklich über die Lippen, als er Dennis leise lachen hörte. „Aber ich bin da sicher nicht mit Absicht reingelaufen." Das wollte er zumindest klarstellen. Wenn er das nicht bestritt, würde Dennis die Version nämlich immer so erzählen.
„Wäre aber eine gute Strategie gewesen. Und? Ist was dabei rausgekommen?", erkundigte Dennis sich bei ihm.
„Nein. Er hat sich Sorgen gemacht, dass er mich verletzt hat", entgegnete er. Das brachte ihn schließlich keinen Schritt weiter. Das war ja süß von Ollie, aber sicherlich auch total normal, dass man sich Gedanken machte, wenn man jemanden unabsichtlich mit etwas bewarf. Da war er doch genauso schlau wie vorher.
„Weil er auf dich steht! Begreif das endlich. Der hat nichts mit Jak. Der will was von dir", versuchte Dennis ihm einmal mehr klar zu machen, was er selbst nicht so richtig glauben konnte. Warum sollte Ollie denn? Was wollte er denn mit jemandem wie ihm? Der könnte doch einfach jeden haben, wenn er es drauf anlegte und die sexuelle Orientierung auch stimmte.

„Aber wieso rennt er dann schon wieder weg?", wunderte er sich.
Das hatte er ja gestern auch schon gemacht. Wie sollte er denn jemals mit Ollie reden, wenn der immer vor ihm davonrannte? Er konnte ihm ja schlecht durch das ganze Fahrerlager hinterherlaufen. Das sah nicht nur äußerst dämlich aus, sondern würde sicher auch Fragen aufwerfen, die er auf gar keinen Fall beantworten wollte.
„Was weiß ich? Übrigens sieht das echt böse aus. Du solltest wirklich jemanden drauf gucken lassen", empfahl Dennis ihm allerdings, nur konnte er sich das gar nicht vorstellen. Es war doch nur eine blöde Hartplastik-Flasche gewesen.
„Quatsch", wollte er also abwinken, denn er war nun wirklich nicht aus Zucker, doch da hatte Dennis bereits sein Handy rausgeholt und die Kamera aktiviert, um sie wie einen Spiegel verwenden zu können.
„Doch, im Ernst, guck doch mal."
Und da konnte er es selbst sehen. Das war eine ordentliche rote Stelle neben seinem Auge, wo Ollie ihn so zielsicher aber trotzdem unabsichtlich getroffen hatte.
„Oh...", kam es ihm nur über die Lippen.
„Ja, ganz genau", bestätigte Dennis seine kurze, wortkarge Selbsteinschätzung.

Dann würden seine eigenen Termine wohl genauso flachfallen, wie Ollies...

Grid TalesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt