Teil 5: Confessions | Arthur Leclerc | Felipe Drugovich x Logan Sargeant

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Confessions



Imola, Italien
24. April 2022



„Hier steckst du. So mies war das Rennen doch ga- Was ist los?"

Na toll...
Er hätte sich denken können, dass Charles ihn sehr viel schneller finden würde, als ihm lieb war. Er hätte sich auch wenigstens mal die Mühe machen sollen und ihr Treffen absagen können. Das hatte er die ganze Zeit vorgehabt, aber dann doch nicht zum Handy gegriffen. Und nun war er wohl nicht schnell genug gewesen, die offensichtlichen Spuren zu beseitigen, während Charles sich schon an seiner Seite niederließ und ihn viel zu wissend von der Seite musterte. Das war der typische „ich-bin-dein-älterer-Bruder-und-weiß-was-los-ist"-Blick.
Die Betonung lag dabei tatsächlich auf „älterer Bruder". Charles bezeichnete sich nie als großen Bruder oder ihn als kleinen Bruder. Charles war der Meinung, dass „klein" in dem Zusammenhang auch schnell danach klang, als würde er das ewige Kind bleiben und dass das schnell einen etwas respektlosen Unterton bekam, wenn man sich nun einmal größtenteils in einer Wettbewerbswelt aufhielt. Ihm selbst wäre das niemals so aufgefallen, aber das spielte gerade auch überhaupt keine Rolle.
Viel wichtiger war ihm eigentlich, dass Charles jetzt nicht mitbekam, dass er sich hier ins Gebüsch zurückgezogen hatte, wo er hoffte, nicht gefunden zu werden, weil ihm die Tränen gekommen waren und er hier heimlich geheult hatte. Das war nämlich genau das Bild, welches er vermeiden wollte. Nur, weil er jünger als Charles war, war er schließlich kein Kind und sollte inzwischen auch selbst klarkommen. Wie auch immer alles ausging, am Ende war er an seiner Situation ohnehin komplett selbst schuld, also sollte er das auch mit Fassung tragen.

„Gar nichts", behauptete er also mit möglichst fester Stimme.
Das wäre sicherlich für jeden anderen sehr überzeugend gewesen. Nur eben nicht für Charles. Er konnte dessen Blick so deutlich spüren, dass er sich vorkam, wie ein dummes Kind, welches man beim Klauen erwischt hatte und nun versuchte, das Diebesgut einfach hinter dem Rück zu verstecken.
„Echt jetzt? Möchtest du es noch offensichtlicher machen?", wurde er auch direkt gefragt. Dennoch war er nicht bereit, so schnell aufzugeben, denn dass er mal wieder selbst zu blöd war und sich mehr Probleme machte, als nötig, wollte er ihm nicht auf die Nase binden. Zumal er ihm doch schon genug die Ohren vollgejammert hatte. Es war genug und das verleitete ihn zu den nächsten Worten, die unglaubwürdiger wohl nicht sein könnten.
„Ich hab was ins Auge bekommen." Großartig! Wie war er denn auf den Mist gekommen? Das hatten schon unzählige Leute vor ihm versucht und waren mit dieser bescheuerten Begründung auch gescheitert. Zum Lügen war er ohnehin zu doof.
„Seit wann lügst du mich so halbherzig an?", stellte auch Charles in diesem Moment fest und ließ ihn sich auf die Lippe beißen. Ja, er stellte sich komplett hohl an, nur er wusste sich gerade auch nicht anders zu helfen. Klar, er wollte es Charles sagen, damit wenigstens einer wusste, was Sache war, nur irgendwie fiel es ihm gerade auch unfassbar schwer. Warum hatte er das Gefühl, als würde Charles auch gleich sauer auf ihn sein?

„Seit ich der größere Idiot von uns beiden geworden bin", teilte er also mit und versuchte zumindest nicht noch kläglicher zu wirken, als er das mit gesenktem Blick und hängenden Schultern ohnehin schon tat.
„Wärst du in einer besseren Verfassung würde ich sagen, dass das schon immer so war", teilte Charles ihm mit und brachte ihn zumindest zu einem verzerrten Schmunzeln, nur wirklich lachen konnte er gerade nicht, so gerne er das auch würde, weil es ihm ein Stück Normalität geben würde. Dann könnte er sich wenigstens zwei Sekunden lang einbilden, es würde keine Katastrophe auf ihn zurollen.
Doch so leicht entkam er Charles und seiner Fürsorge selbstverständlich nicht. Der wusste und sah ganz genau, wie er sich gerade fühlte. Es war ein komplett aussichtsloses Unterfangen, ihm etwas vormachen zu wollen.
„Arthur, komm schon, was ist los?", wurde er auch direkt noch einmal gefragt und es brachte nichts, das Offensichtliche weiterhin abstreiten zu wollen. Er wollte ja auch nichts verheimlichen oder sogar lügen. Nicht vor Charles, weil sich das absolut falsch anfühlte.
„Ich hab was Dummes getan", räumte er also erst einmal sehr allgemein ein. Das dürfte Charles wenig überraschen, denn der hatte ihn aus nicht wenigen dummen Situationen ja selbst wieder rausgezogen. Er war eben die Sorte Bruder, der immer da war, wenn er gebraucht wurde. Ganz egal, wie viele Kilometer sie voneinander trennten, Charles würde immer einen Weg finden, um für ihn da zu sein. Das wusste er.

„Das tust du, seit du auf der Welt bist, ich brauch ein bisschen mehr als das", schmunzelte Charles und obwohl er ihm damit wieder einmal deutlich machte, dass er im Verbocken von Dingen ziemlich gut war, klang es aus seinem Mund absolut liebevoll.
Mit dem, was er jetzt beichten musste, fühlte er sich trotzdem alles andere als wohl. „Ich hab Oscar gesteckt, dass ich über Drugovich und ihn Bescheid weiß und ihm die Pistole auf die Brust gesetzt, damit er Logan endlich die Wahrheit sagt." Und er konnte sich bei seinem verdammten Glück doch zu hundert Prozent sicher sein, dass ihm das auf die Füße fallen würde. Es würde ihn schon sehr wundern, wenn es anders käme.
„Okay. Glaubst du, dass er das nicht tun wird?", hakte Charles mal nach, der nun versuchte, seinem Problem ein wenig auf den Grund zu gehen. Wenn es nur das wäre. Wenn Oscar bloß zu feige wäre, um Logan zu stecken, wie mies er ihn behandelte. Das wäre nicht so tragisch...
„Das wäre noch der gute Ausgang", stellte er direkt klar, doch Charles schien da noch nicht so recht zu sehen, warum das unbedingt zu einem großen Problem für ihn werden musste.
„Weil...?"
Er seufzte leise, bevor er seinen Bruder aufklärte: „Weil er dadurch auch rausgefunden hat, dass ich mehr von Logan möchte. Wenn er ihm jetzt sagt, dass ich die ganze Zeit nur so nett zu ihm bin, weil ich was von ihn will, wird er denken, ich hab das alles erfunden, weil ich Drugovich und ihn auseinander bringen will. Fuck!"

Denn schlauerweise war ihm genau das erst nach seinem überstürzten Gespräch in den Sinn gekommen.
Wieso war er eigentlich nicht dazu in der Lage, Sachen auch zu Ende zu denken. Die ganze Zeit hatte er sich ganz genau überlegt, was passieren könnte und wie er das handhaben wollte, wenn es nicht so lief wie erhofft und ließ natürlich komplett außer Acht, dass er sich selbst auch verraten könnte. Er war so ein Honk!
„Wenn Logan nicht völlig verstrahlt ist, dann wird er aber erkennen, dass deine Freundlichkeit kein Fake ist und dass dir wirklich etwas an ihm liegt", warf sein Bruder ein, was ihn ein wenig an dessen Realismus zweifeln ließ. Das machte sein Blick wohl auch ganz deutlich, als er den Kopf hob und ihn etwas gequält ansah.
„Charles, ich bin doch kein Kind mehr, was du trösten muss. Ich weiß doch, dass ich es komplett verkackt hab", wandte er ein, denn nichts anderes war aus seiner Sicht passiert.
„Das weißt du doch noch gar nicht oder hat er dich schon angerufen? Hat er schon was zu dir gesagt oder ist irgendwie wütend geworden?", fragte Charles nach und wenn er sich das genau überlegte, dann war da durchaus was dran. Hätte Oscar ihm schaden wollen, dann wäre das ja gewiss schon geschehen. Immerhin hatte er ihm die Ansage vor drei Tagen gemacht.
War er jetzt also nicht der Dussel, sondern die Dramaqueen? Die Rolle gefiel ihm noch weniger, dann wollte er lieber derjenige sein, der nichts peilte.

„Nein", sagte er also.
„Dann hör auf dich verrückt zu machen. Hast du mir nicht selber erzählt, dass du glaubst, dass Oscar sich mit seiner Lüge unwohl fühlt?", gab Charles ihm noch mehr Gründe, lieber nicht sofort zu resignieren.
„Schon...", musste er nämlich auch das zugeben. Er hatte das immer wieder beobachten können, wie Oscar in Logans Richtung sah und sich dann jedes Mal auf die Lippe biss, sich verlegen in den Nacken griff und sich allgemein nicht gut zu fühlen schien.
„Und? Hat sich dein Eindruck geändert?", ging Charles seinen Befürchtungen weiter auf den Grund und langsam merkte er auch, dass er sich da wohl tatsächlich viel zu viele Gedanken gemacht hatte. Selbst, wenn der schlimmste Fall am Ende eintrat, hatte Charles zumindest recht, dass das Grübeln nichts brachte und sich verrückt zu machen schon gar nicht.
„Nein", musste er sich wiederholen, was Charles dazu brachte, ein wenig über ihn den Kopf zu schütteln. Er kannte das ja selbst nicht von sich, dass er so unsicher war.
„Wenn das so ist, dann kannst du noch gewinnen", wurde er erinnert und normalerweise sollte ihm diese Denkweise sofort einleuchten. Aber wie er feststellte: Seit es um Logan ging, machte er sich furchtbar viele Gedanken. Deutlich mehr als sonst.

„Denkst du?", fragte er daher wohl ziemlich unnötig nach.
„Ja, denk ich. Und jetzt guck nicht wie ein geprügelter Hund", riet Charles ihm und hatte nicht nur vollkommen recht, er brachte ihn auch wieder zum Lächeln. So war sein Bruder schon immer gewesen. Wenn er Probleme hatte, suchte er mit ihm gemeinsam nach Lösungen oder machte ihm zumindest wieder so viel Mut, dass er das alleine hinbekam.
Wenn er sich in anderen Belangen doch nur genauso sicher sein könnte. Das würde sein Leben so viel leichter machen.
„Komm her", meinte Charles noch, bevor er ihn in eine Umarmung zog. Das war irgendwie auch genau das, was er jetzt brauchte. Ein bisschen Zuversicht und die Gewissheit, dass sein älterer Bruder immer hinter ihm stand, egal was für einen Mist er manchmal auch verzapfte. Vielleicht würde er dann wenigstens ruhig schlafen können.
Und vergessen können, dass er den undankbaren vierten Platz eingefahren hatte, der bedeutete, leider nicht auf dem Podium zu stehen. Aber immerhin war das Resultat deutlich besser, als das Sprintrennen und nur so wollte er das betrachten.
„Danke", teilte er seinem Bruder noch mit, als dieser die Umarmung wieder löste und er spürte, dass es ihm tatsächlich schon um einiges besser ging, als davor.


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