Gute Vorsätze

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Am nächsten Morgen fühle ich mich immer noch nicht ganz fit und quäle mich zur Arbeit. Doch auch die wenigen Kollegen, die heute Arbeiten, sehen bei weitem nicht fit aus.

Nadja, unsere studentische Hilfskraft, sieht noch bleicher im Gesicht aus, als sonst und gesteht, dass die Freunde, die gerade bei ihr zu Besuch sind, nicht nur an Silvester, sondern auch noch gestern gefeiert haben und ihre Standfestigkeit erfolgreich auf die Probe gestellt haben.

Tobias, mein Kollege, hatte wohl weniger das Problem, zu viel getrunken zu haben, sondern hat den gestrigen Tag wohl damit verbracht, seiner 14-jährigen Tochter zu erklären, warum er ein Problem damit hat, sie mitten in der Nacht mit einer Alkoholvergiftung aus dem Krankenhaus abholen zu dürfen.

In den kommenden Tagen werden alle etwas munterer und trotzdem sind wohl alle froh, als es Freitag mittag ist.

Ich habe mich mit Lilly auf einen Kaffee verabredet und so sitzen wir eine Stunde später bei Kaffee und Kuchen in einem Café und resümieren die Silvesterparty. Ich erzähle ihr von dem Teil des Abends, der ihr erspart geblieben ist und sie von der Nacht mit Nick, den sie heute Abend wieder sehen wird.

"Das klingt ja, als ob die Party für dich letztendlich ganz gut war." stelle ich fest.

Sie lächelt. "Ich denke schon. Aber ich weiß noch fast nichts über ihn, also will ich mich nicht zu früh freuen. Sag mal, was ist das mit Ben und Claire eigentlich? Hast du verstanden, warum sie ihn so unter ihrer Fuchtel hat?"

"Nein, nicht wirklich. Ben gibt das natürlich nicht zu, dass es so ist, also wird er erst recht nicht darüber nachdenken, warum er das mit sich machen lässt."

"Gerade Ben, der sich sonst von niemandem sagen lässt, was er zu tun hat." Sie schüttelt den Kopf.

"Er will sie seinen Eltern vorstellen."

"Oha, denkst du, das geht gut?"

"Auf keinen Fall. Aber wenn ich jetzt versuche, ihm das auszureden, bin ich die Böse. Das soll er mal schön selbst rausfinden, dass das nicht funktioniert. Und dann sind wir eben für ihn da, wenn er es rausgefunden hat."

"Das wird wohl das Beste sein. Denkst du, ich sollte ihm dann meine Break-Up-Playlist geben?" fragt Lilly lachend.

"Wenn du eine hast, mit der man in Selbstmitleid versinken kann, auf jeden Fall. Das ist ziemlich sein Ding."

"Habe ich tatsächlich. Aber mal ein anderes Thema: hast du Vorsätze für dieses Jahr?"

"Du meinst, mehr Sport, gesündere Ernährung, weniger Alkohol? Auf keinen Fall."

Lilly lacht. "Nein, ich glaube, über die Illusion, dass sowas klappt, sind wir schon länger hinweg. Ich meine eher 'größere' Dinge. Ich will mir dieses Jahr zum Beispiel einen neuen Job suchen. Mein jetziger ist ja ganz schön und gut, aber ich will neue Herausforderungen. Und was du so erzählst, wie das ist, so ein bisschen mehr Verantwortung zu haben, das reizt mich auch."

"Wow, das ist ein toller Vorsatz, ich drück dir die Daumen, dass das klappt! Aber ich bin mir sicher, dass es da draußen viele Chefs gibt, die eine Mitarbeiterin wie dich suchen!"

"Und ich will ein Piercing. Oder ein Tattoo."

"Okay? Hast du nicht mal gesagt, dass du sowas unnötig und dumm findest?"

"Sven mochte das nicht. Und ich dachte eben, ich bin zu vernünftig dafür. Aber ein bisschen Unvernunft ist manchmal ja nicht schlecht, oder?" Sie zuckt entschuldigend mit den Schultern.

"Da hast du Recht. Aber ein Piercing oder ein Tattoo? Das heißt wohl, dass du dir noch nicht so viele Gedanken darüber gemacht hast?"

Lilly lacht. "Nein, das heißt eher, dass ich im Moment beides gerne hätte und gleichzeitig Angst habe, dass beides zu viel ist."

Mina IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt