Geschwisterliebe

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Am Samstag Abend bin ich nervös, wie schon lange nicht mehr, als ich an Marcos Tür klingle.

Er gibt mir einen flüchtigen Kuss und bittet mich dann ins Wohnzimmer. "Komm rein, das ist Moritz, mein kleiner Bruder."

'Klein' bezieht sich in dem Fall offensichtlich nicht auf die Körpergröße oder ähnliches, Moritz ist einige Zentimeter größer als Marco hat eine festere Statur und kurz geschorene Haare, sieht seinem Bruder aber ansonsten ziemlich ähnlich.

"Hallo, ich bin Mina." stelle ich mich vor.

"Mina! Schön, dich kennenzulernen." er wendet sich Marco zu: "Du hast ja gar nichts gesagt! Du weißt, was Mama sagen würde?"

Marco verdreht die Augen und schüttelt den Kopf. "Du sollst Mina nicht verschrecken, sondern dich freuen, dass du sie kennenlernen darfst."

Moritz zuckt mit den Schultern und lächelt mich freundlich an, doch ich bin neugierig. "Von Dingen, die Mütter sagen, lasse ich mich grundsätzlich nicht abschrecken."

Marco sieht Moritz warnend an, doch der erklärt: "Unsere Mutter ist davon überzeugt, dass erfolgreiche Beziehungen in der Familie Schuster nur funktionieren, wenn alle Vornamen mit M beginnen. Wie bei unseren Eltern. Marietta und Manfred. Das war bei Susi am Anfang tatsächlich ein Problem für sie. Du wärst also sicher herzlich bei unseren Familientreffen willkommen. Obwohl ich das wirklich nicht empfehlen kann. Darf ich fragen, wie alt du bist?"

"Moritz, lass das!" will Marco wieder unterbrechen. Ich habe noch nie verstanden, warum Leute ein Problem damit haben, nach dem Alter gefragt zu werden, also antworte ich: "Ich bin 32."

"Naja, immerhin ein Jahr älter als Madlen. Na gut, ich glaube, dass würde bei Mama nicht so gut ankommen." meint Moritz zu Marco gewandt.

"Wer ist Madlen?" will ich wissen.

"Danke, Brüderchen." bedankt sich Marco sarkastisch. "Ich habe Mina bisher von Familien-Geschichten verschont." er wendet sich mir zu: "Madlen ist meine Nichte. Die älteste Tochter meiner älteren Schwester".

Ich fühle mich ein bisschen überrumpelt von den Familiendetails. Ich bin so alt wie Marcos Nichte? Ich überschlage im Kopf, wie das zusammenpasst. Ich habe keine Ahnung, wie viel älter seine Schwester ist. Aber so groß wird der Unterschied wahrscheinlich nicht sein. Fünf Jahre? Dann wäre sie 53. Wenn sie eine Tochter mit 31 Jahre hat, hat sie sie mit 18 bekommen. Puh.

Moritz grinst und ergänzt: "Madlen hat übrigens eine Tochter, Martha. Die ist 12."

Okay, in dem Teil der Familie bekommt man wohl gerne früh Kinder. Ob das der Grund ist, warum Marco beim Thema Sex ohne Kondom so vorsichtig ist?

"Moritz, hör jetzt auf, das ist nicht lustig." warnt Marco.

In dem Moment klingelt Moritz' Handy. "Sorry, da muss ich ran." er geht mit dem Handy in den Garten.

"Tut mir leid, ich hätte dich vorwarnen sollen, dass Moritz ein Idiot ist."

"Oder dass du eine Nichte hast, die so alt ist, wie ich?!" ich bin wirklich etwas überfordert von der Situation.

"Ja, du hast Recht. Das ist nicht unbedingt das angenehmste Thema, der Freundin zu sagen, dass sie so alt ist wie das Kind der eigenen Schwester. Ich hatte einfach gehofft, dass das noch sehr lange völlig irrelevant bleibt. Wenn du übrigens nach dem Auftritt wieder gehen willst, kann ich das schon verstehen, kein Problem."

Ich schüttle den Kopf. "So schnell lasse ich mich nicht kleinkriegen. Und schon gar nicht von dem kleinen Bruder meines Freundes." es fühlt sich komisch an, Marco meinen Freund zu nennen doch ich sehe an seinem Lächeln, dass es seinen Zweck erfüllt hat. Ich gebe ihm einen Kuss und er raunt mir zu: "Ich hoffe wirklich, dass wir das nächste Wochenende für uns haben!" Ich zwinkere ihm zu und wende mich dann Moritz zu, der gerade wieder ins Wohnzimmer kommt.

"Das war eine meiner Bekanntschaften. Weißt du," erklärt er zu mir gewandt, "ich bin da nicht so spießig wie mein Bruder, der ja immer gleich auf ernste Beziehung machen muss, wenn er eine Frau trifft. Ich binde mich nicht an Frauen."

Marco seufzt genervt "Danke für den wertvollen Einblick in dein Leben. Sag mir lieber, wo du essen gehen möchtest."

"Burger wären geil."

"Ein Herr mit Stil. Aber was habe ich erwartet." kommentiert Marco augenrollend und schaut mich an.

"Passt für mich, ich bin dabei."

Als wir das Haus verlassen und zu Marcos Auto gehen, ist Moritz vor mir und geht wie selbstverständlich zur Beifahrertüre. In meine Richtung gewandt, meint er "Mädchen, du musst hinten sitzen.". Ich bin so perplex von dieser Ansage, dass ich nicht weiß, was ich antworten soll und schon fast versucht bin, einfach zur hinteren Tür zu gehen.

"Ganz sicher nicht!" erklärt Marco und verweist Moritz auf den Rücksitz.

Ich steige vorn ein. Das könnte ein wirklich anstrengender Abend werden. Wie kam ich auch nur auf die Idee, dass Marcos Bruder ihm ähnlich sein müsste und ich ihn sicher auf Anhieb mögen würde?

Der abwertende Kommentar von Moritz über Vegetarier und Veganer, als ich einen vegetarischen Burger bestelle, macht die Sache nicht besser.

Tatsächlich schaffe ich es aber, mich beim Essen ein bisschen zu entspannen. Die beiden reden viel über früher, erzählen sich und mir aus ihren Leben und ich bin mehr Zuhörerin als aktiv beteiligt und kann mir so ein Bild über die beiden und ihre Dynamik machen.

Moritz trinkt ein Bier nach dem anderen, Marco bleibt bei Wasser und ich trinke - da es ja schließlich Samstag ist und ich nicht fahren muss - ein Bier.

Nach dem Essen verabschiede ich mich von den Beiden. Die Brüder haben sicher noch ein paar Dinge zu bereden, bei denen ich besser nicht dabei bin und für den Moment habe ich definitiv genug von Moritz.

Auf dem Heimweg fällt die restliche Anspannung von mir ab. Das erste Zusammentreffen mit einem von Marcos Familienmitgliedern ist überstanden!

Ich weite den Heimweg zu einem kleinen Spaziergang aus und denke über die Ereignisse der letzten Woche nach.

Ich bin froh, dass die Situation mit Marco endlich geklärt ist und dass die Klärung nicht zu einem Bruch zwischen uns geführt hat. Es ist schon eine ganze Weile her, dass ich eine Beziehung hatte. Damals fand ich es ziemlich einengend, doch aktuell ist der Wunsch nach Nähe zu Marco wesentlich größer, als die Angst, meine Freiheit zu verlieren. Und nach unseren Gesprächen und so, wie ich Marco kenne, habe ich nicht das Gefühl, dass er mich zu sehr einengen wird. Ich bin gespannt, was die Zukunft bringt!

Am Sonntag, am frühen Nachmittag, bekomme ich eine Nachricht von Marco:

Er ist endlich weg. Wollen wir uns noch treffen?

Ich: Klar, gerne! Magst du zu mir kommen?

Marco: Gerne. Wann? Ich will noch kurz etwas essen, dann habe ich den Rest des Tages für dich Zeit.

Ich: Komm einfach vorbei, wann du willst.

Mina IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt