neunundsechzig.

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Taehyung

Nervös wippt mein Bein auf und ab und ich atme gepresst.
Meine Eltern sitzen vor mir, meine Mutter mit Tränen in den Augen und mein Vater einfach sprachlos. Ich schaue überall hin, auf den gedeckten Tisch aus dunklem Holz, zu dem kleinen Regal auf dem einige Familienfotos stehen und zu der eigentlich geräumigen Küche, die meine Mutter so zugestellt hat, dass sie winzig wirkt.

Ich schaue mir wirklich alles an, solange ich nicht in ihre Augen sehen muss.

"C-Chile?" Die Stimme meines Vaters klingt wie raues Schmiergelpapier und ich merke, dass er sich seine Tränen verkneifen muss. Meine Mutter andererseits schluchzt ganz ungeniert.

"Das ist das sicherste Land dort, keine Sorge", murmele ich, wie um sie zu beruhigen, aber das ist nur ein schwacher Trost.

"Was willst du denn dort? Soweit weg von uns und deiner Heimat? Du kannst dort nicht mal die Sprache sprechen! Was sprechen die da überhaupt? Was essen die da? Ist da irgendetwas oder irgendwer, der dir vertraut ist?", ruft meine Mutter aus und ich schlucke. Ja, Jungkook.

"Ich muss einfach raus aus Korea. Fürs Erste, zumindest."
Das ist natürlich nur die halbe Wahrheit, aber so richtig gelogen ist es auch nicht. Das beruhigt mein Gewissen immerhin etwas.

Das Gesicht meiner Mutter wird trotz der Tränen ganz weich und ich hasse mich etwas dafür, dass sie diese Halbwahrheit so verstehen. Ich habe das nicht verdient.

„Die Arbeit bei der Polizei?" Auch mein Papa wirkt besorgt und ich nicke wage. „Ja und allgemein die Situation hier. Ich werde überall daran erinnert und wie ein Held gefeiert, auch wenn ich mich nicht wie einer fühle."

Meine Eltern sehen sich an und seufzen.
„Also ist es erstmal nur vorerst?"
„Erstmal nur zwei Jahre. Ich komme euch aber ziemlich sicher alle paar Monate besuchen und wenn's mir dort nicht gefällt, ziehe ich zurück", sage ich schnell und die Lippen meiner Mutter sind zu einem festen Strich zusammengepresst.

„Und geht das denn finanziell?", fragt mich mein Vater vorsichtig und ich lächele ein bisschen - natürlich stellt er erstmal die praktischen Fragen.
„Ja, ich arbeite da unten und außerdem habe ich gespart. Das Leben dort ist auch nicht so teuer wie hier", erkläre ich und erhalte wieder ein Seufzen. Und natürlich Tränen.

Fast zwei Stunden später sitze ich immer noch bei meiner Familie, mittlerweile essen wir zu Abend (aber ich lasse Platz im Magen, weil ich weiß, dass Jungkook daheim versucht zu kochen), und meine Eltern haben sich nicht mit der Idee angefreundet, aber sie missbilligend akzeptiert.

„Aber du heiratest dort niemanden, oder?"
„Wenn nur Koreaner", versichere ich meiner Mutter und mein Vater schmunzelt. „Sind wir dann auch zur Hochzeit eingeladen?"
Ich stelle mir vor, wie meine Eltern Jungkook ansehen und sich wundern, woher sie ihn kennen  - aber da muss ich mir keine Sorgen machen, hier in Korea werde ich ihn nie heiraten können.

Ich werde wohl der Sohn sein, der ausgewandert ist und nicht mal mit Enkeln und einer Frau wiederkommt.
Ein kleiner Stich im Magen lässt mich bei dem Gedanken zusammenzucken. Für koreanische Verhältnisse sind meine Eltern sehr liberal und offen, aber ich weiß, ich werde sie trotzdem enttäuschen.

Spätabends kehre ich ermattet in meine Wohnung zurück. Ich fühle mich körperlich total fit, aber seelisch sehr ausgelaugt.
Jungkooks warme Umarmung empfängt mich noch an der Wohnungstür und ich lehne mich gegen ihn.

Vermutlich habe ich mit meiner Entscheidung alles richtig gemacht. Hoffe ich zumindest.

The CollectorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt