November
Der Sonntag wird gegen Nachmittag das, was man als Absturz bezeichnen würde. Donghyuck wacht am Montag in einem großen Bett auf, welches intensiv und eindeutig nach Mark riecht. Sein Kopf schmerzt und er beginnt sich zu schämen. Das letzte Mal, bei dem er so eine Lücke in seinem ganzen Abend hatte, ist vor drei Jahren gewesen, als er mit Renjun durch die Stadt gezogen war und einen erledigen Auftrag des Künstlers gebührend gefeiert hat. Kyungie hat zu dem Zeitpunkt noch bei seinen Eltern gelebt und nur langsam dämmert dem Dunkelhaarigen, dass der Junge bei seiner Cousine und wohlauf ist. Kurz schließt er die Augen. Mist. Wie kommt er hierher, ans andere Ende der Stadt? Er war doch bei Renjun und Jeno in der WG. Aber nach dem dem zweiten Muffin, den Jeno eigens kreiert hat, ist es nur noch dunkel.
Ein Hustenanfall schüttelt ihn durch und nach einer kurzen Atempause schwingt er die Beine aus dem Bett und tapst mit unsicheren Schritten aus dem Raum. Alles hier riecht so, als käme der Ältere gleich mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu, und vielleicht hofft Donghyuck das irgendwie auch. Aber da kommt niemand. Gut, jetzt in der Retrospektive war es klug, Kyungie die Muffins aus Prinzip zu verbieten, vor allem, weil Jeno ihm vorher die Rezeptanleitung aus seinem Nährstoffseminar gezeigt hat. Was überhaupt nicht klug war: dass Donghyuck selbst sich dann zu zwei oder mehr von den Gebäcken überreden hat lassen. Blasse Erinnerungsfetzen wabern da, irgendetwas von einem selbstbewusstseinsfördernden Inhaltsstoff in Renjuns Berichten, weswegen Donghyuck sofort bereit war, die Dinger zu kosten. Vermutlich sind seine Überredungskünste, Jenos astreiner Hundeblick und Donghyucks zu großes Herz entscheidend gewesen, aber auch sein schlechtes Gewissen, dass er Mark um sieben, als er Kyung holte, noch nicht einmal geschrieben oder ihn angerufen hatte, wie versprochen.
"Donghyuckie, hi, du bist aufgewacht. Wie fühlst du dich?" Mark steht an einer Arbeitsplatte in der großen, lichtdurchfluteten Küche und schenkt ihm ein Lächeln. "Guten Morgen. Ich, ähm... Hab ich getrunken?"
"Nein, ich glaube nicht. Zumindest hast du es solide zu mir geschafft, um zwei Uhr nachts, mit den Öffis. Und auch alles andere hast du recht anständig geklärt am Abend. Gut, ich musste etwas nachhelfen, aber..."
"Scheiße, wir müssen zur Arbeit! Und wo ist mein Neffe?"
"Jetzt trinkst du erstmal was. Ich hab dich für heute auf Home-Office gesetzt." Mark schiebt dem Jüngeren ein Glas Leitungswasser hin. "Wie fühlst du dich?", hakt er noch einmal nach und mustert den Anderen prüfend. "Gut. Wo ist Kyung?" Der nippt ungeduldig am Wasser und schraubt dann die Erdbeermarmelade auf. Er wird zwar nichts essen, bis er nicht gesagt bekommt, dass es Kyungie gut geht, aber er kann sich ja schon mal vorbereiten. Außerdem grummelt sein Magen irgendwie. Mark lacht leise. "Ihm geht es gut, entspann dich", versucht er, ihn zu besänftigen. Vergeblich. "Wo ist er?", wiederholt Donghyuck mit angestrengter Stimme. "Bei Jeno und Renjun."
"Bei Jeno und... was?"
"Jaa, um das zu verstehen, hab ich Renjun gestern aus dem Bett geklingelt. Er war sicher nicht amused. Aber..." Mark spielt mit dem Marmeladendeckel und überlegt kurz. Diese Pause nutzt Donghyuck gleich aus, um ihn zu unterbrechen: "Du hast Renjuns Handynummer?" Mark dreht den Deckel schwungvoll, lässt ihn beiläufig mit einem Klirren kreiseln und liegen bleiben. "Nein, aber du. Und Kyungs Geburtstag als PIN, ich bitte dich, IT-Sicherheit ist was anderes", sagt er frech. Donghyuck übergeht das. Mark hat ja recht. "Wo ist mein Handy eigentlich?", will er wissen. Das ist definitiv der schlimmste Gedächtnis- und Kontrollverlust seit langem. "Hier drüben." Mark nimmt den Deckel in die Hand und zeigt hinter sich, wo das Smartphone auf der Anrichte liegt, angesteckt an der Steckdose, die schätzungsweise für Rührer, Mixer oder ähnliches vorgesehen sind. "Ich hab dein Leben verwaltet, als bei dir die Lichter aus waren. Man, du hast echt nie Wochenende. Am Montag schon gar nicht." Er zwinkert mild. "Oh, bevor ich es vergesse. Vielleicht meldest du dich später bei deinem Bruder. Besser gesagt bei Yoko."