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76 ⇨ give him time

Jimin

Zu meiner Überraschung war hier niemand außer Hoseok und mir. Meine Aufregung war völlig umsonst gewesen, genau wie die 10.000 Nachrichten an Kookie und Tae, die bis jetzt unbeantwortet waren. Die beiden wussten wahrscheinlich, dass ich mir nur wieder zu viele Gedanken gemacht hatte.

Der Rothaarige hatte mich herzlich begrüßt und natürlich sofort Musik angemacht. Während ich mich aufwärmte, bewegte er sich zu dem Beat und ließ mich einfach nur staunen. Mir war klar, dass er gut sein musste, aber so gut hätte ich ihn nicht eingeschätzt. Nun wurde ich doch wieder etwas nervöser und begann unsicher auf meiner Lippe zu kauen. Sofort hallte mir Yoongis Stimme durch den Kopf und wie er mir immer wieder gesagt hatte, dass ich meine Lippen nicht so kaputt machen dürfe. Völlig in Gedanken hatte ich nicht bemerkt, dass die Musik um mich herum verstummt war. Hoseok stand gegenüber von mir und hatte aufgehört zu tanzen.

,,Jimin? Worüber denkst du nach? Alles gut?"

,,Yoongi. Äh, ich meine ja, mir geht's gut." Vor Peinlichkeit wurden meine Wangen ganz rot. Alles nur, weil ich so nervös war. Hoseok musste natürlich etwas lachen, machte aber kein großes Thema daraus. Stattdessen sprach er begeistert von der nächsten Choreografie, die er mir unbedingt zeigen wollte und ging zu seinem Handy, um das nächste Lied anzuschalten.

,,Schau dir einmal die Schritte an, dann versuch mitzumachen." Etwas überfordert sah ich dem Anderen dabei zu. Als dann der Moment kam, in dem ich hätte lostanzen sollen, stand ich bloß regungslos da.

,,Jimin ist sicher alles okay? Du wirkst du abwesend."

,,Tut mir leid. Ich wollte dich nicht enttäuschen. Ich versuche mich jetzt zu konzentrieren." Entschuldigend sah ich zu ihm und kam dann ein paar Schritte nach vorne. Als der Beat wieder einsetzte, versuchte ich Hobis erste Bewegungen nachzutanzen. Nach ein paar Wiederholungen saßen die ersten Moves und mein Körper begann sich zu lockern.

Stundenlang tanzten wir. Nachdem wir die erste Choreo so halb zusammen tanzen konnten, fühlte ich mich mutig genug um Hoseok Tänze von mir zu zeigen. Wir hatten erstaunlicherweise so unglaublich viel Spaß zusammen, als wären wir schon seit Jahren befreundet. Grinsend fielen wir nebeneinander auf den Boden, schwer atmend und völlig verschwitzt. Ich hatte es tatsächlich geschafft, mehrere Stunden nicht an Yoongi zu denken.

,,Also Jimin ich muss echt sagen, du bist perfekt für den Job!" Begeistert sah der Ältere zu mir.

,,Danke!! Ich war frei so aufgeregt."

,,Echt jetzt? Brauchst du gar nicht zu sein. Du tanzt wirklich gut. Yoongi hat sogar richtig untertrieben." Bei der Erwähnung seines Namens schnellte mein Kopf zur Seite. Mit Tränen in den Augen richtete ich mich auf. Es kann doch nicht sein, dass ich jetzt heule. Ich hatte doch so Spaß, wie kann meine Gefühlswelt sich um 180 Grad drehen in nur wenigen Sekunden.

Hoseok kapierte sofort.

,,Oh scheiße. Sorry, ich wusste nicht, dass dich das so belastet." Er setzte sich ebenfalls auf und rutschte ein Stück zu mir.

,,Vermisst du ihn so sehr?" Niedergeschlagen nickte ich und begann die ersten Tränen wegzuwischen.

,,Yoongi vermisse dich auch."

,,Ich weiß.", schluchzte ich leise.

,,Ich hab hier was für dich. Ich weiß nicht, ob es gut ist, wenn du das liest, aber Yoongis Therapeutin hat ihm geraten, einen Brief an dich zu schreiben."

Der Ältere stand auf und ging zu einem Rucksack, der an der Wand neben der Tür lehnte. Nicht sicher wie ich damit umgehen sollte, sah ich ihm dabei zu, wie er nach etwas suchte und mit einem zusammengefalteten Zettel in der Hand wiederkam.

,,Hier. Ich weiß nicht, ob du ihn jetzt lesen willst oder lieber wann anders."

Das Papier knisterte in meinen Händen. Zitternd hielt es in den Händen und rang mit mir, ob ich es wagen sollte, jetzt schon die Zeilen zu überfliegen. Es bestand die Gefahr, dass ich wieder komplett hyperventilierte, deshalb beschloss ich den Brief doch lieber zu Hause unter die Lupe zu nehmen.

,,Ich denke, ich lese ihn lieber später." Mit leicht angeschlagener Stimme stand ich auf und wollte gerade den Zettel wegpacken, da fiel mir ein, dass ich Hobi ja noch etwas fragen wollte.

,,Denkst du, wenn ich jetzt wieder zu ihm gehe, dass er dieselben Dinge nochmal macht?"

Der Ältere seufzte laut auf und fuhr sich langsam durch die Haare.

,,Ich bin dir ehrlich. Ich glaube, er braucht einfach Zeit. Ich würde dir raten, noch etwas zu warten. Gib ihm Zeit, um an sich zu arbeiten.", sprach er vollkommen ernst. Seine Antwort tat weh und entsprach nicht dem, was ich mir gewünscht hatte. Der Rothaarige bemerkte meine Enttäuschung und seufzte nochmal.

,,Ich weiß, das ist nicht, was du hören wolltest, aber ich glaube, dass es wichtig ist, dass er wirklich erstmal ein bisschen zu der Therapie geht. Er hat jetzt dreimal eine Stunde Therapie wöchentlich und ich glaube, das ist wirklich wichtig für ihn und auch für euch beide, falls ihr es wieder miteinander versucht."

Falls? Die Bedeutung dieses Wortes und wie Hoseok es verwendet hatte, versetzte einen Stich in meinem Herzen. Falls wir wieder zusammen kamen? Musste ich mich damit abfinden, dass die Möglichkeit besteht, dass wir etwa nicht mehr zusammen kommen?

,,Weißt du, ich liebe ihn. Ich liebe ihn wirklich. Und ich weiß, dass er das alles nicht mit bösen Hintergedanken gemacht hat, sondern einfach aus Angst. Deswegen will ich ihm verzeihen und am liebsten jetzt zu ihm gehen. Ich wünsche mir, dass einfach alles wieder so ist wie vorher. Aber halt ohne, dass sowas wieder passiert. Und wenn du recht hast, dann werde ich eben warten."

,,Yoongi kann echt froh sein, jemanden wie dich getroffen zu haben. Du bist echt was Besonderes, Jimin." Dankend sah er mich an. Es war von Anfang an klar, dass er nur das beste für den Schwarzhaarigen wollte und so ehrten die Worte meines Gegenübers mich umso mehr. Wenn er jemand so besonderes in Yoongis Leben war, dann könnten sie es vielleicht doch schaffen. Ich musste ihm bloß Zeit lassen. Zeit um zu lernen nicht mehr dieselben Fehler zu machen und mehr Vertrauen aufzubauen. Vertrauen ohne Kontrolle und Wut, ohne verbal oder körperlich auf Angriff zu gehen.

Die Frage war nur, wie lange sollte ich warten und wie lange halte ich durch?

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