sechsundvierzig.

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Taehyung

„Alte Bekannte sollte man doch wohl hereinbitten, oder nicht? Das sind gute Manieren."
Ich stehe nur da wie eingefroren, aber werde letztlich einfach nur zur Seite geschoben.

„Jungkook", hauche ich entsetzt und sehe dem Eindringling nach, der mit einem selbstsicheren Lächeln in meinem Wohnzimmer steht. Sein Haar ist länger geworden, ich habe das Gefühl seine Schulter scheinen noch breiter zu sein und ein paar neue Piercings zieren sein Ohr. Und sind das Tattoos auf seinem Unterarm?

„Mh, eigentlich nenne ich mich jetzt Park Yu Jun.  Aber mein Name klingt aus deinem Mund wie eine göttliche Sünde, daher lasse ich es gelten."

Ich starre ihn immer noch an, als wäre er ein Alien. Er zieht sich nur seine lockere Jacke aus und schmeißt sie auf meine Couch. Dann bleibt er in einem dunklen, halboffenen Hemd und viel zu engen Hosen wie eine griechische Skulptur stehen.

Ich schlucke nervös und blinzele, während die Nervosität und Panik meinen Nacken hochkriecht. Mein erster Schock ist Verarbeitet, dafür macht sich Angst in mir breit. Das ist genau der Albtraum, vor dem ich versuche seit einem Jahr zu fliehen.

Langsam und kontrolliert versuche ich zu atmen und die Oberhand über meine Gedanken zu gewinnen. Eine Panikattacke kann ich gar nicht gebrauchen, aber ich merke, wie mir ein kalter Schauer über den Rücken rollt.

„Nun steh da nicht so stumm. Möchtest du mir nicht wenigstens einen Tee anbieten?"
Jungkook schiebt seine Hemdsärmel hoch und lässt sich neben seine Jacke auf meine Couch fallen. Weiterhin sprachlos schaue ich nur wieder auf seine dunklen Unterarme, die mich zu verhöhnen scheinen. Sie sehen stark und sehnig aus, wie Arme, die fest zugreifen und würgen können.

„Die Tattoos sind nicht schlecht, oder? Ich hatte da so eine unglückliche Narbe, weil ich mich leider sehr schlecht bei meiner Flucht zusammenflicken musste, aber ich finde, so mit der Farbe drüber sieht es richtig gut aus. Wird das jetzt eigentlich noch was mit dem Tee?"

„W-Was willst du hier?", flüstere ich nur entsetzt und er seufzt. „Na, was denkst du denn? Ich habe hier einen Termin für eine Zimmerbesichtigung. Ich dachte mir, wir könnten doch gute Roommates werden."

„R-Roomates?", stammele ich und er schüttelt den Kopf. „Hast du zu Stottern begonnen, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben? Übrigens, Kräutertee würde ich präferieren."
Ich bin immer noch total überfordert und stakse schließlich steif in meine Küche, um Tee aufzugießen.

Mein Herz stolpert über seinen eigenen Rhythmus und gleichzeitig habe ich das Gefühl, ich bin innerlich taub. Ich dissoziiere gerade total mit der Situation und habe keine Ahnung, wie ich mit ihr umgehen soll.

„Tae, du hättest sehen müssen was alles bereist habe! Ich war in sechzehn verschiedenen Ländern und habe so viele tolle Menschen und Orte getroffen. Es war der absolute Hammer!"
Jungkook grinst mich von der Couch aus an und ich zucke mit den Schultern.

„Und wieso bist du dann wieder zurückgekommen? Hier suchen dich doch alle. Und falls du es vergessen hast - ich bin ein Polizist. Ach, und außerdem stottere ich nicht!", platzt es aufgebracht aus mir heraus und der gutaussehende Mann beginnt auf meinem Sofa herzlich zu lachen.

„Süß wie eh und je. Das bestätigt mich nur."
„Bestätigt dich?", frage ich nach und bringe ihm eine Tasse und den Tee. „Der braucht noch fünf Minuten."

„Naja, in dem Grund wieso ich hergekommen bin. Du natürlich."
Ich gefriere in meiner Bewegung und sehe Jungkook alarmiert an. Er aber lächelt nur sanft und schüttelt den Kopf.

„Na komm schon, steh da nicht wie ein Schaf vorm Schlachter. Ich bringe dich nicht plötzlich um. Gut, ich wollte es gerne, aber ich hab im letzten Jahr echt viel gelernt und dir verziehen. Du hast mich immerhin gehen lassen."

„Und um mir das zu sagen bist du extra hergekommen", hake ich mit brüchiger Stimme nach und Jungkook verneint.
„Ne. Oder vielleicht auch ja. Aber vor allem habe ich mein Heimatland vermisst und da ich hier echt aufpassen muss, dachte ich mir, ich wohne einfach da, wo mich niemand vermuten würde."

Ich verziehe gereizt das Gesicht. „Und was lässt dich denken, dass ich dich hier wohnen lasse? Dann muss ich jede Nacht fürchten, abgestochen zu werden!"

Wieder nur ein blödes Grinsen. „Naja Schnuckie. Wenn du mich auslieferst, muss ich wohl leider erzählen wie du mich hast gehen lassen. Vielleicht gehe ich dann auch ins Detail über unsere gemeinsame Nacht! Aber vielleicht lasse ich dir auch keine Zeit; mich ans Messer zu liefern."

Er sieht mich ernst an und ich schlucke bei der Drohung.
Dann zaubere ich ein zittriges Lächeln auf meine Lippen und bete einfach, nicht ohnmächtig zu werden.
„Dann willkommen Zuhause ..."

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