UNCLE HYUCK

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September

Fiese Kopfschmerzen drücken von innen und außen, von links und rechts gegen seinen Schädel, der Aufzug ist kaputt und er musste mit einem Sechsjährigen in den vierten Stock marschieren, er hat Hunger und er ist müde. Donghyuck will heute niemanden mehr sehen, und später ruft er bei Jeno und Renjun an, ob die Lust haben, den Kleinen zu bespaßen.

Denn ganz ehrlich, im Moment kann der junge Mann nicht einmal das Quasseln seines Neffen ertragen. Er will einfach nur einen späten Mittagsschlaf machen. Der Arztbesuch war zur absoluten Ausnahme ein totaler Reinfall und alles, was Donghyuck mitnehmen konnte aus diesem zehn-Minuten-Gespräch und der zweistündigen Warterei, sind Augentropfen.

Es wird das siebte Fläschchen in ihrem Badezimmerschrank und langsam wird es eng. Außerdem sind Ärzte entweder so unglaublich falsch und übertrieben nett oder lustlos ohne Ende. Mit der rechten Hand gräbt Donghyuck den Wohnungsschlüssel aus seiner Hosentasche, mit der rechten hält er die Finger des Jungen fest umschlossen. "Und dann hat sie..."

Was Kyungs dämliche Kindergärtnerin gemacht hat, wird er wohl nie erfahren, denn er bleibt plötzlich stehen und mit ihm Kyung. Der Junge stoppt seinen Monolog und guckt verwundert auf die gespannten Arme, wegen denen er ruckartig abgebremst wurde. Dann schaut er vorwurfsvoll zu dem Älteren hoch. Doch der schaut nicht einmal. Da steht Mark Lee vor der Wohnungstür, vielmehr er lehnt an der Wand, lässig, in dem schicken Outfit, das er immer im Büro trägt.

Das er sicher auch heute trug, aber Donghyuck hat sich heute extra frei genommen. Ganz offiziell, für Mark, bei Senior wäre er einfach nicht aufgetaucht, flexible Teilzeit und so. Und trotzdem hängt jetzt sein gutaussehender CEO jetzt vor seiner Türe herum, obwohl Donghyuck ihre gemeinsame Zeit auf die Arbeit und vorletzten Samstag, als Kyung zu Onkel Renjun und Onkel Jeno war, begrenzt hat.

Er schluckt und setzt sich dann in Bewegung, um so cool wie möglich nach Hause zu kommen. Kyungs Hand drückt er fest und hoffentlich merkt der Kleine nicht, dass sie ein bisschen schwitzig sind. "Mark", sagt er bemüht spontan und schiebt den Schlüssel nach vier Anläufen ins Loch, "was machst du denn hier?" Er erkennt eine stumme Aufforderung und Verwirrung in Marks Augen. "Mark, das ist Kyung. Kyungie, Mark Lee. Mein Boss", sagt er unbeholfen. Kyung rettet ihn aus der Verlegenheit, indem er hemmungslos mit dem Finger auf Mark deutet und ungläubig ruft: "DAS ist der alte, dumme Mann, den du nicht magst?"

Mark atmet amüsiert aus. Donghyuck wird warm. "Nein, ich habe einen neuen Vorgesetzten, Kyung." Er erklärt seinem Neffen nicht, dass er Mark Lee besser kennt als üblich und das sie im Büro mindestens drei Stunden täglich miteinander vor seinem Rechner verbringen. Er stößt die Tür auf und fragt zu lässig: "Willst du reinkommen?"

"Ich stehe im Parkverbot."

"Bist du der VW Fox direkt vor dem Eingang?"

"Jeder andere erwähnt die schreckliche Farbe zuerst. Danke." Mark kichert und fährt sich durch die Haare. Und Kyung, der soziale Kyung kräht: "Du kannst auf die Besucherparkplätze ums Haus herum!"

"Ihr habt Besucherparkplätze?", will Donghyucks Vorgesetzter verlegen wissen und guckt fragend zu dem Jüngeren. Der antwortet mit einem Achselzucken. "Ja. Du hast ihn gehört. Wir sind Nr. 66, falls du es vergisst", bekräftigt er die Einladung von Kyung noch einmal.

Kyung lässt seine Hand los und hopst in die Wohnung. Donghyuck folgt ihm und wuselt hektisch durch den Wohnbereich, sammelt Socken und andere Wäschestücke auf, trägt sie ins Bad. Er schaltet die Kaffeemaschine ein und sucht und spült eine Kopfschmerztablette herunter, ehe es klingelt.

Mark betritt die Wohnung und hängt seinen dunklen Mantel an die Haken im Flur. "Bist du nicht zu jung, Vater von einem so großen Jungen zu sein?", meint er leise. Donghyuck bildet sich ein, Eifersucht in seiner Stimme zu hören, doch eigentlich will er das gar nicht. "Bist du nicht zu jung, CEO zu sein?", fragt er zurück. Wortlos gehen sie in den geräumigen Wohnbereich, wo er Mark trinken anbietet. "Wer ist der Typ an deinem Kühlschrank?"

"Welcher?"

"Das ist ein Sänger, den mag Onkel Hyuck voll gerne!" Kyung ist aus dem nichts aufgetaucht und Donghyuck schüttet vor Schreck etwas Kaffee auf die Fliesen und über seine Finger. Mark lehnt entspannt an der Küchentheke und lächelt milde. "Wieso schaust du nicht ein paar Folgen Spongebob, Kyungie? Wir wollen uns unterhalten." Kyungs Miene nimmt einen enttäuschten Ton an, aber Mark schiebt ein Kompromissangebot hinter: "Wir können später was spielen, wenn du willst." Jetzt breitet sich ein Strahlen auf dem Gesicht des Jungen aus. "Darf ich aussuchen?"

Er hüpft zufrieden davon, als der Blonde nickt.

"Na wunderbar, dann wünsch ich dir später viel Spaß mit der Schokohexe." Donghyuck nickt zur Couch und balanciert zwei Tassen Kaffee hinüber. "Schokohexe?", wiederholt Mark verwirrt.  "Sein Lieblingsspiel. Und wenn er aussuchen darf, wird es bestimmt die Schokohexe. Und das ist so dumm, da mache ich nicht schon wieder mit. Ich muss noch meine bittere Niederlage vom Montag verkraften. Aber viel Spaß, schätze ich."

Mark grinst schwach. "Außerdem dachte ich, du magst keine Kinder", schiebt Donghyuck hinterher. "Das hab ich nie gesagt", Mark nippt an seinem Kaffee, "ich will keine Verantwortung für Kinder, ich bin im Kopf doch selbst noch eines!" Donghyuck lacht bitter auf. "Wollte ich auch nicht."

Mark starrt irritiert in seinen Kaffee. "Wieso wohnt der Kleine dann bei dir, Onkel Hyuck?"

"Lange Geschichte. Später. Aber warum bist du hier?"

"Es wird eine Haskell-Fortbildung angeboten. Nächste Woche schon. Die EDV hat das irgendwie verpeilt und heute ist Anmeldeschluss." Mark zieht ein Papier hervor und legt es auf den Kaffeetisch. "Ich dachte, vielleicht willst du hin. Wenn ich es morgen früh habe, kann ich es noch zu den anderen Anmeldungen schieben."

"Nächste Woche schon?" Donghyuck linst auf den Zettel. "Ich fürchte, ich kann nicht. Ich muss Kyung aus dem Kindergarten abholen und..."

"Kann das niemand anders übernehmen?"

"Nächste Woche wird es sowieso schwierig. Meine Cousine ist geschäftlich verreist, und ich habe keinen Führerschein." Donghyuck schaut auf den Kaffeetisch, aus dem Fenster, in den schwarzen TV-Monitor, bloß nicht in Marks Augen. "Das kann ich übernehmen. Kann jemand auf ihn aufpassen?"

"Hör mal, Mark, ich will echt nicht, dass du..."

"Das ist eine Chance, Donghyuck, und ich mache das gerne. Also?"

"Renjun..."

"Dein Kumpel?"

"Ja. Hängt übrigens auch am Kühlschrank, mit mir und Jeno, aber du musstest ja unbedingt meinen Celebrity Crush angaffen." Er grinst herausfordernd. Mark hebt die Hände. "Wäre meine nächste Frage gewesen. Meintest du nicht, Jeno hat dunkle Haare? Aber da haben beide helle Haare."

"Jeno hat sie neulich gefärbt, er behauptet, blond passt nicht zu Muskeln. Aber wie gut hast du mir bitte zugehört?" Donghyuck blinzelt. Mark schielt auf die geschlossene Zimmertür mit Kyungs Türschild. "Ich hatte ein gutes Gefühl mit uns. Ich dachte wirklich, aus uns könnte was werden, Donghyuck."

KYUNG [SANA]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt