Verantwortungsgefühl

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Als ich am Montag ins Büro gehe und Sarahs aufgeräumten Schreibtisch sehe, wird mir zum ersten Mal wirklich bewusst, dass ich ab heute alleine für das Team verantwortlich bin. Ja, ich weiß, ich wollte mehr Verantwortung. Trotzdem überrollt mich eine kurze Welle der Panik, bevor mich Max aus meinen Gedanken reißt.

„Na, wie fühlt man sich so als Alleinherrscherin?" will er scherzhaft wissen.

„Um ehrlich sein, ich weiß nicht so recht." gestehe ich.

„Ach, du machst das schon. So wie Sarah von dir geschwärmt hat und so, wie du mit den Kollegen klar kommst, bin ich mir sicher, dass du das mit links machst. Und die letzten Monate gab es ja auch keine Probleme. Komm, wir trinken einen Kaffee. Ich habe eine neue Rösterei entdeckt und will wissen, was du von den Bohnen hältst. Das war sonst Sarahs Job." er grinst mich an.

Ich folge ihm in die Küche und während wir den wirklich guten Kaffee trinken, entspanne ich mich etwas. Mein erstes Team-Meeting, das ich alleine leite läuft auch gut und am Ende des Tages fühle ich mich tatsächlich fast so, als ob ich wirklich für die Arbeit qualifiziert wäre, die ich mache.

Nach der Arbeit gehe ich schwimmen und gönne mir dann als Belohnung Sushi.

Auch die kommenden Tage laufen gut und so stehe ich am Mittwoch Abend gut gelaunt mit Wein, Trauben und Chips vor Lillys Tür.

Auch Lilly hat gute Laune. Sie zeigt mir die Einladung zum Vorstellungsgespräch, die heute in ihrer Post war.

Sie erzählt mir von der Stelle und denkt laut darüber nach, ob es zu krass ist, sich auf eine leitende Position zu bewerben.

"Sieh's mal so" rate ich ihr, während ich den Wein öffne "wenn das Institut dir den Job zutraut, wirst du ihn wohl machen können."

"Hm, du hast Recht. Und jetzt einen Rückzieher zu machen, wäre schon irgendwie blöd."

"Ja, das wäre es. Du kannst immer noch ablehnen, wenn du den Job angeboten bekommst. Aber erstmal würde ich an deiner Stelle das Vorstellungsgespräch wahrnehmen und schauen, wie das auf dich wirkt."

Wir stoßen auf die Chance und den Abend an und Lilly erzählt von den weiteren Stellen, auf die sie sich beworben hat.

Wir stellen fest, dass wir beide noch nichts gegessen haben und korrigieren diesen Missstand mit einer Bestellung beim Italiener.

Nach dem Essen meint Lilly: "So, wenn wir heute noch deine Kissen nähen wollten, sollten wir mal anfangen." Bald darauf sitzen wir auf dem Wohnzimmerboden und sind umgeben von Stoff, Polstern, Nadeln, Linealen und Schneiderkreide.

Lilly hat alles gut vorbereitet und schon eine Stunde später liegen vor uns exakt zugeschnittene und markierte Stoffstücke und Lilly packt ihre Nähmaschine aus. Sie leitet mich geduldig an, die Stücke richtig zusammenzunähen und eine weitere Stunde später ist sie mit dem Ergebnis zufrieden.

Wir stopfen die zwei vorbereiteten Schaumstoff-Quader in die Stoffhüllen und ich halte zwei schwarze Auflagen in den Händen, die erstaunlich professionell aussehen. Lilly nimmt mir eine aus der Hand, lässt sie auf den Boden fallen und fordert mich grinsend auf: "Knie dich hin."

Ich lache und bedanke mich bei Lilly für die tolle Arbeit, doch sie lässt nicht locker. "Knie dich hin, oder ich sage es Marco." erklärt sie mit gespieltem Ernst.

Ich gebe ihrer Aufforderung nach, erkläre aber: "Ich muss nicht jedem gehorchen. Das Privileg hat nur Marco. Aber weil du es bist..."

Ich knie auf dem Kissen und sehe zu Lilly auf.

Diese grinst weiterhin: "Und, bequem?"

Ich stehe wieder auf. "Wunderbar, vielen Dank!"

Ich verspreche Lilly, ihr Bilder von dem Tritthocker mit den Kissen zu schicken und verabschiede mich von ihr. Es ist später, als beabsichtigt und schließlich sehen wir uns sowieso übermorgen wieder.

Mina IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt