Sweets & Treats | Pierre Gasly x Yuki Tsunoda

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Sweets & Treats


Montréal, Kanada
18. Juni 2023



Pierre



„Hey... Hab ich dich geweckt?"

Er könnte niemals müde genug sein, um es nicht niedlich zu finden, wie Yuki so vor ihm stand, gefühlt einen Meter kleiner als er selbst, mit diesem Grinsen im Gesicht, aber gleichzeitig auch dem Anflug eines schlechten Gewissens, dass er um diese Zeit noch bei ihm aufschlug.
Wahrscheinlich war Yuki zu diesem Entschluss auch schon vor mindestens einer Stunde gekommen und hatte sich wieder nicht dazu durchringen können. Irgendwie hatte er das auch ganz schön vermisst, wenn er ehrlich war.
Es war nicht so, dass er sich bei Alpine nicht wohlfühlte. Sportlich betrachtet war dieser Wechsel die einzig logische Entscheidung gewesen. Aber die Zeit mit Yuki vermisste er sehr. Während seiner Zeit bei Alpha Tauri war er dafür irgendwie ein bisschen blind gewesen.
Damals war er ja auch nur froh, dass er seine Karriere nach der Red-Bull-Pleite noch fortsetzen konnte und sie hatten bei allem was sie taten so viel Spaß gehabt. Er hatte nie darüber nachgedacht, ob das etwas zu bedeuten hatte. Erst, als er die Unterschrift unter den Vertrag gesetzt hatte.
Ziemlich spät...
Seitdem ging ihm manchmal durch den Kopf, was wohl dabei rausgekommen wäre, wenn er auf Yuki noch ein bisschen mehr eingegangen wäre. Er hatte ja einen Verdacht, warum Yuki immer so anhänglich war, nur traute er sich nie, diese Theorie auch zu überprüfen.

Wie blöd wäre das auch gewesen?
Nun allerdings freute er sich wahnsinnig, dass Yuki nach seinem eher durchwachsenen Rennen noch zu ihm kam. Seit der Quali gestern war sein Wochenende für die Tonne.
Er begriff nicht, warum man Sainz dafür nur eine Startplatzstrafe von drei Plätzen aufgedrückt hatte. Hülkenberg und Yuki bekamen dasselbe und die hatten niemanden gefährdet, während die Aktion des Ferrari-Piloten einfach nur saudämlich und ziemlich gefährlich gewesen war.
Wenn er Sainz mit dreihundert Sachen ins Heck gedonnert wäre, dann würden sie im harmlosesten Fall im Krankenhaus liegen. Im schlimmsten sahen sie sich die Radieschen von unten an. Und das alles nur, weil dieser Egoist lieber ihnen in die Quere kam, statt seine gute Runde wegen ein wenig Verkehr zu ruinieren.
Langsam begriff selbst er, warum Charles sich so oft über die Methoden seines Teamkollegen beschwerte. Er wusste, dass Charles mit Sainz auskam, aber so richtig happy war er mit ihm nicht. Klar, als Rennfahrer mussten sie alle die Ellenbogen mal ausfahren. Aber Sainz schien manchmal sämtlicher Teamgeist völlig abhanden zu kommen.
Manchmal glaubte er, dass der besser mit Norris zusammen bei McLaren geblieben wäre. Damit wäre wahrscheinlich die ganze Welt glücklich gewesen.

Und er wäre vielleicht lieber bei Yuki geblieben.
Der stand wieder so angespannt vor ihm, obwohl er so offenherzig lächelte. Man musste bei ihm schon ganz genau hinsehen, aber er erkannte die Anzeichen dafür immer sehr deutlich. Er konnte sehen, dass er das Gewicht immer wieder von einem Fuß auf den anderen verlagerte und sein Blick etwas unruhig um ihn herumschweifte.
„Nein, hast du sicher nicht. Was machst du hier?", wollte er von ihm wissen, selbst wenn er sich die typische Yuki-Antwort darauf auch bereits denken konnte.
„Ich dachte mir, dass du sicher grübelst und das Wochenende doof findest und ich wollte, dass du es vielleicht etwas besser finden kannst", erklärte Yuki ihm ein wenig umständlich, was ihn aber direkt zum Lächeln brachte.
Wie könnte es einem auch nicht schlagartig besser gehen, wenn Yuki da war? Diese Wirkung hatte er einfach. Er musste dann gar nicht mehr darüber nachdenken, was blöd gelaufen war oder was ihn ärgerte. Als würde der andere es einfach zur Seite schieben, aus seinem Blickfeld raus.
„Schon geschehen. Willst du reinkommen?", bot er ihm also an und sah, wie sich dessen Miene sofort noch mehr aufhellte und er ihn regelrecht anstrahlte.
„Klar!", rief er sofort begeistert aus und ließ sich das nicht zweimal sagen.

Noch bevor er „Sainz ist ein Vollpfosten!" sagen konnte, war Yuki durch die Tür hineingeschlüpft und pflanzte sich sofort auf das kleine Sofa, als wäre er hier zu Hause.
Das war ja auch nicht so falsch. Immerhin hatte er in den vergangenen zwei Jahren oft sein Zimmer ganz selbstverständlich mit Yuki geteilt. Sie hatten sich immer so viel zu erzählen, konnten über so viel lachen, da hatten sie oft bis in die frühen Morgenstunden zusammengesessen.
Kaum zu glauben, dass er in dieser ganzen Zeit nicht verstanden hatte, dass Yuki ihm gewisse Signale sendete. Auch, wenn er sich nach wie vor nicht ganz sicher war, lag der Verdacht schon ziemlich nahe.
„Weißt du, dein nächstes Rennen wird sicher besser. Ich weiß das!"
Yuki sagte das mit so einer Überzeugung, dass man es ihm einfach glauben musste. Selbst, wenn es am Ende nicht so käme, gab ihm das für die kommenden zwei Wochen wohl die nötige Zuversicht. Das war ein schönes Gefühl.
„Ja? Wieso? Hast du Sainz irgendwo vergraben, wo er bis Österreich nicht mehr rauskommt?", gab er zurück, denn im Grunde war das alles, worüber er sich an diesem Sonntag wirklich beklagen konnte. Mit einem sechsten Startplatz – der durchaus drin gewesen wäre – hätte er Esteban im Rennen schlagen können und nach dessen drittem Platz in Monaco brauchte er den nächsten Achtungserfolg unbedingt auf seiner Seite.
Er wollte ihm in nichts nachstehen. Auch, wenn sie längst über ihre alten Fehden hinaus waren, aber niemand wollte von seinem Teamkollegen geschlagen werden. Hier zu fahren war zum einen die Möglichkeit, aus dem Red-Bull-Einfluss rauszukommen und obendrein noch die Chance, sich und allen anderen zu beweisen, dass Esteban ihn zu Unrecht als den schlechteren Fahrer bezeichnet hatte.

„Äh, nein, aber das lässt sich nachholen!", kommentierte Yuki und brachte ihn damit wieder zum Lachen, wie er da so vor ihm saß, sich am Hinterkopf kratzte und ihn einfach nur anlächelte. Das war schön.
„Spinner", versetzte er, als er sich neben ihm auf das Sofa plumpsen ließ und bemerkte, dass Yuki sich ganz minimal ein Stück weiter in seine Richtung lehnte.
„Ja, stimmt wohl", räumte Yuki ein und wenn er so darüber nachdachte, dann war es gar nicht nötig, dass sie jetzt Probleme wälzten. Es ging ihm gut. Das Rennen war blöd gelaufen, aber es war alles in Ordnung.
„Ich will dir nicht die Ohren volljammern. Dein Rennen war ja auch nicht so klasse", warf er also mal ein und merkte sehr schnell, dass Yuki sich daraus auch nicht allzu viel machen wollte.
„Ja, war es wohl nicht. Aber hey, es kann ja nur besser werden", zuckte dieser fast unbekümmert mit den Schultern. Konnte er das echt immer so schnell abhaken? Das hatte er sich früher schon häufiger gefragt. Yuki konnte sich wahnsinnig über etwas aufregen, doch seine Wut hielt nie besonders lange. In dem Moment, wo Yuki alles rausließ, war es dann auch schon wieder vergessen.
„Deinen Optimismus will ich haben", murmelte er.
„Davon kann ich dir ganz viel leihen, wenn du willst", schlug Yuki ihm vor, was einen ähnlich positiven Effekt auf ihn hatte, wie schon seine kleinen Bemerkungen davor. „Ah, siehst du? Es hilft, du lachst ja wieder."

Er könnte das jetzt einfach bestätigen. Oder er könnte...
„Das ist in deiner Gegenwart nicht so schwer", stellte er mal in den Raum um rauszufinden, wie Yuki auf so ein Kompliment reagieren würde. Und richtig gedacht. Er geriet wieder in Verlegenheit. Er konnte sehen, wie er fast direkt rot wurde und lieber nach unten sah, als würde er davon nichts mitbekommen.
„Ähm...", hörte er ihn stammeln. Eigentlich war er sich seiner Theorie schon sehr sicher, nur irgendwie brauchte er wohl noch ein bisschen mehr Bestätigung.
„Was?", fragte er mal nach, in der Hoffnung, Yuki würde das erklären, nur dafür schien er zu aufgewühlt zu sein.
„Ach, nichts", winkte Yuki unnötigerweise ab, was für ihn ein weiteres Indiz war. In seiner Gegenwart wurde er immer nervös, verhielt sich anders, als wenn sie unter Leuten waren. Da musste mehr sein und das war ihm längst klar.
„Hab ich dich in Verlegenheit gebracht?", fragte er nach. Nicht, dass das am Ende doch einen anderen Grund hatte und er sich dann selbst komplett blamierte. Manchmal wünschte er, dass er selbst nicht auch so unsicher in allem wäre.
„Was? Quatsch, nein. Was Süßes?", platzte es aus Yuki heraus und wo er die Packung so schnell hervorgezogen hatte, würde wohl sein Geheimnis bleiben.

„Hä?"
Das hatte ihn nun selbst etwas aus dem Konzept gebracht. Wohl weil er mit dem Kopf schon dabei war, wie er sich Yuki nun annähern konnte, ohne dass es plump und dämlich rüberkam. Er ärgerte sich, dass er das nicht schon viel eher mal versucht hatte rauszufinden.
Wieso ging ihm das alles denn erst auf, wo sie sich nicht mehr so oft sehen konnten?
„Also, damit wollte ich dich eigentlich von deinem Rennen ablenken", gab Yuki zu und hielt ihm die Tüte immer noch direkt unter die Nase. Er musste sich erst einmal einen Moment sammeln, bevor er sie ihm aus der Hand nahm, um wenigstens mal nachzusehen, was das war. Auf jeden Fall irgendwas Japanisches.
„Du willst, dass ich dick werde", versetzte er mal, auch ohne die Mengenangaben auf der Rückseite entziffern zu können. Selbst durch das Plastik roch das schon so verboten süß, als würde man vom bloßen Geruch schon fünf Kilo zunehmen.
„Auf gar keinen Fall! Aber das hilft wirklich! Das macht glücklich!", insistierte Yuki und gab ihm dafür endlich wieder eine Vorlage, die er nutzen konnte, um vielleicht ein kleines Bisschen weiterzukommen.
„Den Effekt hast du doch auch und du hast keine Kalorien."
Und da war es wieder. Das leichte, rote Schimmern auf Yukis Wangen, welches ihn zuerst auflachen und dann von ihm wegdrehen ließ.

„Äh..."
Okay, mehr Beweise brauchte es nicht. Er wollte Yuki nicht quälen und lieber fair sein. Er hatte nun ausreichend gesehen, dass da etwas von Yukis Seite aus war und nun musste er das Risiko eingehen. Er hatte es schließlich minimiert so gut er konnte.
„Yuki, ich weiß Bescheid", teilte er ihm also mit und sah, wie seinem ehemaligen Teamkollegen ein bisschen die Gesichtszüge entglitten.
„Ah, okay... Und worüber?", fragte er unnötig nach und er konnte verstehen, dass er sich deswegen immer noch ziemliche Sorgen machte. Aber das war nicht nötig. Yuki musste da vor ihm ganz sicher nichts befürchten.
„Das könnte ich dir erklären...", setzte er an, doch er würde das lieber anders machen, „oder..." Er ließ den Satz unbeendet und lehnte sich einfach zu Yuki rüber.
Noch bevor dieser so recht wusste, wie ihm geschah, hatte er eine Hand auf seinem Oberarm und die Lippen auf die des anderen gelegt. Yuki zuckte regelrecht zusammen, löste sich aber nicht von ihm. Einen Moment war er wie vom Blitz getroffen.
Offensichtlich hatte er ihn damit ein wenig überfahren. Er ließ erst einmal von ihm ab, um zu sehen, wie er überhaupt darauf reagieren würde.
Er hätte gerne sofort weitergemacht, denn ihm selbst wurde in dem Moment auch erst so richtig klar, wie sehr er das wohl auch schon eine ganze Zeit wollte. Damit hatte er nicht gerechnet.
Und Yuki ganz eindeutig auch nicht.

„Pierre! Ich...", stammelte dieser und sah aus, als würde er jeden Moment flüchten wollen.
„Tut mir leid", entschuldigte er sich direkt. Er wollte ihn damit nicht aus dem Konzept bringen. Zumindest nicht so, dass er sich damit unwohl fühlte.
„Was? Nein, ich... Man, das wollte ich die ganze Zeit und jetzt... Ich weiß nicht was ich machen soll", platzte es aus Yuki heraus, der offenbar aus allen Wolken fiel. „Ich dachte, du bist deiner Freundin glücklich."
Ach ja... Daran hatte er jetzt gar nicht mehr gedacht, dass er ja eigentlich bis vor kurzem noch vergeben war. Gefühlt war die Trennung schon ewig her. Sie hatten sich auch nicht sonderlich dramatisch getrennt. Und sicher auch nicht wegen Yuki. Aber manchmal funktionierte es einfach nicht.
„Das dachte ich auch. Yuki, ich hab das nicht begriffen. Ich war mir sicher, aber seit ich bei Alpine bin, fehlst du mir sehr. Mehr, als ich dachte. Letztes Jahr dachte ich, dass ich dich einfach als Freund wahnsinnig mag. Aber da ist mehr. Definitiv. Tut mir leid, dass ich es dir so schwer gemacht und es so spät erkannt hab", versuchte er also in einfachen Worten zu beschreiben, was für diesen Sinneswandel verantwortlich war.
„Das heißt, du...?" Yuki brauchte einen Moment, kam da noch nicht so richtig mit. „Hast du dich echt in mich verknallt?" Jetzt hatte er es.

Er musste schmunzeln, weil Yuki so ungläubig dreinblickte.
„Sieht wohl so aus. Sonst würde ich dich ja nicht küssen", begründete er also. Das tat er schließlich nicht nur mal so. Das machte er nur dann, wenn er auch wirklich die Absicht hatte, diesem Menschen auf allen Ebenen näher zu kommen.
„Stimmt wohl", lächelte Yuki immer noch etwas durch den Wind und errötete dann einmal mehr, als er fragte: „Können wir das noch mal machen?"
„Ja. Sicher", stimmte er also zu, denn immerhin hatte er vorhin schon gerne weitermachen wollen, nur fand er, dass er Yuki auch die Zeit geben sollte zu begreifen, was hier zwischen ihnen passierte. Er wollte schließlich nicht egoistisch sein.
Yukis Strahlen machte ihm deutlich, dass sich das Warten definitiv gelohnt hatte.
„Das find ich toll!", verkündete Yuki und war es dann ganz mutig selbst, der ihm wieder entgegenkam, damit sie noch einmal testen konnten, wie gut ihre Lippen aufeinanderpassten.
Die Lippen des anderen fühlten sich genauso weich an, wie er sie sich vorgestellt hatte.


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