Kleider machen Leute

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Am Freitag endet das letzte Meeting des Tages unerwartet früh und ich stehe vor der Entscheidung, ob ich noch eine Stunde arbeite oder lieber noch einen Kaffee in der Stadt trinke, bevor ich mich mit Lilly treffe.

Ich entscheide mich für den Kaffee und verabschiede mich von den Kollegen. Endlich Wochenende! Draußen ist es zwar eisig kalt, doch die Sonne lockt mich nach draußen. Für die Demo später bin ich sowieso warm angezogen. Ich hole mir einen Kaffee to go und bereue ein bisschen, dass mein Thermobecher so gut isoliert, da der Kaffee zwar wunderbar warm bleibt, meine Hände aber durch das Metall des Bechers noch kälter werden. Ich gehe in den nahegelegenen Park, lehne mich an die hüfthohe Mauer zum anliegenden Friedhof und stelle den Becher neben mich auf die Mauer. Ich halte mein Gesicht in die Sonne, schließe meine Augen und lausche den Geräuschen des Parks. Kinder, die trotz der Kälte auf dem Spielplatz spielen, knirschende Schritte auf den Kieswegen und leise, für mich unverständliche Gespräche der Menschen, die in ein paar Metern Entfernung an mir vorbeigehen. Plötzlich verstummt das Knirschen, das ich eben noch ganz in der Nähe gehört habe.

Ich öffne die Augen, blinzle gegen die Sonne und sehe eine Frau mit Kinderwagen auf dem Weg vor mir, die sich über den Wagen beugt. Ich nehme einen Schluck Kaffee und als mein Blick danach wieder auf die Frau fällt, kommt diese mit dem Kind auf dem Arm auf mich zu. Mist, ich will doch nur in Ruhe die Sonne genießen!

Ich überlege kurz, einfach davon zu gehen, doch dann erkenne ich, dass es keine Unbekannte ist, die irgendwas von mir will, sondern Susi. Scheiße, wie hat sie mich hier gefunden? Oder ist das etwa wirklich ein Zufall?

Sie lächelt mich abschätzig an. "Na, wen haben wir denn da?"

"Hallo." Mein Hirn produziert alle möglichen Szenarien, was sie von mir will und ich spüre, wie mein Körper sich anspannt.

"Du weißt, wer ich bin, oder?" fragt sie in einem freundlich-lockeren Ton.

"Susi. Du hast dich mir bei Wagner in der Firma vorgestellt."

"Stimmt. Ich habe gehört, du arbeitest da gar nicht mehr?"

"Richtig."

"Wegen Marco?"

"Wegen meiner Karriere." Ich will mich nicht vor ihr rechtfertigen, nichts erklären.

"Wie läuft es bei der Firma Albrecht? Hat ja eine guten Ruf."

Sie weiß also, wo ich arbeite.

"Gut, danke. Die Kollegen sind toll."

Ohne ihren netten Plausch-Ton zu verlieren, fragt sie: "Und da lässt du dich dann auch vom Teamleiter ficken?"

"Kommt darauf an, wie man's sieht. Ich bin die Teamleiterin."

"Hat Marco dann eine neue Studentin, die er sich halten kann?"

"Soweit ich weiß, hält sich Marco keine Menschen. Und du kennst doch sein Team."

"Naja," sie zuckt mit den Schultern, "wenn er keine neue Studentin hat, wird er wahrscheinlich wieder anfangen, Schwänze zu lutschen."

Ich bin sprachlos, wie sie über Marco redet.

Susi ergänzt: "Du weißt, dass er eigentlich auf Männer steht?" Das Baby zappelt und Susi ist kurz abgelenkt.

Jede mögliche Reaktion, die mir auf ihre letzten zwei Sätze einfällt, erscheint mir zu defensiv. Diese Abschätzigkeit gegenüber Marco Sexualität macht mich wirklich wütend. Wie kann man das gegen einen Menschen verwenden wollen?

Als Susi sich mir schließlich wieder lächelnd zuwendet und nochmal fragt: "Hat dir das Marco nicht gesagt, dass er gerne Schwänze lutscht?", vergesse ich, dass ich mich zurückhalten wollte und ihr keine Angriffsfläche liefern wollte.

Mina IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt