Teil 4: Misforståelse | Frederik Vesti x Oliver Bearman

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Misforståelse
Part 4



Barcelona, Spanien
21. Mai 2022



Oliver



„Ich bin der dümmste Mensch der Welt."

Fand er zumindest, nachdem er so einen Mist verzapft hatte. Wie konnte man nur so bekloppt sein? Ihm war ja schon so einiges an Missgeschicken passiert, aber das war echt schlimmer als alles, was er sonst so zustande brachte.
„Das bist du nicht", versuchte Jak ihm als guter Freund wieder einmal geduldig auszureden, aber wie sonst sollte man das denn nennen? Er hatte da keine Worte mehr für und er würde sich gerne in das nächste Erdloch werfen und verschwinden, so peinlich war ihm das alles. Er konnte wohl froh sein, dass er sich auf der Rennstrecke nie so dämlich anstellte. Anderenfalls wäre er wohl kaum so weit gekommen.
„Doch und wie! Wie konnte ich denn ausgerechnet ihn treffen? Es ist doch wahrscheinlicher vom Blitz getroffen zu werden, als dass meine Flasche ausgerechnet seinen Kopf trifft", beklagte er sich also offenkundig verzweifelt.
„Kommt drauf an, wo du dich unterstellst", murmelte Jak.
„Was?" Irgendwie hatte er gerade nicht den Kopf dafür, um richtig zuzuhören und so entging ihm vollkommen, wie sein Freund das gemeint haben könnte. Allerdings schien Jak auch zu bemerken, dass er mit den Gedanken überhaupt nicht bei ihm war.

„Nichts. Aber Ollie, wir sagen dir alle, du sollst nicht immer Sachen durch die Gegend werfen", bekam er nun mal einen leichten Vorwurf zu hören und das konnte er leider nicht abstreiten. Angelina, René, Gigi...
Jeder sagte ihm, dass er seinen verdammten Krempel nicht dauernd herumwerfen sollte. War sicher auch eine blöde Idee, wenn man so bescheiden zielte, wie er. Nur hatte er meistens eben keine Lust, alles ordentlich zu machen und Zeit zu vertrödeln. Es gab ja ständig Wichtigeres und vor allem Spannenderes zu tun.
„Ich weiß...", seufzte er also schuldbewusst auf und biss sich auf die Lippe. „Ob es ihm gut geht?"
Immerhin war Frederiks Auge schon ziemlich rot geworden. Er wollte wirklich nicht schuld daran sein, wenn er sich da ernsthaft verletzt hatte. Auch, wenn es nur eine Plastikflasche war, nur leider musste er die Sachen zu allem Überfluss noch jedes Mal mit voller Wucht rumwerfen. Manchmal... meistens...
„Bestimmt würde es ihm besser gehen, wenn du ihm endlich sagst, dass du ihn toll findest", warf Jak ein und brachte ihn dazu, ein wenig verzweifelt die Augen zu verdrehen.

Er würde gewiss nichts lieber tun als das.
Frederik war toll. Nicht, weil er mit irgendwas besonders auffiel, sondern weil er eben genau das nicht tat. Weil er immer eine gewisse Ruhe ausstrahlte, immer nett war und sich nicht aufdrängte. Er war nicht so extrem von sich eingenommen, wie andere Fahrer und trotzdem noch selbstbewusst genug, um es so weit zu bringen.
Er könnte noch Stunden damit zubringen, Frederiks tolle Seiten aufzuzählen, nur gab es ja diesen einen Haken, an dem er nichts machen konnte.
„Aber Dennis...", setzte er mal wieder an und diesmal war es Jak, der die Augen verdrehte.
„Ach, Ollie..." Das klang schon fast frustriert, wie Jak das sagte. „Ich bin mir sehr sicher, dass die echt nur normal befreundet sind. Du hast doch gesagt, dass Dennis das wohl mitbekommen hat. Hättest du ernsthaft seinem festen Freund etwas gegen den Kopf geworfen, dann hätte er dir sicher auch was dazu zu sagen gehabt."
So hatte er die Sache tatsächlich noch gar nicht betrachtet...
„Meinst du?", hakte er also etwas unsicher nach. Das klang so schlüssig, dass es ihm beinahe zu einfach erschien, um auch wahr zu sein. Nur, wahrscheinlich fehlte ihm dafür auch längst der Blick, weil sich sein wirrer Kopf ständig ausmahlte, wie sein worst case aussah.

„Klar. Oder wie hättest du reagiert?", spielte Jak den Ball zurück und so gesehen...
„Ich wäre ausgetickt", zögerte er keine Sekunde, ihm zu antworten. Er kannte sich bestens um zu wissen, wie unangenehm er werden konnte, wenn ihn etwas aufregte. Er wollte lieber gar nicht aussprechen, was er mit sich selbst gemacht hätte, wenn er in der glücklichen Situation wäre, sich Frederiks fester Freund nennen zu dürfen.
Gedanken, mit denen er sich gerade irgendwie selbst verwirrte. Auch das war im Grunde nichts Neues. Eine weitere Kunst, die er besser beherrschte, als ihm lieb war. Wie so vieles. Es mochte im krassen Kontrast zu seinem Selbstvertrauen als Rennfahrer stehen, aber abseits davon war er ein ziemlich dummer, verunsicherter Junge. Wenigstens empfand er das so.
„Siehst du?", versuchte Jak ihn geduldig weiter zu ermutigen, seine Zweifel mal hinter sich zu lassen und es zu riskieren. Wenn er nur nicht immer direkt so viel Panik schieben würde.
„Glaubst du echt, ich hab da eine Chance?" Ihm war klar, dass diese Frage eigentlich überflüssig war. Wenn Jak das nicht denken würde, würde er ihn ja nicht die ganze Zeit so ermutigen.
Nur, immer wenn er sich vorstellte, dass das Wirklichkeit werden könnte, gab es diese bescheuerte Stimme in seinem Kopf, die ihn dafür auslachte und ihm sagte, dass er ein naiver Trottel war, wenn er glaubte, dass sowas im realen Leben passierte.

Jak seufzte leise und kam an seine Seite.
„Finde es endlich selber raus", riet er ihm, legte ihm dabei freundschaftlich den Arm um die Schultern und wenn er das so sagte, dann musste er ihm das wohl auch endlich glauben. Also nickte er, um Jak zu zeigen, dass er es so langsam begriffen hatte.
Es würde sich ja nichts ändern, wenn er es nicht wagte. Dann konnte er die ganze Saison noch rumeiern und sich fragen, wie das ausgegangen wäre, wenn er nicht so feige wäre. Das wollte er natürlich auch nicht. Es war wohl wirklich an der Zeit, mal abseits der Rennstrecke ein Risiko einzugehen. Auch, wenn der bloße Gedanke daran seinen Puls ungesund beschleunigte.
„Und noch was", hielt Jack an dieser Stelle noch fest und brachte ihn dazu, ihn fragend anzusehen. „Wirf nicht immer alles."
Er verdrehte die Augen, während Jak darüber nur lachen konnte.
„Ist ja gut!", rief er aus und versetzte ihn damit einen leichten, nicht ernstgemeinten Schubser.


Frederik

Er kam sich schon etwas bescheuert vor.
Jetzt musste er hier ernsthaft rumsitzen und sein Auge kühlen. Er fand ja immer noch, dass das maßlos übertrieben war. Aber man hatte ihm im Medical-Center gesagt, dass eine Schwellung nicht auszuschließen war und er wollte morgen im Hauptrennen sicher nicht Gefahr laufen, dass er deswegen eine eingeschränkte Sicht hatte oder gar nicht erst starten durfte. So, wie Ollie ausgesehen hatte, würde er dann ein richtig schlechtes Gewissen haben.
Das wollte er natürlich nicht. Er wollte nicht, dass Ollie sich schuldig daran fühlte. Sowas konnte schließlich passieren und er konnte ihm doch sowieso nichts übelnehmen, selbst wenn er wollte. Das war schon komisch. Er war generell jemand, der nicht gut wütend sein konnte. Aber auf Ollie absolut gar nicht. Nicht mal ansatzweise. Ob das gesund war?
War im Grunde auch egal. Er musste sich das entweder aus dem Kopf schlagen oder ihm endlich mal sagen, was Sache war. Wenn er nicht so viele Zweifel und Bedenken hätte, wäre das sicherlich deutlich leichter. Es war eben immer ein besonderes Risiko. Er mochte Ollie zwar nicht so einschätzen, aber was, wenn er das gegen ihn verwendete?
An sowas dachte er jedes Mal, wenn er sich die Frage stellte, ob er auf jemanden zugehen sollte. Wenn Dennis damals nicht eine Ahnung gehabt hätte und das nötige Fingerspitzengefühl, um ihn nicht sofort mit diesem Verdacht zu konfrontieren, hätte er ihm das auch nie von sich erzählt. Es gab nicht so viele, die davon wussten. Nur sehr enge Freunde und natürlich die Familie. Das hatte sich nicht vermeiden lassen.

So langsam wurde das Kühlpad warm.
Er warf es gerade frustriert zur Seite, als es klopfte. Wieso kam sein Physio denn nicht einfach rein? Wer sollte es auch sonst sein? Sonst wusste eigentlich niemand, dass er sich noch einen Moment zurückgezogen hatte, um im Idealfall die Entstehung eines Veilchens zu verhindern. Als er zur Tür schlurfte und sie öffnete, war er allerdings mehr als überrascht.
„Was machst du denn hier?", stammelte er beinahe, denn er hatte nicht den Hauch einer Ahnung, wie er ihn hier überhaupt ausfindig gemacht hatte. Andererseits brauchte er wohl nur fragen und da dieser Trinkflaschen-Fauxpas wohl nicht so unbemerkt geblieben war, lag es wohl selbst für den größten Trottel nahe, dass Ollie sich dafür vielleicht noch mal persönlich entschuldigen wollte. So kreativ musste er also gar nicht werden, um herzukommen.
„Stör ich dich gerade?", bekam er aber direkt eine aufgeregte Gegenfrage. Überhaupt wirkte Ollie wieder fürchterlich nervös. Das war das ziemliche Gegenteil von dem Ollie, mit dem man es auf der Rennstrecke zu tun bekam. Er sah sich die Formel-3-Rennen ja durchaus auch an und da war von Aufregung und Unsicherheit nie was zu bemerken. Und kaum stieg er aus dem Wagen aus, war er wie ausgewechselt. Irgendwie zumindest.

„Nein, Quatsch. Willst du reinkommen?", bot er ihm mit einiger Verzögerung an.
Wenn Ollie so vor ihm stand, dann war er einfach nur abgelenkt. Er befürchtete jedes Mal, dass er ihn zu lange anstarrte, aber es war für ihn schwer, es nicht zu tun. Er sah ihn nun einmal gerne an und dann spielte sein Kopf völlig verrückt und er war froh, dass keiner seine Gedanken lesen konnte. Die verließen nämlich meistens sehr schnell den jugendfreien Bereich. Und je mehr er versuchte, es zu verhindern, desto schlimmer wurde es. So auch in diesem Moment.
„Klar...", nahm Ollie dieses Angebot selbst etwas verzögert an und sah ihn fast direkt wieder so verlegen an, als er die Tür wieder hinter ihnen schloss. „Ähm... Wie geht's denn deinem Auge?"
Die ersten drei Sekunden wusste er gar nicht, was sein Auge jetzt damit zu tun hatte, weil er es schon wieder vergessen hatte und sich in seinem Kopf gerade ganz andere Dinge abspielten. Das sollte er dringend in den Griff bekommen, sonst wurde das hier echt peinlich.
„Alles gut, ist nur eine Prellung und die bunten Farben gehen auch wieder weg", versicherte er Ollie also lieber, der immer noch dreinblickte, als habe er ihm sonst was angetan. So lange sie sein Auge nicht entfernen mussten, war es schon nicht so tragisch. Fast hätte er das gesagt, nur etwas verriet ihm, dass Ollie dann eher in Panik geraten, als beruhigt sein würde.

„Es tut mir echt leid, dass das passiert ist", entschuldigte Ollie sich noch einmal bei ihm. „Ich denk einfach nie nach."
Da kannte er noch jemanden. Der Flaschenwurf war für ihn wirklich nicht der Rede wert. Er hielt sowas aus und machte sich auch nichts aus sowas. Als Rennfahrer war man schließlich einiges gewöhnt und wie er ja bereits festhielt, konnte er auf Ollie auch nie richtig wütend sein. Insofern war das für ihn längst gegessen.
„Es ist ja nichts Schlimmes passiert. Ich fand es nur schade, dass du so schnell weg gewesen bist", sprach er also lieber etwas anderes an. Er war immer noch unsicher, aber Dennis hatte schon recht damit, ihm immer wieder zu sagen, dass das auf den Tisch musste, wenn der Eiertanz aufhören sollte.
„Ja, ich...", setzte Ollie etwas kleinlaut an, rieb sich verlegen den Nacken und das machte ihn in seinen Augen gleich noch um einiges niedlicher. Auf eine gewisse Art zumindest. Er wusste auch noch nicht so richtig, wie er Ollie am treffendsten beschreiben konnte. Da fiel ihm immer so viel auf einmal ein. „Manchmal weiß ich nicht, was ich sagen oder machen soll. So wie jetzt."

Ein Gefühl, welches ihm vertraut war und da schoss ihm durch den Kopf, dass er sowas nicht immer nur stumm für sich festhalten sollte, sondern mal kommunizieren sollte.
„Das kenne ich ziemlich gut", gab er also zu. Vielleicht konnte er es gerade besser verbergen, aber Ollie sah genauso nervös aus, wie er sich fühlte. Er wünschte, er könnte das Selbstvertrauen aus dem Sport mit in sein Privatleben nehmen. Das würde vieles leichter machen.
„Ja?", kam es nun fast hoffnungsvoll von Ollie und diese Augen konnten ihn wahnsinnig machen. Wie sollte man ihm denn widerstehen, wenn er einen so ansah? Wenn Ollie bloß wüsste, was er alleine damit schon bei ihm anrichtete. Nur, so lange er ihm das nicht sagte, konnte er es auch nicht wissen.
„Ja. Das geht mir immer bei einer Person so", tastete er sich also mal langsam vor und registrierte, dass Ollie irgendwie ein wenig enttäuscht aussah, als er das sagte. Hatte Dennis also die ganze Zeit recht? Das sollte ihn wohl nicht wundern. Immerhin hatte er öfter mal recht, nur... Es war ihm eben immer so unglaublich erschienen.
„Oh...", machte Ollie und das klang schon fast ein wenig verletzt. „Okay und... Bei welcher?" So wie er das fragte, rechnete er damit, dass jeder andere Mensch als Antwort in Frage kam, nur nicht er selbst und da hatte er wohl den Beweis, nach dem er immer gesucht hatte.
So würde Ollie nicht reagieren, wenn da nichts wäre.
Er wirkte traurig, so wie er sich immer fühlte, wenn er darüber nachdachte, dass Ollie und Jak zusammen sein könnten. Dann sollte er endlich ehrlich sein und...

„Bei dir."

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