HIMAWARI (2)

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November

jvke, this is what sadness feels like

Kyung futtert Schokobrei auf der Couch und schaut nebenher irgendeinen Film, denselben wie schon vier Mal in diesem Monat bei seiner Tante. Donghyuck hat schon wieder Kopfschmerzen von der penetranten Stimme der Protagonistin, einem Elefantenweibchen, das merkwürdigerweise jeden Tag mit einer Katze und zwei Pinguinen abhängt und deren bester Freund eine Fledermaus ist. Das hat er definitiv nicht vermisst.

Er hat noch immer nicht begriffen, was das eigentliche Ziel der schrägen Truppe aus dem Kinderfilm ist, genauso wie er bis zu diesem Zeitpunkt Kyung noch nicht eröffnet hat, dass ein Elefant in der echten Welt niemals einen Pinguin auch nur sehen würde. Mal ganz abgesehen von den Kommunikationsschwierigkeiten, welche nicht zu leugnen wären. Kommunikation, wie Mark gefordert hat. Kurz hat Donghyuck überlegt, seinem Neffen zu sagen, dass er jetzt noch Putzen und Aufräumen muss und Jihyeon damit, dass sie den Kleinen schon mittags hier abgesetzt hat, sein komplettes Tageskonzept in Grund und Boden gestampft hat. Aber Kommunikation ist furchtbar komplex und am Ende hat er einfach nichts gesagt, Kyungie hat auch nicht gefragt. Ein Glück muss er nicht mehr einkaufen gehen. Frustriert blickt er auf die Stiftebox in seinem Schoß und auf den Haufen alter, stumpfer Buntstifte, die er alle zu spitzen vorhat und zu den neuen Stiften in der Box stecken will. Seufzend betrachtet er die wenigen Stifte, die er bereits wieder perfektioniert hat. Es sind so wenige, Spitzen ist eine schrecklich undankbare Arbeit, schrecklich zeitaufwendig und schrecklich langweilig und er kann noch nicht einmal erkennen, welche Farben er schon hat und theoretisch den zweiten und dritten Stift dafür auf morgen verschieben kann.  

Er schließt die Augen. Obwohl er die Tür angelehnt hat und sein Bett hinsichtlich der Luftlinie vom Fernseher ziemlich weit weg ist, klingt der blöde Elefant, als stünde er direkt im Türrahmen. Resigniert schließt er die Website von Gaeuls Klinik. Eigentlich wollte er Jaemin Screenshots von der Desktop-Ansicht machen, damit der die Handy-App ähnlich gestalten kann, aber momentan reicht seine Konzentration nicht einmal dafür aus. Stattdessen spitzt er stupide Stifte. Und überlegen, was er Mark morgen sagen kann, das erledigt er, wenn Kyungie schläft. Vielleicht muss er den Tag einmal richtig genießen, vielleicht ruft er Gaeul an oder er fährt nachher spontan mit Kyung zu seiner Großmutter... aber zuerst öffnet er die Tür. Es ist bestimmt für jemand anderem im Haus, er erwartet niemanden und Kyung auch nicht, außerdem ist es halb zwei, ungewöhnlich. Stirnrunzelnd öffnet er und bekommt vor Schreck Schluckauf. "Mark", sagt er überrascht und halblaut.

Da steht sein Boss Mark Lee und so wie er aussieht, ist er nicht zum Besprechen des Projektes hier. "Hi. Ich hab Himawari mitgebracht.", setzt er an und streckt unbeholfen seine Hände aus, die einen Strauß prächtig gelb blühender Sonnenblumen halten. Donghyuck kann weder das warme Lächeln in seinem Gesicht noch den heißen Rotton seiner Wangen niederkämpfen, als er die Blumen nimmt. "Da sind auch blaue Nelken drin, hier, und orangene Tulpen und violette Tulpen und..." Weiter kommt er nicht, eilige, neugierige Kinderschritte, trampelnd und gehetzt ungleichmäßig ertönen. "Mark!", wird er von einem aufgekratzten, fröhlichen Sechsjährigen begrüßt und danach direkt mit einer Umarmung versehen. "Hi, K, schau mal, Himawari." Er übergibt dem Jungen den Strauß und wendet sich zu Donghyuck. "Und?", fragt er ganz leise. Der Andere kneift die Augen zusammen und schüttelt stumm den Kopf. Keine Farben, nicht einmal das Gelb der Sonnenblumen.

"Lieb von dir", sagt er dann munter und nickt mit dem Kopf zur Seite, "komm doch rein. Kyungie, legst sie auf den Küchentisch? Ich hole schnell eine Vase und dann... Mark, magst du reinkommen? Auf einen Kaffee oder ein Memory...?" Kyung, der schon halb im Wohnzimmer steht, quietscht: "Wir können auch Schokohexe spielen oder das verrückte Labyrinth! Oder wir machen Bügelperlen, malen können wir nicht, weil Onkel Hyuck meine Stifte hat." Der Junge schiebt seine Unterlippe nach vorne. "Such dir was aus, K, ich bin gleich da." Mark lächelt flüchtig. "Das heißt, wenn dein Onkel nichts dagegen hat, dass ich bleibe?" Der zuckt mit den Schultern. "Fühl dich wie zuhause", sagt er. Mark beißt sich auf die Lippe. "Sicher?"

"Kyungie freut sich ganz offensichtlich, dich zu sehen. Also ich mich auch, aber..." Kyung ist schon wieder in den Wohnraum gehüpft, der nervige Elefant wird leiser gestellt. Donghyuck setzt neu an: "Schuhe ausziehen, auch wenn nicht gewischt worden ist. Und wenn du den Kleinen bespaßt, komme ich vielleicht wenigstens zum Bad putzen." Er zeigt demonstrativ auf die weißen Sneakers seines Vorgesetzten. Der seufzt tief und geht in die Hocke, um die Schnürsenkel zu lösen. "Ach, bin nur Mittel zum Zweck", stellt er theatralisch fest, schält sich danach aus seiner Jacke. "Du bist so viel mehr." Der Jüngere hält peinlich berührt von seinem undurchdachten Satz den Mund und starrt seinen Vorgesetzten an. "Denselben Hoodie hattest du an, als wir uns das erste Mal sahen. Ich hab mich die ganze Zeit gefragt, ob dir nicht warm ist." Er lächelt. "Kann nicht sein. Im Büro ist Dresscode", kommt prompt Marks Einwand. "Das allererste Mal. Im Mai." Außerdem hattest du einmal dieses verdammt sexy Poloshirt an, als du in deiner ersten Woche noch nichts von den Vorschriften in deiner eigenen Firma wusstest.

Der Blonde nickt nach kurzer Überlegung. "Das kann sein. Sagst du K eigentlich irgendwann noch, dass du mich im Mai abgeschossen hast? Warum auch immer."

"Nein. Erstens geht ihn das nichts an und zweitens steht das auf der Tagesordnung für unser morgiges Telefonat."

"Er ist sechs. Ihn geht alles was an. Nette Frisur übrigens." Mark lacht leise und deutet auf Donghyucks Haare. Der schaut langsam, bis ihm die hässliche Flechtfrisur einfällt, die sein Neffe vorhin kreiert hat, bevor er sich mit seinem Brei auf der Couch breitgemacht hat. "Oh. Hm, danke." Er hüstelt. "Kannst du eigentlich japanisch? Das klang so gekonnt." Der Blonde setzt zu einer Antwort an, da brüllt es freudig aus dem Wohnzimmer. "Maaaaaaaaaaaark, wo bleibst du?" Kyung. Donghyuck lächelt amüsiert. Für seinen Neffen ist es wohl völlig völlig egal, ob Mark an seinem Geburtstag da war oder nicht. "Tagesordnung für unser morgiges Telefonat klingt, als hättest du eine Liste mit Dekorationsanregungen für das Büro." Mark grinst ihn an und geht der Kinderstimme nach.




KYUNG [SANA]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt