[E] Du bist die Nächste

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Als ich mich zurecht mache, fällt mir mal wieder auf, wie gern ich meine schulterlangen Haare mag. Ich entscheide mich gegen eine aufwändige Hochsteckfrisur mit einer halben Dose Haarspray und benutze lediglich einen Lockenstab, um meine Haare in eine, meiner Meinung nach, märchen-hochzeits-taugliche Form zu bringen.

Danach schminke ich mich dezent, aber festlich, lege Parfum auf und entstaube meine selten genutzten, nudefarbenen Pumps.

Ich bin fast fertig, als Marco an der Tür klingelt. Ich öffne ihm und bin angetan von dem, was ich sehe. Der hellgraue Anzug, die passende Krawatte und das dunkelgrüne Hemd stehen ihm wirklich gut! Er schaut irritiert auf meinen Kimono.

"Keine Angst, ich bin fast fertig. Ich muss tatsächlich nur noch mein Kleid anziehen. Komm rein."

Er folgt mir ins Schlafzimmer, ich ziehe den Kimono aus und das Kleid an. Dann drehe ich Marco den Rücken zu und er schließt den Reißverschluss für mich. Ein Blick in den Spiegel zeigt mir, dass mein Halsreif wirklich perfekt zum Kleid und meiner Frisur passt. Ich ziehe die Pumps an und drehe mich zu Marco.

"Wow, heiß!" Er nickt anerkennend.

"Danke, das Kompliment gebe ich gerne zurück." Ich gebe ihm einen Kuss, nehme meine Tasche mit der Wechselkleidung und den bequemen Schuhen und meine Handtasche, werfe Schlüssel, Handy und den Lippenstift zu dem anderen Kram und wende mich der Türe zu. Auf dem Weg nach draußen schnappe ich trotz des wirklich sommerlichen Wetters noch einen Cardigan und einen dünnen Mantel von der Garderobe und folge Marco zum Auto.

Eine Stunde später fahren wir auf den schon gut gefüllten Parkplatz des Schlosses. Marco stellt den Motor aus und hält kurz inne und atmet hörbar durch. Er schaut auf die Uhr, es ist zehn vor fünf. "Bereit für etwa sieben Stunden Hölle?"

"Hölle ist es wohl eher für dich. Für mich ist es eher eine Show. Sieben Stunden sind lang, aber das bekommen wir hin. So schlimm wird es schon nicht."

Er lacht und schüttelt den Kopf. "Du wirst sehen." Dann steigt er aus und ich folge ihm.

Wir schließen uns dem Strom von Menschen zu der kleinen Kirche neben dem Schloss an. Der Weg ist mit Blumengestecken gesäumt und mit Spalieren mit weißen und lilanen Bändern verziert. Ich frage mich, ob ich überhaupt so viele Leute kennen würde, um so eine Hochzeit zu feiern. Nicht, dass ich heiraten will oder darauf Wert legen würde, so viele Menschen um mich zu scharen, aber man kann sich das ja mal fragen.

Die Kirche selbst - eine mit Gold, hellen Marmorsäulen und Putten überladene Barock-Monstrosität - is schon gut gefüllt und ein Wegweiser teilt streng die Seiten ein für Angehörige von Braut oder Bräutigam und weist Bereiche für Familie, Freunde und Kollegen aus.

Wir setzen uns in den Familienbereich der Braut zu Marcos Bruder, welcher eine blonde Begleitung im schwarzen, etwas zu knappen und kurzen Cocktailkleid neben sich hat, an der definitiv nicht nur die Haarfarbe unnatürlich ist. Er stellt sie uns als Chantal vor. "Und ja, das ist ein Stripperinnen-Name." Er zwinkert mir zu. Hat er allen Ernstes eine Stripperin als Begleitung zur Hochzeit seiner Nichte mitgebracht? Ich stehe lächelnd daneben, als Marco verschiedene Leute begrüßt und mich ihnen vorstellt und hoffe, dass er nicht erwartet, dass ich mir merke, wer wer ist. Seine Eltern sind nicht unter ihnen, doch bevor ich danach fragen kann, setzt langsame Orgelmusik ein und die Gäste setzen sich, während der Bräutigam und drei männliche Begleiter den Gang entlang schreiten und sich vorn neben dem Pfarrer positionieren.

Dann stimmt die Organistin Treulich geführt von Richard Wagner an und die Braut betritt am Arm eines älteren Herrn die Kirche und schreitet, gefolgt von zwei in flieder gekleideten Brautjungfern, den Gang entlang. Sehr amerikanisch.

Mina IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt