Teil 1: Misforståelse | Frederik Vesti x Oliver Bearman

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Misforståelse
Part 1



Barcelona, Spanien
20. Mai 2022



Oliver



„Du guckst schon wieder zu auffällig da rüber."

Ertappt senkte er sofort den Blick und biss sich auf die Lippe.
„Mach ich gar nicht!" Natürlich wusste Jak es besser. Aber was sollte er denn sonst machen? Das war ihm schließlich schon peinlich genug, auch ohne, dass seinem Teamkollegen dauernd auffiel, was er machte.
In dieser Hinsicht war es mit Arthur leichter. Der war etwas älter und falls ihn solche Dinge interessierte, wusste er das deutlich besser zu verbergen als Jak. Viel wahrscheinlicher war allerdings, dass Arthur gar nichts auffiel, weil er generell nicht so viel von dem mitbekam, was mit dem eigentlichen Sport nichts zu tun hatte. Jak hingegen schien ihn lesen zu können, als sei er ein offenes Buch.
„Doch, machst du", stellte dieser auch unnötigerweise fest. War das wirklich schon wieder so offensichtlich? Er war sich so sicher gewesen, dass er es inzwischen besser im Griff hatte, aber weit gefehlt, wie es schien.
„Echt?", hakte er enttäuscht nach, wusste aber, dass Jak ihm da niemals Unsinn erzählen würde. Warum auch? Natürlich wäre dieses Wissen prima, um ihm eins auszuwischen, aber so war Jak einfach nicht.

„Ja", wurde ihm bestätigt.
„Verdammt, dann lenk mich ab!", forderte er ihn also auf. Wenn er schon so gut über alles Bescheid wusste, dann konnte er sich doch wenigstens nützlich machen und etwas tun, was ihn tatsächlich weiterbrachte. Im Paddock rumzustehen und Formel-2-Fahrer anzuschmachten, war schließlich keine schlaue Idee.
„Das funktioniert aber nie. Egal, wie oft du mich aufforderst. Ich glaub, du brauchst eine neue Strategie", offenbarte Jak ihm und lag damit mutmaßlich erneut goldrichtig. Das war ihm auch schon in den Sinn gekommen, nur wie er es auch drehen und wenden mochte, am Ende kam für ihn nichts Gutes dabei rum. Er glaubte nicht, dass irgendwas funktionieren würde und er wollte sich eben auch nicht komplett dumm anstellen.
Ganz davon abgesehen, dass die Situation ohnehin viel zu verfahren war, als dass er daran etwas ändern könnte, denn...
„Welche denn? Es ist doch aussichtslos. Guck dir die Zwei doch an", machte er Jak auf etwas aufmerksam, was man doch unmöglich übersehen konnte. Doch leider brachte es den anderen nur zum Grinsen, als dass was Hilfreiches dabei herumkam.
„Lieber nicht, sonst denken die noch, wir hecken was aus, um an ihre Cockpits zu kommen", warf Jak ein und sorgte lediglich dafür, dass er seine Unterlippe etwas weiter nach vorne schob und gar nicht begeistert über das alles war. Wieso musste Liebe denn etwas so Bescheuertes und Irrationales sein, was einem die ganze Stimmung verhagelte und einen nur von den Wichtigen Dingen ablenkte?
Er müsste sich gerade auf hundert andere Dinge konzentrieren. Konnte er aber nicht. Weil sein blödes Herz entschieden hatte, sich an jemand anderen zu verschenken und nur noch Chaos stiftete.

„Aber die sehen so glücklich aus", seufzte er auf.
Sahen sie wirklich. Fand er zumindest. Die lachten immer so viel miteinander und schienen Spaß zu haben. Spaß, den er auch so gerne hätte und zwar nur mit einer einzigen Person. Dem Dänen in ART-Diensten, der vor zwei Jahren selbst noch eins ihrer Formel-3-Cockpits bei Prema hatte und nun immer noch auffällig oft vor ihren Trucks rumhing und ausgerechnet mit Dennis reden musste.
„Dann solltest du dich für ihn freuen", zuckte Jak unbekümmert mir den Schultern und das stimmte ja auch. Es war gemein, ihm sein Glück mit Dennis nicht zu gönnen, von dem er sehr stark ausging, dass er es bei ihm gefunden hatte. Wenn man jemanden liebte, dann sollte man ihm nur das Beste wünschen. Nur, dass man eben wollte, dass man es selbst war und nicht irgendwer anders.
„Ja. Kann ich aber nicht. Ich will das auch", gestand er Jak also, warum das so schwer für ihn war. Dabei hatte er gar nichts gegen den Norweger, der ihr Team aktuell in der Formel 2 vertrat. Im Gegenteil.
„Bist du dir sicher, dass die nicht einfach nur Freunde sind?", wollte Jak wissen. Eine Frage, die er ihm nicht zum ersten Mal stellte und selbstverständlich würde er sich da auch sehr gerne irren. Doch für ihn sah es ganz danach aus. Wieso waren die sonst immer so vertraut miteinander? Oder bildete er sich das ein? Nein, das war sicherlich sein Wunschdenken, was sein Bauchgefühl wieder ausbooten wollte.

„Da muss mehr sein", hielt er also an seiner Theorie fest.
„Woran machst du das fest? Die tun doch dasselbe wie wir und wir sind ja auch nicht zusammen", verstand Jak allerdings nicht so richtig, wie er auf seine Vermutung kam. Er verdrehte ein wenig die Augen, auch wenn er nicht wirklich genervt von ihm war. Er wusste eben nur nicht so genau, wie er sowas in Worte fassen sollte.
„Du stehst ja auch nicht auf Jungs", entgegnete er einfach, in der Hoffnung, das Thema damit auch sofort wieder beenden zu können. Das setzte ihm nur wieder Bilder in den Kopf, die sehr unangebracht waren, wenn man keine Liebesbeziehung zueinander hatte.
„Du sagst das immer so vorwurfsvoll", bemerkte Jak.
„Weil du viel zu gut aussiehst, um nicht schwul zu sein", behauptete er und manchmal könnte er sich selbst dafür schlagen, dass sein Mund so viel schneller agieren konnte, als sein Hirn. Das hatte er so überhaupt nicht sagen wollen.
„Deine Komplimente sind merkwürdig", lachte Jak ihn dafür allerdings nur gutmütig aus.
Was war er froh, dass der andere davon wirklich nie eine große Sache machte. Nicht jeder heterosexuelle Mensch schaffte es, mit jemandem befreundet zu sein, der da anders tickte. Aber Jak hatte sich daraus überhaupt nicht viel gemacht. Er hatte nur wissen wollen, ob deswegen irgendwas zwischen ihnen stand, er hatte versichert, solche Gefühle nicht für ihn zu haben und alles war beim Alten geblieben.

„Mein ganzes Leben ist merkwürdig", stellte er geknickt fest.
„Da widerspreche ich dir nicht. Naja, aber vielleicht musst du ihn einfach mal direkt ansprechen", suchte Jak weiterhin nach einer durchaus vernünftigen Lösung für sein Problem. Das war auch nett von ihm. Er könnte ihm ebenso gut mitteilen, dass er davon genug gehört hatte. Verstehen könnte er das sogar.
„Bist du irre? Was soll ich denn sagen?", platzte es allerdings aus ihm heraus, als hätte Jak ihn dazu aufgefordert, nackt über die Rennstrecke zu laufen. Wobei er überzeugt war, dass das, was Jak ihm hier vorschlug, nicht weniger peinlich für ihn enden würde.
„Also, als wir uns getroffen haben, wusstest du auch irgendwas zu sagen", kam es weniger hilfreich von Jak zurück. Wenn man unbefangen war, war sowas schließlich auch sehr viel leichter, als wenn man ein sehr ausgeprägtes und verrücktspielendes Kopfkino hatte.
„Von dir wollte ich ja nix."
„Wo ist denn da der Unterschied? Du musst ihm doch nicht gleich sagen, dass du was von ihm willst."
Gut, da war natürlich was dran. Es wäre auch sehr unangebracht, einfach hinzurennen und sofort mit der Tür ins Haus zu fallen. Nur, wie stellte Jak sich das vor? Er bekam in der Gegenwart seines Schwarms doch eh nie ein vernünftiges Wort heraus. Nur irgendeinen Blödsinn, über den der andere dann lachte und er selbst mit dem Gefühl zurückblieb, nicht so wahr- und ernstgenommen zu werden, wie er das gerne wollte.
„Und was sagt man zu einem Typ, den man nicht kennt und der in einem anderen Team und einer anderen Rennserie fährt?", fragte er Jak also ein wenig verzweifelt. Wenn der ihm sowas riet, könnte er ja mal ein Beispiel für ihn parat haben, jedoch...

„Das weiß ich doch nicht. Ich mach sowas ja nie. Aber gibt's nicht Gerüchte, dass er nächstes Jahr wieder bei Prema fährt?", erinnerte Jak ihn und davon hatte er selbstverständlich auch schon gehört. Wobei es noch viel zu früh in der Saison war und das wohl noch sehr stark vom Verlauf der Saison abhängen würde.
„Ja, mit seinem Dennis zusammen", grummelte er sich zurecht, wurde aber trotzdem gehört. Er wollte nicht unfair sein. Dennis hatte ihm wirklich nie was getan. Im Gegenteil. Der war ein äußerst ruhiger und freundlicher Mensch.
„Das ist doch gar nicht fix. Kann doch sein, dass sie dich in die Formel 2 holen", hatte Jak da ein ganz anderes Szenario im Kopf, nur was sollte ihm das denn bitte weiterhelfen?
„Toll und dann fahr ich mit Dennis oder was?" Das wäre doch der absolute Reinfall für ihn. Nicht, weil man mit dem nicht gut zurechtkommen konnte, sondern weil er dann im schlimmsten Fall noch deutlicher vor Augen hatte, was die Zwei teilten und er selbst nicht haben konnte. Das wäre der absolute Horror.
„Der ist doch super nett und umgänglich", sah Jak ganz bewusst nicht, wo dabei für ihn das Problem war. Er wünschte, er könnte die Dinge auch so locker und entspannt sehen, wie sein Teamkollege es tat. Das würde auch eine ganze Menge leichter machen für ihn.

Er fuhr sich mit einer Hand durchs Haar.
„Ja. Aber wahrscheinlich mit meinem Traummann zusammen", lautete sein Einwand, der nun Jak aufstöhnen ließ.
„Ollie!"
„Jak!"
Was sollte er denn machen?
„So kommst du echt nicht weiter. Außerdem guckt der selber in deine Richtung", wurde ihm mitgeteilt und das konnte sicherlich nicht sein. Er wollte sich nicht reinlegen lassen, also stritt er es lieber direkt ab.
„Macht er nicht", entschied er, doch Jak blieb beharrlich und überzeugend.
„Doch!" Und das ließ ihn zweifeln und verleitete ihn dazu, sich doch wieder in seine Richtung zu drehen.
„Echt?" Und tatsächlich trafen sich ihre Blicke einen Moment. Die offenen, blauen Augen, die immer ein bisschen so wirkten, als würden sie von ganz alleine strahlen und... „Oh, Scheiße..." Er wandte sich hektisch ab, kniff die Augen zusammen, weil der Blickkontakt viel zu lange angehalten hatte und er sich sehr sicher war, dass er sehr dümmlich gegrinst hatte oder sowas. Wie peinlich! „Du wolltest doch nur, dass wir uns ansehen!", warf er Jak auch sofort vor. So ein Mist!
„Wenn's hilft", zuckte der nur unbekümmert mit den Schultern und schmunzelte in sich hinein, völlig ungeachtet der Tatsache, dass er selbst ihn dafür böse anfunkelte.
„Das hilft überhaupt nicht! Fuck!", entschied er und sah lieber zu, dass er hier wegkam, bevor die ganze Sache am Ende noch peinlicher wurde.

„Ollie! Weglaufen hilft dir nicht!"


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