sechsundfünfzig.

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Taehyung

In meinem Kopf spielen sich Szenarien ab, die ethisch definitiv nicht vertretbar sind. Szenarien, in denen ich meine Angst vor Jungkook über Bord werfen kann. Szenarien, in denen meine Begierde Überhand gewinnt. Szenarien, in denen wir diese wunderbare körperliche Anziehung zwischen uns ausreizen und endlich wieder voneinander kosten können.

Natürlich gehe ich dem nicht nach - aber ich weiche auch nicht zurück. Zu sehr bin ich in diesem verwirrenden Zwiespalt gefangen.

Ich sehe das triumphierende Blinzeln in Jungkooks Augen, der anscheinend genau zu verstehen scheint, was in mir vorgeht. Er weiß, welche Macht er auf meinen Körper haben kann, auch wenn ich ihm diese wirklich nicht geben möchte.

Beklommen schlucke ich und beobachte, wie sich sein Fokus auf meine Lippen verschiebt. Sein Blick wirkt kurz verklärt, bevor er wieder zu meinen Augen hochschiesst und mich fesselt.

„Also?", raunt er und ich atme zittrig seinen Duft ein. Mein Herz schlägt wie verrückt und ich weiß nicht, ob es positive oder negative Aufregung ist. Ich weiß nur, dass mir das hier gerade viel zu viel ist - auch wenn ich mich am Liebsten sofort auf ihn einlassen würde.

Gott, ich weiß doch wie gut seine Küsse schmecken. Wie süchtig seine Berührungen machen. Wie sich sein heisser Atem auf meiner Haut anfühlt und ich bekomme eine Gänsehaut bei dem Gedanken, wie er sich in mir anfühlt. Alles an ihm macht süchtig.

Aber ich kann diese fürchterliche Angst in mir nicht verdrängen, sie kämpft sich immer wieder an die Oberfläche. Und ich merke, wie meine Begierde langsam in eine Panikattacke umschlägt.

„Bitte geh weg von mir", krächze ich verzweifelt und Jungkook ist so überrascht, dass er mich seinen Arm wegstoßen und mich wegrennen lässt.
„Tae?", höre ich ihn fragen und ich würde fast meinen, er klingt besorgt, aber ich denke daran gerade gar nicht.

Ich eile nur in mein Badezimmer, schließe alle Türen ab, lege mich wie immer in meine kühle Badewanne und fange fahrig an, meine Atemübungen zu machen.
Für meine Verhältnisse klappt es sogar erstaunlich gut, anscheinend habe ich früh genug die Reisleine gezogen, bevor meine Angst mich ganz im Griff hatte.

„Sehr gut, Taehyung", lobe ich mich leise selbst. Ich spreche mir immer positiv zu - das lenkt mich ab und lässt meinen Mut wieder wachsen. Die Panik in mir wird kleiner und kleiner und mein kontrolliertes Ich kann wieder übernehmen.

Mein Herz stolpert immer noch etwas und ich zittere, aber tatsächlich fühle ich mich sonst recht klar im Kopf.
Ein wirklicher Meilenstein.

Ein leises Klopfen an meiner Tür lässt mich nervös Zucken. „Taehyung? Alles okay? Du bist da jetzt eine kleine Weile."
Jungkook spricht vorsichtig, als würde er mich nicht nochmal verschrecken wollen. Anscheinend habe ich hier doch länger gelegen, als mein Hirn mir vorgespielt habe.

Ich schlucke kurz und hieve mich dann aus der Wanne. „Ja, ja klar. Alles okay", antworte ich unruhig und wasche mir noch einmal eiskalt meine Hände, bevor ich mir im Spiegel aufmunternd zunicke.

„Okay. Tut mir leid wegen eben."

Ich halte auf dem Weg zur Tür inne und blinzele irritiert. Hat sich Jungkook gerade ... entschuldigt?

„Was?", frage ich dumm nach und ich höre ihn seufzen. „Ich sagte, dass es mir leid tut. Ich weiß ja, dass du ... etwas fragil bist."
Ich presse meinen Kiefer fest aufeinander.

Die verschlossene Tür zwischen uns lässt mich mutig sein, auch wenn mein Herz wieder viel zu schnell vor sich hinstolpert und mein Mund ganz trocken wird.
„Ich bin nicht fragil, Jungkook. Ich habe einfach nur dich überlebt."

Drüben auf der anderen Seite ist es kurz still, bis Jungkook nachfragt: „Ich dachte, du würdest vielleicht schon besser mit mir klarkommen?" Er klingt fast schon schüchtern.

„Du wolltest mich töten. Ich habe eine Heidenangst vor dir. Alleine im selben Raum mit dir zu sein, löst fast eine Panikattacke aus, du bist der Stoff meiner Albträume. Es ist egal, ob da Begierde zwischen uns ist - die Angst ist immer größer."

So viel habe ich vermutlich nicht mehr zu Jungkook gesagt, seit er vor einer Woche bei mir vor der Tür gestanden ist. Meine Hände sind wieder total schwitzig und ich kann Jungkook fast schon durch die Tür denken hören. Er atmet einmal tief aus.

„Das verdiene ich wohl. Und ich weiß auch, dass du jegliches Vertrauen in mich verloren hast. Aber ich kann dir trotzdem versprechen, dass ich nicht vor habe, dich zu töten. Und ich auch keine Wut mehr auf dich habe, du kleiner Polizist. Auch wenn du mir das vielleicht nicht glaubst."

Ich schnaube beinahe abfällig, auch wenn irgendein dummer Teil in meinem Herzen ganz warm wird.
„Und meine Finger?"

„Die sind nach wie vor wunderschön und der Stoff meiner Träume. Aber du kannst sie ganz wunderbar tragen."

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