Teil 4: Disgrace | Max Verstappen x Christian Horner

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Disgrace


Monaco
26. Mai 2018



Christian



„So eine peinliche Vorstellung will ich von dir nie wieder sehen."

Jos war wieder einmal in Bestform und er hatte sich das Ganze schon denken können, als Max' Crash passiert war. Die Ähnlichkeit zu jenem aus dem letzten Jahr war nicht zu leugnen und das hatte ihn eine gute Position im Qualifying gekostet. Natürlich war es ungünstig, ausgerechnet in Monaco, wo es so gut wie unmöglich war zu überholen, ein Auto auf dem ersten und eins auf dem letzten Platz stehen zu haben. Aber es war nicht mehr zu ändern.
Da er Jos Schimpftirade schon gehört hatte, bevor er um die Ecke gebogen war, blieb er lieber mal stehen. Er versuchte nach wie vor, Helmut und Didi davon zu überzeugen, dass Jos' aufgeladenes Gemüt an der Rennstrecke für Max nicht hilfreich war. Jos verunsicherte seinen Sohn mehr, als er ihm half und er könnte noch so viel besser sein, wenn das endlich aufhören würde. Es konnte doch nicht so schwer sein, diesen Kerl zu entfernen. Max war volljährig und wenn der Jos nicht sehen wollte, musste er es nicht. Aber Helmut und Didi waren einfach zu begeistert von diesem Idioten, als dass sie ihm mal Bescheid stoßen würden. Er hätte damit kein Problem, aber er traf diese Entscheidungen leider nicht alleine.
Es fiel ihm generell schwer, sich zurückzuhalten. Nach all den schrecklichen Dingen, die Max ihm über seinen Vater erzählt hatte, war es eine Herausforderung, nicht jedes Mal auf ihn losgehen zu wollen. Aber es wäre nicht klug, sich körperlich mit dem anzulegen. Nicht nur, weil Jos darin geübt zu sein schien. Das wäre ihm noch egal. Der Rattenschwanz an Konsequenzen und Folgen, die das nach sich ziehen würde, war das Problem.

„Es tut mir leid. Ich kann es mir doch auch nicht erklären", hörte er Max unglücklich über sich selbst und sein Qualifying antworten.
Max machte sich selbst immer die größten Gedanken und setzte sich wahnsinnig unter Druck. Es brauchte Jos' gehaltloses Gerede nicht, um ihm zuzusetzen. Das anstehende Meeting würde für Max schon blöd genug werden, denn natürlich hatte Helmut auch seine ganz spezielle Art, seinen Fahrern mitzuteilen, was er von ihnen erwartete. Zweimal denselben Fehler zu machen war so ziemlich das Schlimmste, was man sich bei Helmut erlauben konnte.
„Ich dir schon. Das war deine eigene Blödheit!", fuhr Jos seinen Sohn allerdings weiterhin an. Was glaubte dieser Schwachkopf eigentlich, was das helfen würde? Es war nun einmal passiert und davon, dass man auf ihn einredete und ihn anschrie, wurde der Wagen leider auch nicht wieder heile. Das würden die Mechaniker schon bewerkstelligen. Selbstredend konnte man mit Fahrern nicht immer nur freundlich reden, manchmal musste man auch etwas strenger und bestimmter sein, nur sah er bei Max überhaupt keinen Anlass dafür.
„Es wird ja nicht wieder vorkommen", versicherte Max. Das war schwer auszuhalten. Das war alles so unnötig. Ob es wieder vorkommen würde oder nicht, spielte doch gar keine Rolle. Max gehörte zu den wenigen jungen Fahrern, die sehr hart an sich arbeiten konnten, sich Kritik zu Herzen nahmen und immer wieder versuchten, an ihren Fehlern zu wachsen. Mehr konnte man doch gar nicht verlangen und trotzdem gaben so viele Leute ihm immer wieder das Gefühl, nicht gut genug zu sein. Das tat ihm nicht gut.

„Das hast du mir letztes Jahr auch erzählt. Vielleicht strengst du dich auch bei Zeiten mal wieder an", polterte Jos weiter.
Augenscheinlich hatte der sich so richtig in Rage geredet. Es fiel ihm schwer, nicht einzugreifen, nur er brauchte diese Eindrücke. Je öfter Jos solche Dinge machte, desto eher fand er möglicherweise noch Argumente, den endlich los zu werden. Das war schließlich schwer genug. Er durfte es zwar nicht aussprechen, aber er stellte sich durchaus öfter die Frage, wer von den Drei wem am tiefstem im Hintern steckte. Jos, Helmut und Didi trieben ihn aktuell gleichermaßen in den Wahnsinn.
„Das mache ich doch. Es war halt ein dummer Fehler-", wollte Max begründen und hörbar nur raus aus dieser unangenehmen Situation. Max hatte ihm erzählt, wie wenig es ihm brachte, gegen seinen Vater anzureden. Dass das immer nur in Gewalt endete. Dabei wäre es wohl ein leichtes für Max, seinen Vater eben erneut zu solchen Taten zu treiben, sich das attestieren zu lassen und mit rechtlichen Schritten gegen ihn vorzugehen.
Aber Max fürchtete, dass die Öffentlichkeit davon erfuhr. Jos hatte kein Geheimnis aus seiner harten Erziehung gemacht, nur die Misshandlungen ließ er selbstverständlich aus. Und von denen sollte niemand etwas wissen. Das wollte Max genauso wenig und er konnte es verstehen. Eine Welt, in der alles was man tat unter die Lupe genommen und beurteilt wurde, war schwer für Außenstehende zu begreifen. Er konnte Max zu keinem Schritt drängen, er konnte ihm nur zur Seite stehen, für was auch immer er sich entschied.

„In der Tat. Und Ricciardo kann jetzt wieder über dich Lachen", unterbrach Jos ihn harsch.
Das nächste Thema, denn dass es Jos nicht gefiel, wie viel Spaß Daniel und Max miteinander hatten, war ihm auch nicht entgangen. Man könnte manchmal fast meinen, dass Jos körperlich leiden musste, wenn er Max mal unbeschwert und glücklich sah. Sowas würde er nie verstehen. Sein eigener Sohn war jetzt etwas über ein Jahr und er könnte sich niemals vorstellen, so mit ihm umzuspringen. Auch, wenn seine viele Arbeit und die damit verbundene permanente Abwesenheit ihm sicherlich auch keinen Vater-des-Jahres-Preis einbringen würde.
„Daniel lacht über jeden. Das ist bei ihm nicht gehässig gemeint", begründete Max und das war vollkommen richtig. Keiner hier hatte den Eindruck, dass Daniel sich über irgendwen lustig machte. Er war generell ein Mensch, der das Leben lieber leichtnahm, sich nicht zu viele Gedanken machte und neben all dem Ernst auch gerne etwas Spaß hatte. Max wurde besser und lockerer, konnte mit den Medien besser umgehen und wirkte längst nicht mehr so angespannt, wie noch vor zwei Jahren. Das lag alles an Daniel und er fürchtete schon, wohin das führte.
Jos schoss schon seit einiger Zeit gerne gegen Daniel. Nicht öffentlich, aber er sagte Helmut immer wieder, dass dieser „Pausenclown" Max nur schaden konnte und auch bei Didi probierte er immer wieder, Daniel in Misskredit zu bringen. Eine Entwicklung, die ihm gar nicht gefiel. Er wusste, dass Jos schon an Daniils Rauswurf nicht ganz unschuldig war. Es war schon erstaunlich, wie dieser Kerl sich überall einzeckte und Leute von seinen Vorstellungen überzeugen konnte. Das durfte er nicht unterschätzen. Er wollte nicht, dass Daniel der nächste Fahrer war, der das Team verlassen musste.

„Verdammt noch mal, Max! Hör auf deine Fahrerkollegen auch noch zu verteidigen! Willst du Weltmeister werden oder Mitarbeiter des Monats?", regte Jos sich auch über diese Antwort seines Sohnes wieder maßlos auf.
„Beides wäre nicht schlecht", konterte Max allerdings ziemlich trocken, was ihn durchaus zum Schmunzeln brachte. Max könnte so viel mehr sein und erreichen, wenn Jos ihn nicht immer so nieder machen würde. Der war der Meinung, dass Max diese harte Hand brauchte, um keinen Blödsinn zu machen und sich zu fokussieren. Möglicherweise war es eine Zeit lang eine nachvollziehbare Strategie gewesen und der Erfolg gab Jos ein wenig recht.
Dennoch war er selbst überzeugt davon, dass es auch weniger drastisch gegangen wäre. Max war nicht dumm und er hatte sich die Ratschläge zur Disziplin sehr zu Herzen genommen. Alles, was über die väterliche Strenge hinausgegangen war, war viel zu viel und schadete Max mehr, als es ihm half. Die richtigen Anlagen waren längst da und kein Zwanzigjähriger brauchte noch einen Vater, der sich in dessen Leben einmischte.
„Junge...", mahnte Jos ihn einmal mehr und hörte sich schon wieder verdächtig so an, als würde er jeden Moment die Beherrschung verlieren und Max angehen, doch der ruderte lieber wieder zurück, bevor das alles noch schlimmer ausging.
Er seufzte. Das war doch kein Zustand. Das musste endlich aufhören. Selbst, wenn Max nichts mehr davon erzählte, dass Jos ihn auch hier noch missbrauchte oder misshandelte, aber dass er es früher getan hatte, hinterließ spuren bei Max, die nicht zu leugnen waren.

„Schon gut. Ich hab es doch begriffen. Daniel ist der Feind und alle anderen auch. Ich rede mit keinem und mache einfach meinen Job", ergab Max sich den Anweisungen seines Vaters einmal mehr.
Es war so schwer zu begreifen, dass Max auf der Rennstrecke immer so kompromisslos war, dass er all das abrufen konnte, immer auf das beste Ergebnis fokussiert war und sobald er seinem Vater gegenüberstand, regelrecht klein und leise wurde. Der Kontrast war so extrem, dass es wahnsinnig verstörend wirkte, wenn man es selbst mal erlebte. Aber nach allem, was Max seinetwegen durchgemacht hatte, wunderte ihn das kein Stück.
„Ganz genau das wirst du tun. Und wenn du dir noch mal so eine Scheiße erlaubst, dann kriegen wir ein ernstes Problem miteinander. Du solltest inzwischen Weltmeister sein, also fahr auch wie einer", schlug Jos noch einmal verbal zu und ließ Max dann einfach stehen. Wie gut, dass sämtliche Mitarbeiter gerade genug zu tun hatten und das hier unbemerkt geblieben war. Eine Demütigung vor dem Team war das Letzte, was Max brauchen konnte.
Der stand einfach nur da, ließ die Schultern hängen und war ganz in seine Gedanken versunken. Das war ein Bild, welches ihm schon sehr oft untergekommen war. Eigentlich hatte er selbst überhaupt keine Zeit. Er kam jetzt schon viel zu spät, aber das musste jetzt egal sein. Er konnte nicht an Ma vorbeigehen und so tun, als wäre alles in Ordnung. Auch, wenn er das jetzt nicht vertiefen konnte, aber sie konnten heute Abend reden.


„Mach dir kein Kopf", riet er Max also ohne Umschweife, als er kurz eine Hand auf seiner Schulter platzierte, um auf sich aufmerksam zu machen.
Zumindest konnte ihn das für einen Moment aus seinen Gedanken holen, in die er nach der Ansage seines Vaters versunken war. Als Gespräch konnte man das ja wieder einmal nicht bezeichnen. Er fragte sich immer öfter, ob es mehr gab, was er für Max tun könnte. Einfach nur da sein, ein offenes Ohr haben und versuchen, Jos irgendwie davon abzuhalten, ständig zu den Rennen aufzukreuzen, erschien ihm gemessen an allem, was Max durchgemach hatte, ziemlich wenig zu sein. Er würde gerne mehr für ihn tun.
Aber er wusste auch genau, welche Antwort er von Max bekäme, wenn er ihn danach fragen würde und das ging nun einmal nicht. Das Einzige, was Max tatsächlich zu wollen schien, konnte er ihm gar nicht geben und er konnte auch nicht nachvollziehen, aus welchem Grund er das unbedingt wollte. Aus seiner Sicht machte es keinen Sinn, dass Max so fühlte. Auch, wenn ihm selbstverständlich bewusst war, dass Liebe und Sinn so gute Teamplayer wie Alonso und Hamilton waren.
Trotzdem hoffte er, dass Max sich so langsam mal damit abfinden könnte, dass das mit ihnen nichts werden konnte. Er litt doch unter dieser Situation zusätzlich. Er wünschte ihm jemanden, der zu ihm passte, mit einem geringeren Altersunterschied und bei dem Max endlich mal bekommen würde, wonach er sich verständlicherweise sehnte.

„Mach ich aber", gab Max zu.
Das war schon ungewöhnlich. Normalerweise versuchte Max solche Auseinandersetzungen wegzulächeln oder zuckte mit den Schultern und tat es ab. Dass es ihn so beschäftigte zeigte, dass es höchste Zeit war, etwas zu unternehmen. Er würde das erneut mit Helmut und Didi besprechen und mehr Druck machen. Es ging so einfach nicht. Max brauchte dringend etwas mehr Ruhe. Das war ein Rumgezerre an ihm, seit er ins Team geholt worden war.
Eigentlich schon seit er in diese Rennserie gekommen war. Jeder versuchte ihm zu sagen, was er tun sollte, wie er sich verhalten musste. Das alles verunsicherte Max noch sehr viel mehr. Und dieser Fehler im Qualifying wäre womöglich auch nicht passiert, wenn man ihm mal ein bisschen Raum für sich selbst lassen würde. Wie sollte er abschalten, wenn ständig irgendwas los war?
„Heute Abend hab ich Zeit." Er würde ihm lieber etwas Aufbauendes sagen, nur saß ihm die Zeit im Nacken. Max verstand das natürlich, nur bedeutete es nicht, dass es nicht oft schwer für ihn war. Allerdings schien er sich auch zu wundern, so wie er nun die Stirn runzelte.
„Ich denke, du hast samstags noch Besprechungen?" Dass er sich das alles immer so merkte. Er konnte keinen Fahrer benennen, der je behalten hätte, wie sein Terminkalender aussah. Er verlor ja selbst ständig den Überblick. Max war eben vieles, aber nicht gewöhnlich.

„Diesen Samstag nicht."
Das stimmte natürlich nicht, aber die würde er diesmal absagen. Er bildete sich durchaus ein, dass er ein gutes Gespür dafür hatte, wann seine Fahrer ihn brauchten und wann nicht. Max war selbstverständlich ein besonderer Fall, nur diese Zeit hatte er sich schon immer genommen. Für Max kam es nur häufiger vor.
„Du musst das nicht wegen mir", wurde ihm entgegnet. Er hatte geahnt, dass Max das sagen würde. Es sprach für ihn, seine Probleme selbst lösen zu wollen, nur die Sache mit seinem Vater war eben kompliziert und so lange sie den nicht loswerden konnten, war es auch keine Schande, dass ihn solche Auseinandersetzungen mental belasteten.
„Um neun bin ich mit allem fertig." Er ließ Max lieber gar nicht erst weitere Einwände finden. Er wünschte, er hätte gerade ein bisschen mehr Zeit für ihn, aber er musste wirklich los. Aber wenigstens sah Max schon ein kleines bisschen zuversichtlicher aus, als eben. Das musste ihnen erst einmal reichen. Heute Abend hatten sie dann für alles Zeit.
Es fiel ihm trotzdem schwer, ihn hier stehen zu lassen. Wenn er immer tun könnte, was er wollte... Doch das wäre eine schlechte Idee. Er durfte nicht so viel an das denken, was Max wirklich von ihm wollte. Das war nicht gut für seine Ehe, für seine Kinder und seine Selbstbeherrschung.

Er hoffte nur, dass Max den Abend nicht erneut nutzen wollte, um ihn vom Gegenteil zu überzeugen, denn damit würde er es ihnen beiden nicht leichtmachen.


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