Kapitel 10

1K 83 28
                                    

"Nicht so schnell, süßes Blondchen."

Nero hatte von hinten seine Arme fest um mich geschlungen, was mich am weiterlaufen hinderte. Diese Flucht war schnell gescheitert.

Nero merkte an: "Du machst es einem wirklich schwer dich zu beschützen." Ich versuchte seine Arme um mich zu lösen, in dem ich daran zerrte, aber ich hatte nur eine Hand zur Verfügung, da ich in der anderen meine Schuhe hielt.

Am Ende hatte mein Versuch keinen Effekt und die Lage blieb dieselbe.

Ich antwortete wütend: "Ich will nicht beschützt werden, weil das unnötig ist. Ich komme nämlich sehr gut zurecht."

Nero hob mich hoch, so wie er mich aktuell festgehalten hatte und ging los.

"Lass mich runter! Ich will nicht in deiner Nähe sein!"

Das war ihm vollkommen egal und er kommentierte es nicht mal. Der Mann ging mit dem Kopf durch die Wand und ignorierte dabei die Wünsche anderer.

Vor einer Tür angekommen, stellte Nero mich ab, aber blieb weiterhin direkt hinter mir. Scheinbar hatte er Sorge, dass ich ihm davon lief.

Wie kam er nur auf diese Idee?

Ich hörte einen Schlüssel klimpern und schließlich erschien seine Hand neben mir, mit welcher er den Schlüssel zum Schloss führte

Es blitzte kurz die Idee auf, erneut loszulaufen, aber er hörte wohl meine Gedanken, denn seine zweite Hand, fand neben mich an die Tür. Nun war ich eingesperrt.

Die Tür hatte er endlich aufgeschlossen und drückte die Klinke nach unten, weshalb sie sich öffnete.

Ich verschwendete keine weitere Zeit, um Abstand zwischen uns zu bringen, in dem ich die Tür mit meiner Hand weiter aufschubste und anschließend in die Wohnung eilte.

Nero schaltete das Licht an, so konnte ich erkennen, dass wir uns in einem Vorraum befanden.

Hinter mir hörte ich, wie er die Tür schloss und ich gönnte mir den kurzen Moment einmal die Runde zu sehen.

Der Raum war kaum eingerichtet.

Auf dem Boden an der Seite standen zwei Paar Schuhe, welche Nero gehören dürften, da es Herrenschuhe waren.

Ansonsten gab es eine Kommode und an der Wand waren ein paar Haken, auf welchen nichts hing. Dort befand sich keine einzige Jacke.

Entweder war er hier selten oder er hielt nicht viel von einer netten Einrichtung. Es war möglich, dass das nicht sein Hauptwohnsitz war.

Meine Schuhe hatte ich noch in der Hand und die ließ ich auf den Boden fallen, da ich derart genervt war. Ich legte bei einer Entführung keinen Wert auf Höflichkeiten.

Ohne einem Wort, ging ich durch die Tür in einen Gang. Da im Vorraum das Licht brannte, konnte ich wenigstens ein bisschen was erkennen.

Ich sollte das Badezimmer suchen, denn dort könnte ich mich einschließen und den Mann hinter mir meiden.

Neros Stimme durchbrach die Stille in dem er fragte: "Worüber hast du mit Ian gestritten?" Die Erinnerung daran machte mich sauer.

Ich fühlte mich verarscht und verletzt. Meinem Kummer samt Wut machte ich Luft, in dem ich mich umdrehte und aufgebracht antwortete: "Er bereut es. Ian bereut angeblich, dass er meinen Eltern Recht gab, dass es vernünftig wäre die Maschinen abzustellen."

Ich holte tief Luft und versuchte die Tränen zurückzuhalten, um fortfahren zu können: "Im Grunde könnte sie noch leben, wenn er damals Hirn bewiesen hätte oder Herz."

Seiner Mimik konnte man nichts ablesen, was mich unglaublich verärgerte.

Wie konnte einen das kalt lassen?

Nero war zwar schon immer gut darin gewesen Emotionen zu verbergen, aber es gab wohl Themen, bei denen das niemand schaffen würde.

Er meinte ernst: "Auch, wenn er damals etwas gesagt hätte, das hätte nichts geändert, Ever. Deine Eltern hatten das Entscheidungsrecht und nicht ihr."

Da hatte er natürlich ein Argument gefunden, aber ich hatte dennoch eine andere Meinung.

"Er hätte es wenigstens versuchen können und Josephine die Chance geben zu überleben!" Meine Stimme war lauter geworden, da ich mir keine Mühe machte meine Gefühle zu überspielen.

"Du kennst deine Eltern, sie haben ihre feste Meinung und davon bringt sie niemand ab. Ian hätte genauso wenig etwas daran ändern können."

Ich biss mir auf die Unterlippe, weil ich kurz davor war loszuheulen und nie wieder damit aufzuhören.

Es klang logisch, was Nero sagte und er dürfte Recht haben, aber tatenlos zuzustimmen war falsch. Man sollte wenigstens versuchen manche Dinge abzuwenden. Aber Ian hatte damals ihre Meinung geteilt und ihnen Zuspruch gegeben.

Nero fuhr fort: "So grausam es sein kann, aber die Ärzte haben euch erklärt, dass Josephine aus dem Koma nie mehr erwachen wird und ohne lebenserhaltende Maßnahmen sterben würde."

Ja, das war auch passiert, sobald sie die Maschinen abgestellt hatten.

Irgendwie brachte ich hervor: "Sie haben ihr nicht mal die Chance gegeben und wenigstens ein bisschen gewartet."

"Ever, das hätte ihr Leid verlängert, aber sie nicht zurück gebracht. Was das anbelangt waren die Ärzte sich einig."

Es klang vollkommen erbärmlich als ich antwortete: "Sie hatte noch Hirnaktivitäten, die waren da."

Er kam einen Schritt näher, weshalb ich zurückwich. Nero war vernünftig genug stehen zu bleiben. Aber mittlerweile wirkte er besorgt und vermutlich war es Mitgefühl, welches in seinen Augen lag. Also ließ es ihn doch nicht kalt.

"Es hätte trotzdem nichts daran geändert. Sie war zu stark verletzt und wäre nicht mehr wach geworden. Ich weiß, es ist schwer das zu hören, aber die Realität ist gerne unschön."

Ich wusste zwar nicht wohin genau ich gehen sollte, aber drehte mich um und ging den Gang weiter entlang.

Eine Frage herrschte in mir und wollte gestellt werden, aber ich unterdrückte sie, denn noch mehr grausame Wahrheiten konnte ich nicht ertragen.

Mir kam das Badezimmer in den Sinn, in welchem ich mich einsperren könnte. Also hatte ich doch ein Ziel vor Augen.

Nero ahnte es, denn er sagte: "Die zweite Tür links ist das Badezimmer, aber du musst dich nicht einsperren, um deinen Frieden zu haben."

Mir egal, ich würde es trotzdem machen.

A Million Reasons | ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt