Kapitel 49

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Die Zeit ohne Ian verging sehr schnell, aber allzu lange war er auch nicht weg. So gerne ich meinen Bruder sah, dennoch freute ich mich auf die Zeit mit Nero alleine. Das dürfte bald eintreffen, immerhin hatte er gemeint, dass er bald weiterfahren musste. Der Job hielt für die beiden genug Arbeit bereit.

Um die restliche Zeit mit Ian zu genießen, saßen wir im Garten zwischen all den Obstbäumen auf einer Bank. Ich hatte Nero gebeten uns alleine zu lassen, denn ich wollte mit meinem Bruder darüber reden, was zwischen mir und seinem besten Freund war. Ich mag es zuerst hinauszögern haben wollen, nur sprachen wir mittlerweile von einer Hochzeit. Wenn wir es so ernst miteinander meinten, war es nötig, dass unsere Mitmenschen eingeweiht wurden. 

Mir graute es vor der Reaktion meines Bruders, denn ich rechnete mit einer schlechten. Vor allem, weil Ian das kein bisschen auf dem Schirm hatte. Es lag nur wenige Tage zurück, als er sogar behauptete, dass Nero mich als Schwester sah. In Anbetracht der Fakten war das der vollkommene Unsinn. 

Ich sah mir einen der Obstbäume genauer an, welchen ich als Apfelbaum identifizieren konnte. Die Früchte waren klein und mussten erst noch zur richtigen Reife wachsen. An sich hatte die Natur etwas Wundervolles, nur war ich viel zu nervös. Irgendwie musste ich dieses Thema ansprechen, obwohl ich keine Ahnung hatte wie. 

Ian stupste mich an und fragte besorgt: "Was ist los, Ever? Du bist so still geworden. Belastet dich etwas?" Natürlich hatte er das bemerken müssen, dabei hatte ich versucht das zu verbergen. In letzter Zeit hatte er sich genug Sorgen um mich gemacht und eigentlich gab es gute Nachrichten. Wobei das ganz davon abhing wie man es betrachtete. Man wünschte sich vermutlich nicht unbedingt einen Mafiaboss als Mann für die eigene Schwester. Vor allem bei Ians Beschützerinstinkt.

Ich sah zu ihm hinüber und sein Gesichtsausdruck spiegelte die Tonlage wieder. Er musterte mich, als würde die Antwort in meinem Gesicht geschrieben stehen. 

Nach einem Seufzen gab ich mir einen Ruck und fing an: "Eigentlich gibst es keine schlechten Neuigkeiten, weil das Gegenteil der Fall ist. Nur habe ich keinen Plan wie du darauf reagierst. Und ich habe die ganze Zeit an passenden Worten überlegt, die es vermutlich nicht mal gibt." 

Vielleicht hätte ich doch um Neros Anwesenheit bitten sollen, dann hätte ich mich wie ein Angsthase hinter ihm verstecken können. Es war einfacher, wenn man bei schwierigen Themen dem anderen nicht ins Gesicht sah. Aber das war feige und am Ende war es immer noch Ian. Er hatte es verdient, dass man respektvoll mit ihm umging. 

Ein Nachteil von Neros Anwesenheit wäre es, falls mein Bruder sehr schlecht reagierte. Da wäre es besser, wenn sein bester Freund sonst wo war. So könnte die Wut sich mildern und später trafen die beiden aufeinander. 

Ian sah mich erwartungsvoll an und eine kleine Anspannung hatte sich gelegt, dennoch war davon noch etwas anwesend. Ich selbst bekam einen Schweißausbruch und rang nach den richtigen Worten. Leider weigerte mein Hirn sich vernünftig zu arbeiten. 

Nach einem Räuspern wagte ich den nächsten Versuch. "Es ist so... also... ja..." Ich musste mich erneut räuspern und bei meinem Gestammel dürfte er genau gar nichts verstehen. Schon machte ich weiter: "Ich... Nein, Nero und ich..." Ich warf eine Hand in die Höhe, weil die Worte schwer über meine Lippen fanden. Manchmal konnte es eine Kunst sein zu sprechen.

Ian fragte: "Ja, du und Nero? Was ist mit euch?" Er ahnte es wirklich zu null Prozent, denn diese hundert Fragezeichen um seinen Kopf herum, stellten das klar. Am liebsten hätte ich zu heulen angefangen, weil mich das derart stresste. Ich konnte ein verfluchter Angsthase sein. 

Überraschenderweise schaffte ich es diesmal das näher auszuführen, eher knallte ich alles raus. "Nero und ich haben uns in einander verliebt und sind jetzt zusammen. Bevor du daran denkst ihn umzubringen, solltest du wissen, dass wir es beide sehr ernst miteinander meinen. Und nein, das ist kein Scherz. Es ist auch keine übereilte Aktion, weil ich ihn anhimmle seit ich denken kann und immer noch tot umfallen könnte, wenn ich daran denke, dass er diese Gefühle erwidert." Danach holte ich tief Luft, denn ich hatte alles viel zu schnell gesagt, ohne zu atmen. 

Der Moment in dem Ian mich anstarrte, währte eine Ewigkeit an, zumindest fühlte es sich danach an. Man konnte an seiner Mimik absolut nichts erkennen. Vielleicht war es ein kleiner Schock, weshalb er keine Reaktion zeigte. 

Mein Herz fing schneller zu schlagen an und ich hätte ihn gerne durch geschüttelt, um an eine Antwort zu kommen. Ich wollte wissen was in seinem Kopf vor sich ging. Ich selbst hatte dem nämlich nichts mehr anzumerken. Es war alles gesagt. 

Schließlich fuhr er sich mit einer Hand übers Gesicht und fragte: "Warum habe ich es geahnt?" Es klang zwar nicht begeistert, aber auch nicht wütend. Eher klang mein Bruder verzweifelt und müde.  

Ich legte meine Hand auf seinen Unterarm, denn vielleicht machte es das besser. Ich drückte leicht zu und Ian sah mir wieder in die Augen. "Es muss ausgerechnet er sein, oder?"

Ganz leise antwortete ich: "Ja." Mir käme kein anderer Mann in den Sinn. Noch weniger, da ich wusste, dass Nero meine Gefühle erwiderte. Dann wäre es der pure Wahnsinn, wenn ich ihn ablehnte. 

"Ist dir das Ausmaß hinter allem überhaupt bewusst? Ist dir klar was für eine Welt das ist? Eine, in die du zwangsläufig eingebunden wirst, wenn du mit so einem Mann zusammen bist. Hast du das wirklich verstanden?" Ich lächelte ihn leicht an, denn meine Entscheidung war längst gefallen. Daran konnte im Grunde niemand mehr etwas ändern. Deshalb fragte ich: "Warst du schon mal so verliebt, dass du das akzeptieren kannst, solange du bei dieser einen Person sein darfst?" 

Ian lehnte sich zurück und schloss seine Augen, während er sagte: "Gib mir fünf Minuten alleine, danach reden wir weiter." Obwohl es ihm verborgen blieb, nickte ich und stand kommentarlos auf. Wenn er darüber nachdenken wollte oder sich innerlich beruhigen musste, dann konnte er diese Zeit gerne haben. Bis jetzt war die Reaktion ganz ok gewesen, denn es könnte wesentlich schlimmer sein. 

Ich ging einfach querfeldein über den Rasen und würde den Garten auf mich wirken lassen. Mein Bruder würde sicherlich mit mir aufschließen, sobald er dafür bereit war.  

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