achtunddreißig.

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Taehyung

Was für eine Art Mutterkomplex hat jemand, der die Leiche seiner Mutter auf seinem Dachboden versteckt hält?

Natürlich weiß ich nicht sicher, dass es seine Mutter ist, aber meine Hand zittert gewaltig, als ich einen Shot nehme um meine Nerven zu beruhigen. Ich stehe in Jungkooks Küche, nachdem ich wie gelähmt den Dachboden verlassen und die Luke wieder geschlossen habe.

Längst sind die Bilder der Leiche verschickt, wie auf Autopilot hatte ich eine Email an meine Kollegen gesendet. Natürlich über meinen privaten Browser und nicht in Jungkooks Wlan- ich hatte als Polizist alles richtig gemacht. Und war stolz auf mich.

Aber als Mensch war ich gerade einfach nur am Ende und am Rande einer Panikattacke, die ich zwanghaft versuchte mich Alkohol, ruhiger Atmung und lustigen Gedanken zu vertreiben.

„Und eigentlich muss ich noch in den Keller", fluche ich leise und rutsche an der Küchenfront herunter. Meine nackten Beine landen auf den Fliesen und mein Po, nur von Jungkooks Boxershorts bedeckt, wird kalt. Aber mir ist es egal und ich angele nur nach der Flasche Wodka von der Anrichte.

Ich sollte mich jetzt definitiv nicht betrinken, aber ein kleiner Schluck schadet nicht. Mir wird warm von innen und ich schließe erschöpft die Augen. Ich gehöre schon immer zu denen, die kein Problem mit Shots hatten und stattdessen das Brennen des Alkohols genossen haben.

Warum mich das gerade so mitnimmt, weiß ich selbst nicht genau, immerhin habe ich schon wesentlich Schlimmeres gesehen und deutlich gruseligere Orte durchkämmt. Aber mir schlägt der Mörder dort oben im Bett einfach etwas zu sehr auf den Magen.

„Also dann...", murmele ich und setze mich schwerfällig auf. Diese Chance bekomme ich nur einmal und ich sollte sie verdammt nochmal nutzen.
Denn auch wenn Jungkook ein Stück meines Herzens erobert hat, hasst der meiste Teil dieses undankbaren Organs ihn immer noch.

Den Wodka stelle ich zurück auf die Anrichte, dann mache ich mich auf leisen Sohlen auf zur Haustür, um dort in den Taschen meiner Jacke zu kramen, die am Haken hängt. Mein Herzschlag poltert nervös in meiner Brust und immer wieder lausche ich nach oben, ob Jungkook wohl wach wird.

Aber es ist drei Uhr nachts und der Kerl komplett ausgeschaltet. Ich atme tief durch und nachdem ich noch einen Abstecher ins Wohnzimmer zu meiner Jeans gemacht habe, mache mich dann auf den Weg zur Kellertür.
Meine Hand zittert etwas, als ich den Dietrich geübt ins Schloss schiebe und es innerhalb weniger Sekunden knacke. Diese Zimmertüren sind kein Problem, vermutlich hätte ich sie auch einfach mit meiner Kreditkarte öffnen können.

„Auf gehts, du schaffst das", flüstere ich mir selbst mit einem unruhigen Blick nach oben, in Richtung des Schlafzimmers zu, bevor ich geräuschlos die Tür zum Keller hin öffne. Vor mir erstreckt sich eine Schwärze, die das schwache Flurlicht zu verschlucken scheint. Ich erkenne nur einige steinerne Treppen und taste blind mit der Hand nach einem Lichtschalter.

Mir bietet sich das langweilige Bild einer stinknormalen Kellertreppe, die einen Knick macht und anscheinend in einen gekachelten Flur führt. Den Dietrich nehme ich sicherheitshalber noch mal mit und aus der Küche hole ich schnell mein Handy, bevor ich leise die Treppe runterlaufe.

Auf dem Boden sind einige Kratzspuren zu erkennen, aber ansonsten finde ich nichts spannendes. Stufe für Stufe gehe ich tiefer und als ich endlich unten stehe, erstreckt sich mir ein Gang mit drei Türen.
Vielleicht hat er hier ja seine Finger versteckt?

Mit klopfendem Herzen und unruhiger Atmung, drücke ich die erste Klinke runter. Sie gibt sofort nach und die Tür schwingt mit einem leisen Knarzen auf. „Zu einfach ...", murmele ich und trete langsam ein. Enttäuscht stelle ich fest, dass ich einfach nur in einer Abstellkammer gelandet bin. Dennoch sehe ich mich kurz um, mache einige Fotos, aber verschwende dann meine Zeit nicht weiter.

Auch der nächste Raum ist kein großer Erfolg. Ich lande in einer Art altmodischen Partykeller, mit fleckigem Ecksofa, staubigen Lampions und einer Dartscheibe. In der Ecke steht ein Kasten abgelaufenes Bier und der Boden klebt etwas unter meinen Füßen. Lecker.

Mein nervöser Herzschlag hat sich mittlerweile etwas beruhigt, stattdessen macht sich eine kleine Enttäuschung in mir breit.
„Wehe, du verbirgst jetzt kein Geheimnis", bedrohe ich die letzte Tür unzufrieden und beginne zu lächeln, als ich merke, dass sie verschlossen ist.

Schnell mache ich mich mit meinem Dietrich zu schaffen; doch das Schloss ist moderner als das bei der Kellertür und ich brauche etwas länger. Jetzt bin ich definitiv auf der richtigen Spur, denke ich zufrieden, als endlich ein leises Knacken ertönt und ich die Tür aufschwingen lasse.

Mir kommt sofort der Geruch von Desinfektionsmittel entgegen und ich suche nach einem Lichtschalter. Geblendet Kneife ich die Augen zusammen, als bläuliches Flutlicht den sterilen Raum erhellt, ganz anders als die altersschwachen Glühbirnen der letzten Räume.

Mein Atem stockt, als ich mich in dem sterilen Raum umsehe und der kleine Funken Hoffnung in mir, dass Jungkook unschuldig ist, sich endgültig verzieht.

Gut, ich sehe immer noch keine Finger oder eine Leiche. Die sollte ich wohl noch lieber versuchen zu finden.
Aber ich bin in einer Art Operationssaal gelandet und mein Mageninhalt, bestehend auf ein paar Schlücken Alkohol, dreht sich vor Nervosität und Angst bedenklich schnell um.

Es ist mir alles zu viel für eine Nacht, aber ich weiß das ich nicht aufhören darf, bevor ich nicht alles versucht habe, um die Finger zu finden.

Denn sie sind der einzige Beweis, der Jungkook sofort hinter Gittern bringen kann - denn die Existenz der mumifizierten Leiche, genauso wie diesen Raum, beweist immerhin nicht viel in unserem eigentlichen Fall.

Im Gegenteil, vielleicht behauptet er am Ende, er wusste nichts von der Leiche, kein Wunder, so lang wie niemand mehr auf dem Dachboden war und der Raum hier unten ... naja. Lässt sich vielleicht noch mit einer privaten Hautarztpraxis oder so erklären.

Ich presse mir die Hand vor den Mund um mögliche Beweise nicht vollzukotzen, bevor ich mit zittrigen Fingern die Nummer von Namjoons Diensttelefon wähle.

Ich brauche definitiv einen Psychologen an meiner Seite, damit ich jetzt nicht zusammenbreche und meinen Job beende.

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